Die "fünfte Gewalt"

Von Otto Langels · 09.12.2009
Fachleute schätzen die Zahl professioneller Lobbyisten allein in Berlin auf 5000, Tendenz steigend. In den 70er-Jahren waren es in Bonn gerade mal 600. Sie agieren in den Grauzonen der Politik und versuchen, Einfluss zu nehmen auf Gesetze und Regierungsentscheidungen.
Jazbinsek : "Was hier eigenartig ist, ist, dass sich hier so viel in diesem Viertel knubbelt an Lobbyaktivitäten, Büros, Kanzleien, Agenturen. Einflussnahme auf Politik, das ist eine Frage, die mit Vertrauen zu tun hat. Sie brauchen informelle Kontakte, und die müssen Sie früh aufbauen. Und die müssen Sie auch persönlich mit Leben füllen. Darum ist das so wichtig, dass die nahe am Reichstag und nahe an den Ministerien sind. Man trifft sich vielleicht mal in der 'Ständigen Vertretung'."

Dietmar Jazbinsek ist Stadtführer in Berlin. Allerdings begleitet er Besucher nicht zu den üblichen Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt, sondern er steuert auf seinen Rundgängen durch das Regierungsviertel die Adressen von Lobbyagenturen, Interessenverbänden, Beratungsfirmen und Anwaltskanzleien an. Denn Dietmar Jazbinsek ist im Auftrag von LobbyControl unterwegs, einer Kölner Initiative, die über die Arbeit von Lobbyisten in Deutschland aufklären möchte.

Katzemich: "Das Wort Lobbyismus kommt aus den USA und wurde dort etwa 1830 das erste Mal offiziell erwähnt."

Erklärt Nina Katzemich, Mitarbeiterin von LobbyControl in Köln:

"Damals trafen sich die Interessenvertreter und Lobbyisten allerdings noch gar nicht in der Parlamentslobby, wie immer gesagt wird, sondern in einem nahe gelegenen Hotel. Damals wurden die Eisenbahnkonzessionen vergeben, und da ging es darum, wer was bekommt."
Wenige Jahrzehnte später entstanden die ersten Verbände in Deutschland, um im Zuge der Industrialisierung und der darauf folgenden Entstehung des Nationalstaates ihre Interessen durchzusetzen. Der Centralverband Deutscher Industrieller zum Beispiel wurde als erste große industrielle Spitzenorganisation gegründet, um die Freihandelspolitik zu bekämpfen.

Katzemich: "So seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich ein Assoziationswesen. Damals gab es den Bund Deutscher Industrieller oder den Bund Deutscher Landwirte. Da kann man also durchaus von Lobbyismus sprechen. Nur, dass es eben noch nicht so hieß."

Jazbinsek: "Wir hatten den sogenannten rheinischen Kapitalismus, und damit war gemeint eine Art Verbändedemokratie. Also die großen Verbände und Gewerkschaften sitzen zusammen mit der Politik und machen verbindliche Regelungen, die eben für den Nationalstaat gelten."
Erklärt Dietmar Jazbinsek seinen Zuhören beim Rundgang durchs Berliner Regierungsviertel. Noch im Kaiserreich begann ein Unternehmer seine beispiellose Karriere, die ihn mehr als ein halbes Jahrhundert lang - von der Weimarer Zeit über den Nationalsozialismus bis zur Bundesrepublik – zu einem der erfolgreichsten deutschen Konzernchefs machte: Friedrich Flick. Konkurrenten nannten ihn in einer Mischung aus Respekt und Missgunst "das Genie der Geräuschlosigkeit". Finanzielle Zuwendungen waren ein wichtiger Baustein seiner Unternehmensphilosophie.

Die "allgemeine politische Landschaftspflege", wie Flick Parteispenden nannte, praktizierte er in der Weimarer Republik ebenso wie in der Bundesrepublik. Aber auch in der NS-Zeit bemühte er sich, Einfluss auf Politiker zu gewinnen. Einen Funktionär des NS-Regimes, zuständig für Rüstungslieferungen, holte er zum Beispiel in den Führungszirkel seines Konzerns. Mit eifriger Lobbyarbeit, vor allem aber mit Geld, stimmte er Entscheidungsträger in Behörden und Politik gewogen und sorgte schließlich in den 70er-Jahren für den größten Parteispendenskandal der Bundesrepublik.

Die einstige FDP- und spätere SPD-Parlamentarierin Ingrid Matthäus-Meier:

"Es gibt selbstverständlich Kollegen, die sind Lobby. Ich erinnere mich, über Jahre saß zum Beispiel die offizielle Außenstelle von Flick hier im Deutschen Bundestag. Es gibt andere Vertreter, die sitzen für Verbände im Deutschen Bundestag, da scheint mir, dass die Transparenz zu wenig gewährleistet ist."
Bereits Anfang der 50er-Jahre musste sich Bundestagspräsident Hermann Ehlers, CDU, gegen die Kritik zur Wehr setzen, die Bonner Abgeordneten seien häufig Vertreter bestimmter Interessen.

Ehlers: "Selbstverständlich gibt es in jedem Staate in einer Wirtschaft, wie wir sie haben, die Zusammenschlüsse von Wirtschaftsverbänden, von Industrie, von Arbeitnehmern, von Arbeitgebern, die ihre Interessen vertreten, ihre Meinungen sagen, das ist selbstverständlich. Aber darüber muss stehen die Wahrung der Unabhängigkeit des Parlaments."

Lange Zeit konnten Politik und Verbände das Bild vom unabhängigen Parlamentarier aufrechterhalten, der nur seinem Gewissen verantwortlich ist und den Einflüsterungen der Lobbyisten widersteht.

Schenk: " Es handelt sich beim Lobbyismus recht verstanden um eine klassische Dienstleistung an die Politik im Interesse der jeweiligen Klientel, seien es Firmen oder Verbände." "

Erklärte Bernhard Schenk vom Bundesverband Deutscher Banken seine Lobbytätigkeit in Bonn:

"Ein richtig verstandener Lobbyismus kann mit Geld überhaupt nichts zu tun haben, wenn es um die direkte Beeinflussung ginge. Der Lobbyist wäre diskreditiert, wenn er etwa mit Geld operieren würde. Das legitime Mittel für die Unterstützung politischer Ziele sind Spenden."
Die Grenzen zwischen "richtigem Lobbyismus", wie ihn Schenk verstand, und Korruption waren freilich fließend, wie sich spätestens mit der Flick-Affäre in den 70er-Jahren zeigte. Nach dem Tod des Vaters verkaufte sein Sohn Friedrich Karl Flick im Jahr 1975 Daimler-Benz-Aktien für rund zwei Milliarden Mark an die Deutsche Bank. Um den Gewinn nicht versteuern zu müssen, suchte der Flickkonzern nach einem Ausweg – und fand ihn beim Bundeswirtschafts- und beim Finanzminister, - die ihm ermöglichten, seinen Milliardengewinn steuerfrei anzulegen.

Dann aber entdeckten Ermittler 1981 im Schließfach einer Düsseldorfer Bank ein schwarzes Kassenbuch des Flickkonzerns. Penibel hatte darin der Oberbuchhalter Geldzahlungen von 30.000, 50.000 oder auch mal 250.000 Mark an "Freunde des Hauses" notiert, u.a. an Otto Graf Lambsdorff und Hans Friderichs von der FDP, Hans Matthöfer und Manfred Lahnstein von der SPD, Helmut Kohl, Alfred Dregger und Franz Josef Strauß von der Union. Der Flick-Bevollmächtigte Eberhard von Brauchitsch, gewissermaßen der Cheflobbyist des Konzerns, Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff und sein Vorgänger Hans Friderichs mussten sich später vor Gericht verantworten.

Eberhard von Brauchitsch, einer der heimlichen Geldboten des Flickkonzerns, erklärte später zu den Spenden, die grundsätzlich bar und in verschlossenen Umschlägen übergeben wurden:

"Kohl hat gesagt, du pass mal auf, da ist ein besonderes Objekt bei uns in der Partei, seid ihr in der Lage dazu, mir eventuell zu helfen. Ich könnte mir vorstellen, 50- oder 60- oder 70.000 Mark, dann war das in Ordnung. Und dann habe ich mir das Geld beschafft, und das lief dann bei uns als Entnahme."

Schnell kam nach der Entdeckung der schwarzen Kassen der Verdacht auf, dass die Gelder nicht nur der "allgemeinen politischen Landschaftspflege" dienten, wie Vertreter des Flickkonzerns behaupteten, sondern damit gezielt politische Entscheidungen wie die Steuerbefreiung für die Daimler-Benz-Milliarden beeinflusst werden sollten. Immerhin waren zwischen 1969 und 1980 mehr als 25 Millionen DM als Spenden an die im Bundestag vertretenen Parteien geflossen, rund 15 Millionen an CDU/CSU, 6,5 Millionen an die FDP und 4,3 Millionen an die SPD.

Der Flickkonzern aber bestritt energisch, Politiker gekauft zu haben. Eberhard von Brauchitsch verwahrte sich gegen die Behauptung, Gelder gezielt an bestimmte Personen verteilt zu haben:

"Das hat's in meiner gesamten Erfahrung von Parteispenden, und das sind viele Millionen gewesen, 600, 700 Einzelfälle, in denen das zustande gekommen ist, nicht ein einziges Mal gegeben, nicht ein einziges Mal, dass ich mir einen Empfänger ausgesucht habe unter dem Gesichtswinkel, den brauche ich."

Auf Druck der Grünen, sie waren erstmals in den Bundestag eingezogen und von der Spendenaffäre nicht betroffen, wurde 1983 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt. Otto Schily, damals noch Mitglied der Grünen, prangerte im Bundestag die "politische Landschaftspflege" Flicks an:

"Mittels Spendenvergabe hat sich der Flickkonzern so systematisch Einflussfelder verschafft, dass ungeachtet der Frage, ob in dem ein oder anderen Fall der Straftatbestand der Bestechung oder Bestechlichkeit verwirklicht war und ist, von politischer Korruption großen Ausmaßes gesprochen werden muss."

1987 verurteilte das Landgericht Bonn Eberhard von Brauchitsch, Otto Graf Lambsdorff und Hans Friderichs wegen Steuerhinterziehung zu relativ milden Geldstrafen. Ein Banker hätte die Summen vermutlich als "Peanuts" verbucht. Vom Vorwurf der Bestechung bzw. Bestechlichkeit sprach das Gericht die Angeklagten mangels Beweisen frei.

Jazbinsek: "In dem Gebäude, wo BP drin ist, ist auch Lockheed drin, das ist der drittgrößte Rüstungsproduzent der Welt, über dem Kennedy-Museum ist Boing, ist der größte Rüstungsproduzent der Welt. Hier ist Kraus-Mafei, unser deutscher Panzerfabrikant drin. Hier geht es im Wesentlichen natürlich um Beschaffungslobbyismus, das heißt man will an Rüstungsaufträge rankommen."

Die nächste große Affäre, in der Lobbyisten und Politiker im Zentrum standen, begann 1999, als gegen den CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep wegen Steuerhinterziehung ermittelt wurde. Kiep wurde vorgeworfen, 1991 von dem Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber eine Million DM als Spende für die CDU erhalten, aber nicht versteuert zu haben. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um eine Provisionszahlung der Firma Thyssen, die auf einem Parkplatz in der Schweiz bar übergeben wurde. Außerdem bestach Schreiber den Staatssekretär im Verteidigungsministerium Ludwig-Holger Pfahls mit 3,8 Millionen Mark, um eine schnelle Lieferung von Panzern nach Saudi-Arabien zu ermöglichen. Schreiber erklärte damals:

"Es ist ja nicht primitive Bestechung, wo Sie zu irgendjemandem hingehen, den Sie nie gesehen haben und sagen, wunderbar, hier bin ich und hier hab ich, das ist doch Quatsch. Das stellen sich doch nur Leute vor, die nicht die schmalste Ahnung haben von dem, wie sowas wirklich läuft."

Schließlich räumte der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ein, dass die Partei schwarze Konten geführt habe. Der ehemalige Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende Helmut Kohl übernahm die politische Verantwortung und erklärte, 2,1 Millionen Mark illegale Parteispenden angenommen zu haben.

Kohl: "Das ist der Fehler, den ich gemacht habe, zudem ich mich bekenne, das ist ja auch bedauere. Wenn ich jetzt höre, ich sei geschmiert worden, oder wenn ich höre, ich sei bestechlich, ist das für mich ganz und gar unerträglich. Ich war nie bestechlich."

Jazbinsek: "Café Einstein kennen Sie, taucht in jedem Bericht über Lobbyismus auf, ist aber gar nicht so der Hotspot, was Lobbyismus angeht, weil Sie, wenn Sie da drin sitzen im hinteren Teil, sich viel zu dicht auf der Pelle hocken. Da können Sie, wenn Sie in Ruhe was besprechen wollen mit einem Abgeordneten, da können Sie gar nicht in Ruhe reden, weil Sie nicht sicher sind, dass nebenan nicht vielleicht ein aufdringlicher Journalist mithorcht."

Seit dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin hat sich die Zahl der Lobbyisten rapide erhöht. 5000 Personen, so wird geschätzt, versuchen hauptberuflich Einfluss auf die Politik zu nehmen. Außerdem sind rund 2000 Verbände beim Bundestag registriert und haben damit das Recht, offiziell im Gesetzgebungsverfahren angehört zu werden. Die Palette reicht von der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin und der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände über den Bundesverband der Deutschen Banken, den Chaos Computer Club und den Runden Tisch Amateurfunker bis zum Zentralverband Naturdarm. Der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth:

"Es gibt inzwischen neue Formen des Lobbyismus, die neuen sozialen Bewegungen, die Tatsache, dass Nichtregierungsorganisationen, NGOs, einen relativ großen Einfluss haben. Seitdem in Berlin die Lobbyarbeit geschieht, ist sie viel gigantischer, viel größer, übrigens mit einem Aspekt, der sehr wichtig ist, dass immer mehr große Firmen ihre eigenen Repräsentanzen haben, was aber auch mit einem Problem zusammenhängt, dass die großen Verbände eigentlich eher unwichtiger werden."

Sogenannte NGOs wie Greenpeace oder Amnesty International bevorzugen allerdings in der Regel öffentliche Aktionen, um Aufmerksamkeit zu erregen und damit Druck auf die Politik auszuüben. Von Selbstverständnis und Methoden des klassischen Lobbyismus grenzen sie sich ab. Gert Rosenkranz, Leiter Politik der Deutschen Umwelthilfe:

"Der grundlegende Unterschied ist meiner Meinung nach, Lobbyismus ist eher der Versuch, Partikularinteressen ein höheres Gewicht zu geben, als ihnen im politischen Prozess gesamtgesellschaftlich zukommen sollte. Das tun wir nicht, wir finden, dass die Umweltfrage eben eine ist von gesamtgesellschaftlichem Interesse. Und deshalb sehen wir uns etwas anders."

Wer aber setzt sich für die gesellschaftlichen Probleme und Randgruppen ein, die keine Fürsprecher oder Interessenvertreter haben?

"Da haben wir ein schwerwiegendes Demokratieproblem", sagt der Politikwissenschaftler Claus Leggewie.

"… dass einfach bestimmte kollektive Interessen, gerade solche, die sich mit Kollektivgütern wie saubere Luft befassen, die wirklich nah am Gemeinwohl auch sind, dass die sich immer schwer organisieren lassen und dass die in der Tat sich nicht den Aufwand an einer Beratungsinfrastruktur leisten können, den die Anliegen in einem viel höheren Maße verdienen würden als das Interesse eines bestimmten Telekommunikationsanbieters."

Doch es sind eben die großen Unternehmen, die sich eine kostspielige Lobbyarbeit leisten können. Und die besteht nicht nur in der unmittelbaren Kontaktpflege und Beratung der Politik, sondern auch in aufwendigem Sponsoring. Der Autor Hans-Martin Tillack hat seinem kürzlich erschienenen Buch "über die einträgliche Kungelei von Politik, Wirtschaft und Bürokratie" den Titel gegeben: "Die korrupte Republik". Darin berichtet er von großzügigen Zuwendungen, mit denen Unternehmen Feste, Tagungen oder Öffentlichkeitskampagnen einzelner Bundesministerien unterstützen.

Tillack: " Da wurden zum Beispiel regelmäßig von großen Rüstungsunternehmen, EADS zum Beispiel, Festivitäten der Bundeswehr gesponsert, Ball der Luftwaffe, Ball des Heeres usw. Gleichzeitig haben diese Firmen sich beworben bei diesem Ministerium um Aufträge, haben sie auch immer wieder bekommen. Und das Verblüffende dabei war, dass über viele Jahre die Bundesregierung die Namen der Sponsoren geheim gehalten hatte." "

Welches Interesse können Ministerien haben, die Namen von Sponsoren nicht preiszugeben? Gegen eine Nennung von Firmennamen hat nicht einmal der Datenschutzbeauftragte Einwände. Und das Informationsfreiheitsgesetz, das der Bundestag nach fast zehnjährigen Beratungen 2006 verabschiedete, lässt ausdrücklich die Veröffentlichung entsprechender Angaben zu.

Tillack: "Das ist dann in der Tat schon was, wo man misstrauisch werden sollte. Es ist jedenfalls auffällig, dass die Sponsoren gerade dort gerne Sponsorengelder vergeben, wo wiederum ihrerseits sie sich Aufträge erhoffen."

Genauso zugeknöpft zeigten sich alle Bundesministerien auf Nachfragen Hans-Martin Tillacks, bei welchen Firmen Beamte Nebentätigkeiten ausüben, ein typisches Einfallstor für Korruption. Tillack wollte nicht die Namen der Beamten, sondern nur der Firmen erfahren:

"Das läuft jetzt seit über einem Jahr, und ich habe diese Informationen nicht bekommen, weil die Bundesministerien das geheim halten wollen, aus Gründen, die sich selbst dem Datenschutzbeauftragten nicht erschließen."

Jazbinsek: "Über den Werbeleuten sitzt der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband, der jedes Jahr auch mit viel Information an die Öffentlichkeit geht. Vorletztes Jahr haben die zum Beispiel gesagt, hurra 30 Prozent Nichtraucherplätze in der Gastronomie durch eine freiwillige Vereinbarung. Die Verbraucherzentralen haben das überprüft, stimmte hinten und vorne nicht. Im Jahr drauf haben sie wegen der Rauchverbotsdebatte gesagt, sobald es ein Rauchverbot in der Gastronomie gibt, haben wir ein Massensterben von Kneipen. Wenn man jetzt heute guckt in die Insolvenzstatistik: Gastronomie – die ist zurückgegangen im letzten Jahr, im ersten Jahr, wo in fast allen Bundesländern Rauchverbote waren. Stimmt also auch nicht."
Lobbyisten bauen gerne Drohkulissen auf, wenn neue einschränkende Gesetze im Gespräch sind, die die eigene Branche treffen könnten. Beliebt sind Massenentlassungen oder die Schließung ganzer Werke, hohe Steuerausfälle, die Verlagerung des Unternehmens ins Ausland oder mangelnde Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Konkurrenz.

Jazbinsek: "Es gibt da Agenturen, die sagen, Freunde schafft man sich, wenn man sie noch nicht braucht. Und wie schafft man sich Freunde? Indem man ihnen zum Beispiel einen Ehrentitel verleiht. Das macht hier der Deutsche Brauerbund, der vergibt seit 2002, der hier in dem Gebäude hier drüben sitzt, seit 2002 den Ehrentitel 'Botschafter des Bieres'. Und Botschafter des Bieres waren zum Beispiel schon Herr Steinmeier, Herr Clement, Herr Seehofer. 2008 war es Steinmeier, und da war es wichtig, ihm diesen Titel zu vergeben, weil im selben Jahr etwas ganz Furchtbares passiert ist aus Sicht des Brauerbundes.

Der Drogenrat, das ist ein Expertengremium, hat nämlich ein Aktionsprogramm auf den Weg gebracht, Aktionsprogramm Alkoholprävention. Und darin war vorgesehen Senkung der Promillegrenze auf 0,2 am Steuer, Verkaufsbeschränkungen in der Tanke, Werbebeschränkungen. Ein Folterkatalog.

Also der Brauerbund selber hat erstmal gesagt, wenn das wahr wird, dann gehen Zehntausende von Arbeits- und Ausbildungsplätzen verloren in der Brauereiwirtschaft. Dann kamen Zeitschriften- und Zeitungsverleger und haben gesagt, wenn die Werbeverbote kommen, ist die Pressefreiheit kaputt. Der Deutsche Olympische Sportbund hat gesagt, der ganze Vereinssport geht kaputt, weil ja die Brauereien Hauptsponsor der Jugendvereine sind.

Und das hat der Politik, insbesondere dem Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium so eingeleuchtet, dass die gesagt haben, das ganze Programm muss noch mal überarbeitet werden. Und bei der Überarbeitung waren der Zentralverband der Werbewirtschaft und der Brauerbund so freundlich, die entsprechenden Passagen des Präventionsprogramms selber zu schreiben."

Es ist durchaus gängige Praxis, dass Interessenverbände nicht nur Argumentations- und Formulierungshilfen für Ministerialbeamte schreiben, sondern auch gleich die Gesetzentwürfe selbst. Einer der jüngsten Fälle spielte sich im Hause des damaligen Wirtschaftsministers Karl- Theodor zu Guttenberg ab. Einen Gesetzentwurf zur Zwangsverwaltung maroder Banken ließ er von einer der weltweit größten Wirtschaftskanzleien ausarbeiten. Nur versäumten es seine Beamten, das Logo der Kanzlei auf dem Entwurf zu entfernen. Der Essener Politikwissenschaftler Claus Leggewie:

"Wenn dann beispielsweise Papiere gemacht werden, die in eine Gesetzgebung eingehen von einer Anwaltskanzlei, dann würde ich als Bürger erwarten, dass mir das beispielsweise über das Internet zur Verfügung gestellt wird, und ich nachvollziehen kann, wie ist in einer bestimmten Gesetzgebungsmaterie eigentlich beraten worden. Wie ist mit am Gesetz geschrieben worden. Denn wir sind uns alle klar, dass heute viele, viele Gesetze bereits von Anwaltskanzleien mitgeschrieben werden."

Jazbinsek: "Während der Zeit der rot-grünen Koalition gab es ein Programm, das hieß Seitenwechsel. Da sollten Vertreter der Wirtschaft und der Ministerien die Seiten wechseln. Faktisch sind über Hundert Vertreter der Wirtschaft und von Unternehmen in die Ministerien eingezogen und haben da u.a. an Gesetzen mitgearbeitet. Die Vertreter der Deutschen Börse AG und des Bundesverbandes der Deutschen Investmentgesellschaft – die sitzen hier um die Ecke die Friedrichstraße runter -, die haben das Investmentmodernisierungsgesetz mitgeschrieben. Dieses Gesetz hat dazu geführt, dass in Deutschland Hedgefonds legalisiert wurden."

Diese Form des Seitenwechsels ging dann selbst Christine Hohmann-Dennhardt zu weit. Die Richterin am Bundesverfassungsgericht rügte in ungewöhnlich klaren Worten die Praxis, auf politischer Ebene die Grenzen zwischen Partikularinteressen und gesamtgesellschaftlicher Verantwortung zu verwischen. Hohmann-Dennhardt:

"Wenn in den Ministerien nicht mehr Beamte, die auf das Gemeinwohl verpflichtet sind, an Gesetzen arbeiten, sondern Interessenvertreter, dann kann das Parlament, dann kann die Öffentlichkeit nicht mehr durchschauen, was denn eigentlich die Zielrichtung dieses Gesetzes ist und was das Gesetz begründet hat. Und das ist nicht gut und nicht richtig."
Wo Interessenvertreter nicht direkt auf politische Entscheidungsprozesse einwirken können, versuchen sie bisweilen verdeckt, Parlamentarier zu beeinflussen. Eine Doppelstrategie gewissermaßen. Lobbyisten, die ohnehin gerne diskret vorgehen, agieren hinter dem harmlosen Aushängeschild einer Bürgergruppe.

Friedrich: "Bei mir hatten sich im Wahlkreisbüro drei Bürger angesagt, die mit mir über einen bestimmten Fall reden wollten, ein bestimmtes Problem, ging es auch um Versorgung von Patienten."

berichtet der Konstanzer SPD-Abgeordnete Peter Friedrich:

"Und dann kamen sie schon mal nicht zu dritt, sondern zu viert, und dann war auf einmal auch noch ein Anwalt dabei. Und dann hatten die Bürger oder die Patienten, die sozusagen aus Bürgerinteresse sich angemeldet hatten zu einer Bürgersprechstunde, hatten auf einmal perfekt aufbereitete Unterlagen dabei über eine bestimmte Versorgungsart. Als ich gefragt habe, wen vertreten Sie denn eigentlich, kamen ausweichende Antworten."
Vermutlich stand ein Pharmaunternehmen hinter der Gruppe. Konzerne unterstützen Selbsthilfegruppen finanziell oder initiieren sogar ihre Gründung, um sie quasi als informelle Arzneireferenten einzusetzen. Warum betreiben Unternehmen diese Form des Lobbyismus? Heidi Klein, Geschäftsführerin von LobbyControl:

"Ich denke, es geht dabei um eine Glaubwürdigkeit. Eine Bürgerinitiative hat eine Glaubwürdigkeit, die einfach eine Industrielobby niemals haben wird. Deswegen versucht man an Stellen, wo man – wenn man im eigenen Namen Lobbyarbeit machen würde, diese Glaubwürdigkeit nicht hätte - versucht man sich eben eine Glaubwürdigkeit zu verschaffen, indem man unter dem Mäntelchen einer Bürgerinitiative auftritt."
Wird ein solcher Fall verdeckter Einflussnahme bekannt, reagieren die Betroffenen meist peinlich berührt, widerspricht ein solches Vorgehen doch ihren hehren Grundsätzen. Heiko Kretschmer, Ethikbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung, einer Standesorganisation der Lobbyisten:

"Jeder Politiker muss permanent zwischen verschiedenen Interessen abwägen. Um das aber zu können, muss er wissen, wer hinter diesen Interessen steht. Und deswegen wird dieser Prozess der Interessenabwägung fundamental gestört, wenn jemand versucht, den Absender zu verschleiern."

Jüngst erst belegte der Deutsche Rat für Public Relations die Agentur berlinpolis mit einer Rüge, weil die Firma im geheimen Auftrag der Deutschen Bahn Lobbyarbeit betrieben hatte. Die selbst ernannte Denkfabrik hatte mit scheinbar unabhängigen Meinungsbeiträgen in Medien für die Privatisierung der Bahn geworben.

Jazbinsek: "Hier in der ersten Etage der Deutsche Zigarettenverband. Man möchte eine unschuldige Person vorführen, die jetzt für diese Zigarettenindustrie steht. Marianne Tritz, Bundestagsabgeordnete der Grünen, dann gewechselt zur Geschäftsführerin des Deutschen Zigarettenverbandes. Sie hat das auch so begründet, dass eben die Raucher in Gefahr sind, diskriminiert zu werden, und sie möchte sich den Entrechteten und Hilfebedürftigen in unserer Gesellschaft widmen."

Vor einiger Zeit behandelte das Bundesverfassungsgericht die Ländergesetze zum Rauchverbot in Gaststätten und hörte dazu Sachverständige an; u.a. auch den Leiter eines Münchner Forschungslabors, das Studien zu den gesundheitlichen Folgen des Rauchens durchführt. Passivrauchen in Kneipen sei im Grunde unschädlich, erklärte der Experte in Karlsruhe zur Überraschung der Zuhörer. Mit dieser Ansicht vertrat der Toxikologe eine ziemlich exklusive Minderheitsmeinung.

Was der Wissenschaftler allerdings verschwieg und was erst durch Recherchen von Journalisten publik wurde: Die Forschungen, die sein Labor seit vielen Jahren betreibt, finanziert die Tabakindustrie, um die – wie es heißt – "soziale Akzeptanz des Rauchens zu erhalten". Dennoch behauptete der Laborchef, sein Institut sei unabhängig, da es verpflichtet sei, nach wissenschaftlichen Standards zu arbeiten.

Fälle wie dieser seien tunlichst zu vermeiden, sagt der Bielefelder Soziologe Peter Weingart. Unter seinem Vorsitz hat eine Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften kürzlich Leitlinien zur Politikberatung erarbeitet. Weingart:

"Die Beratung durch Lobbyisten hat eine ganz legitime Funktion dort, wo das spezifische Fachwissen, was nur zum Beispiel in bestimmten Wirtschaftsbereichen vorhanden ist, eingebracht wird, um Gesetzgebungsprozesse zu beraten. Wichtig ist dabei, dass das auch klar offengelegt wird. Im Übrigen ist die Offenlegung solcher Interessenbindungen bei uns, wenn Sie das mit den USA vergleichen, noch wesentlich schwächer ausgeprägt. Auch gerade in der EU ist ja kürzlich darüber beraten worden und, wie ich finde, völlig unverständlicherweise ist die volle Offenlegung solcher Interessenbindungen dort niedergestimmt worden."

Der Ruf nach Transparenz wird immer dann laut, wenn spektakuläre Fälle wie die Flick-Affäre oder der Skandal um den Waffenlobbyisten Schreiber publik werden. Doch der Bundestag tut sich schwer, das Ideal eines gläsernen Abgeordneten durch entsprechende Regelungen umzusetzen. Otto Schily, der sich als Abgeordneter der Grünen in der Aufklärung der Flick-Affäre bleibende Verdienste erworben hat, derselbe Otto Schily beschritt als ehemaliger SPD-Innenminister den Rechtsweg bis zum Bundesverfassungsgericht, weil er als Parlamentarier seine Nebeneinkünfte als Rechtsanwalt nicht offenlegen wollte.

Grundlage des Lobbyismus ist die Diskretion. Demokratie aber brauche Öffentlichkeit, Klarheit, Nachvollziehbarkeit und Kontrolle, sagt der Journalist Thomas Leif, Autor des Buches "Die fünfte Gewalt" über Lobbyismus in Deutschland:

"Bei den Akteuren, Lobbyisten, da müsste es einen 'Code of conduct' geben, einen Verhaltenscodex, was dürfen sie nicht, wo sollen sie die Finger von lassen, was ist sozusagen verboten. Das Zweite ist, für die Ministerialbürokratie, die immer wieder im Schatten der Beobachtung sitzt, muss es klare Regeln geben, was dürfen die auf Länder- und Bundesebene, wo müssen sie aber auch Distanz halten zu Lobbyisten, das muss verbindlich geklärt werden. Der letzte Punkt, ganz wichtig: Politiker, die in den Lobbyismus wechseln aus der aktiven Politik, brauchen eine Abkühlungsphase."
Die Liste der Politiker, die in die Wirtschaft wechselten oder als Berater tätig wurden, ist lang und enthält prominente Namen: darunter sind SPD-Wirtschaftsminister und -staatssekretäre, die heute für Energieunternehmen arbeiten; ein CDU-Verkehrsminister, der die Autoindustrie vertritt; ein grüner Staatssekretär für Ernährung und Verbraucherschutz, der in Diensten eines Süßwarenkonzerns steht; CDU-Staatssekretärinnen, die den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft bzw. der Forschenden Arzneimittelhersteller leiten; und nicht zuletzt ein Bundeskanzler, der heute sein Geld als Lobbyist eines russischen Gaskonzerns verdient. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie:

"Ich habe ein bisschen, wenn wir mal über den problematischsten Fall, nämlich unseren ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder reden, den Verdacht, dass die Schamfrist nicht lang genug war und der Verdacht entstehen kann, dass bestimmte Dinge, die mit der Gasversorgung und dem Pipelinebau verbunden waren, ihm auch durchaus sehr persönlich jetzt zunutze kommen. Das finde ich unwürdig für einen Bundeskanzler."

Gegen Ende seines Rundgangs durchs Berliner Regierungsviertel erreicht Dietmar Jazbinsek den Pariser Platz:

"Das hier war früher der Garten der Akademie der Künste. Obendrin ist der China-Club. Und der China-Club ist ein Business- und Socialclub, die Innenausstattung ist tatsächlich sehr eindrucksvoll. Sie haben da Seidentapeten und Tropenhölzer und unglaublich gemütliche Ledersessel. Wenn Sie sich diese wirklich fantastischen Skulpturen und Gemälde anschauen wollen, dann als Erstes schnell zum Geldautomaten und 10.000 Euro abgehoben, weil das ist die Aufnahmegebühr. Das ist also das Erste, was Ihnen der China-Club bietet: Diskretion. Das Zweite ist ein animierendes Umfeld. Und das ist wichtig, weil bei so vielen Lobbyisten und Pressevertretern muss man schon mal was Besonderes bieten, damit die Abgeordneten von da drüben hierherkommen. Das tun sie dann auch."