"Die GdF hat den Bogen überspannt"

Hilmar Schneider im Gespräch mit Gabi Wuttke · 23.02.2012
Der Arbeitsmarktexperte Hilmar Schneider hat kritisiert, dass kleine Gewerkschaften wie die GdF ihre Macht missbrauchen und schwere volkswirtschaftliche Schäden anrichten. Große Unternehmen wie Fraport dürften nicht mit einer Dauerstreikdrohung konfrontiert werden.
Gabi Wuttke: Wer sitzt am Frankfurter Flughafen eigentlich am längeren Hebel? Der Arbeitgeber Fraport, der mit Ersatzpersonal den tagelangen Streik der Vorfeldmitarbeiter erstaunlich gut weggesteckt hat, oder die Gewerkschaft der Flugsicherung, die Fraport durch Drohung einen neuen Verhandlungstermin abluchste? Für eine Einschätzung der Situation haben wir uns mit Hilmar Schneider verabredet, er ist der Direktor der Abteilung Arbeitsmarktpolitik am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Guten Morgen!

Hilmar Schneider: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Der Streik ist ausgesetzt, man wird wieder miteinander reden. Wer sitzt aus Ihrer Sicht am längeren Hebel, Fraport oder GdF?

Schneider: Also jedenfalls hat die Fraport ziemlich deutlich gezeigt, dass sie im Notfall auch ohne die Vorfeldmitarbeiter auskommt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dass man den Prozess so routiniert hat, dass die Vorfeldmitarbeiter noch Monate streiken können, ohne dass es jemand merkt.

Wuttke: Das heißt, das war kein guter Streik, weil nur ein guter Streik der ist, der wirklich wehtut?

Schneider: So ist es. Ich fürchte, die GdF hat da den Bogen etwas überspannt, die haben ihre Rolle, glaube ich, falsch eingeschätzt. Natürlich ist es richtig, dass, wenn ein Vorfeldmitarbeiter ein Flugzeug falsch parkt, dass er damit den ganzen Flughafen lahmlegen kann. Aber deswegen heißt das noch lange nicht, dass man jedes beliebige Gehalt fordern kann. Denn wie man hier sieht, hat es eben auch noch etwas damit zu tun, wie leicht jemand ersetzbar ist. Und Fluglotsen sind was anderes als Vorfeldmitarbeiter. Ein Vorfeldmitarbeiter ist in relativ kurzer Zeit für seine Aufgabe qualifizierbar, das ist anders als bei den Fluglotsen. Und genau an diesem Punkt, glaube ich, hat sich die GdF verschätzt.

Wuttke: Sie haben gerade über die Fluglotsen gesprochen, da reichte es ja letztes Jahr schon, die Drohung auszustoßen, dass man streiken könnte, um höhere Gehälter durchzusetzen. Nun muss man dazu sagen, die GdF ist hier zuständig, sie hat insgesamt 4000 Mitglieder, 8000 Mitglieder hat die Vereinigung Cockpit. Wie kann das alles eigentlich in einer Branche sein?

Schneider: Ja, da kommen, glaube ich, zwei Dinge zusammen. Das eine ist eine etwas längere Geschichte.

Wuttke: Nur zu!

Schneider: Die Gewerkschaften haben ja über einen langen Zeitraum mit Mitgliederschwund zu kämpfen gehabt und das hat zunächst mal zu einem Konzentrationsprozess von Gewerkschaften geführt. Wir haben jetzt noch fünf große Gewerkschaften, das war früher mal sehr viel mehr. Und in diesem Konzentrationsprozess ist die Vormachtstellung von bestimmten Schlüsselberufen oder Berufszweigen ein bisschen unter die Räder gekommen. Also, es hat sich zunehmend die Praxis breit gemacht, dass diejenigen, die eine große Hebekraft haben, wenn sie streiken, im Prinzip immer ins Feuer geschickt worden sind, um für die anderen die Kohlen da rauszuholen. Das sieht man beispielsweise an der Müllabfuhr: Die müssen also, wenn sie streiken, immer auch die Lohnabschlüsse für die Mitarbeiter in der Finanzverwaltung und in der Kommunalverwaltung rausholen. Und die müssen dabei gleichzeitig aber auf das Potenzial verzichten, was sie, wenn sie nur für sich selber kämpfen würden, im Prinzip rausholen könnten. Und das hat die zunehmend unzufrieden gemacht. Und da ist über die Zeit hinweg im Prinzip eine neue Bewegung entstanden, eine Gegenbewegung. Jetzt nehmen plötzlich so kleine Splittergruppen das Heft selbst in die Hand, weil sie sich von der großen Dachgewerkschaft, wo sie mal Mitglied waren, nicht mehr so richtig vertreten fühlen. Wenn Sie mal auf die Homepage der GdF, also der Gewerkschaft der Flugsicherung schauen, dann schildern die das auch genau so. Und diese Entwicklung ist sehr bedenklich und die ist dann auch noch vor einiger Zeit – das ist der zweite Erklärungsstrang –, vor einiger Zeit dadurch im Grunde beflügelt worden, dass gerichtlich festgestellt wurde, dass ein in Deutschland lange praktizierter Brauch, nämlich die Tarifeinheit, die bedeutet, ein Betrieb, eine Gewerkschaft, dass das nicht unbedingt so sein muss. Dass es also rechtlich auch zulässig ist, wenn ein Betrieb mit mehreren Gewerkschaften zu tun bekommt. Mit der Konsequenz, dass das für die betroffenen Betriebe eine ziemliche Katastrophe ist, weil, kaum haben die mit einer Gewerkschaft Frieden geschlossen, legt die nächste los. Und das Ergebnis ist, dass ein Betrieb im Prinzip mit der Dauerstreikdrohung konfrontiert ist. Das ist keine gute Entwicklung. Das erinnert mich ein bisschen an das Großbritannien der 60er-Jahre.

Wuttke: Inwiefern?

Schneider: Ja, da war das besonders schlimm. Das war damals auch eine Situation, in der Maggie Thatcher dann am Ende durchgegriffen hat. Das ist …

Wuttke: … aber ins Tarifrecht in Deutschland wird die Politik so nicht eingreifen?

Schneider: Na ja, aber die Frage ist ja: Kann man nicht auch des Guten zu viel tun? Wenn man so etwas wie die Tarifeinheit gesetzlich fixieren würde, was ja durchaus möglich ist … In der Vergangenheit ist sie einfach quasi als Verhaltenskodex der Tarifpartner praktiziert worden, man kann so was aber auch gesetzlich festlegen. Dann würde diesem Missbrauch ein Stück weit ein Riegel vorgeschoben. Es spricht ja nichts dagegen, dass verschiedene Gewerkschaften ihre Interessen wahrnehmen, aber dann sollen sie sich wenigstens so synchronisieren, dass das betroffene Unternehmen noch halbwegs planen kann. Das ist ja, das sind ja richtige volkswirtschaftliche Schäden, die hier verursacht werden von einer Handvoll von Arbeitnehmern. Da wackelt der Schwanz mit dem Hund, wenn man das mal so sagen darf.

Wuttke: Nun gibt es ja im Prinzip die Möglichkeit der Aussperrung und wie schon gesagt: Das Streikrecht ist ein gutes Recht für Arbeitnehmer. Aber laut nachgedacht hat Fraport zumindest über eine Klage und nach dem, was Sie jetzt gesagt haben, müssten doch die großen Gewerkschaften über eine erfolgreiche Klage der Arbeitgeberseite zumindest hinter verschlossenen Türen herzlich froh sein?

Schneider: Das sind sie auch. Also, wenn Sie sich mal die Stellungnahmen von Ver.di und so weiter angehört haben, dann war ja auch in den vergangenen Tagen durchaus zu beobachten, dass die ziemlich unzufrieden sind mit dem, was da diese Splittergewerkschaften tun. Sie müssen sich zwar vorhalten lassen, dass sie es in der Vergangenheit nicht geschafft haben, die Interessen solcher kleinen Splittergruppen vernünftig zu repräsentieren, aber unterm Strich kommt den Großen natürlich entgegen, wenn am Ende sozusagen die Macht der Kleinen beschränkt wird. Denn ansonsten ist ja auch die Macht der Großen infrage gestellt. Und wenn das dann eben, wie gesagt, bedeutet, dass irgendwann mal eine Situation eintritt, wo der Streik der Normalzustand ist, da tun wir uns keinen Gefallen mit.

Wuttke: Sehen Sie denn, dass die großen Gewerkschaften die Zeichen der Zeit erkannt haben? Oder sind sie letztlich machtlos?

Schneider: Na, die Zeichen der Zeit werden sie wohl erkannt haben. Ich weiß nur nicht genau, wie sie darauf reagieren werden. Das ist etwas, womit sich die Gewerkschaften natürlich schwer tun. Sie haben in der Vergangenheit vor allen Dingen immer im Interesse der Benachteiligten ihre Forderungen gestellt, das hat also dazu geführt, dass die Anhebung bei den Gehaltsteigerungen bei den Untertarifgruppen immer überproportional war.

Wuttke: Aber hier geht es ja um sehr gut spezialisiert ausgebildete Kräfte.

Schneider: Genau, und jetzt müsste es genau andersrum laufen: Jetzt müssten plötzlich die Spezialisten und diejenigen, die aufgrund ihrer Qualifikation eine besondere Durchsetzungsmacht haben, jetzt müssten die plötzlich mit überproportionalen Gehaltssteigerungen bedacht werden. Das fordert jedenfalls Lösungen, die komplizierter sind als das einfache Haudrauf, das wir in der Vergangenheit hatten.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Hilmar Schneider vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Herr Schneider, ich danke Ihnen sehr für diese Erläuterungen und wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Schneider: Danke, ebenso, Frau Wuttke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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