"Die Freiheit, mit allen Dimensionen des Films zu spielen"

Ari Folman im Gespräch mit Britta Bürger · 06.11.2008
Der israelische Filmemacher Ari Folman war selbst bei der Armee, als diese 1982 gegen den Libanon in den Krieg zog. Er hat darüber einen Dokumentarfilm als Animationsfilm gedreht, an dessen Ende er erschütternde reale Bilder setzt. Sein Film handele von Erinnerung und Verdrängung, nicht aber von Schuld, betonte Folman.
Britta Bürger: Ich hatte die Gelegenheit, mit dem israelischen Regisseur Ari Folman über seinen ungewöhnlichen Film zu sprechen. Und es war eine Begegnung mit einem sehr erschöpft wirkenden Mann, erschöpft von den vielen internationalen Interviews, vielleicht aber auch erschöpft von der intensiven Erinnerungsarbeit, die er sich für diesen Film gestellt hat. Zunächst habe ich Ari Folman gefragt, was er mit diesen irritierenden Kombination von gezeichneten Figuren und originalen Interviewtönen erreichen wollte.

<im_47410>"Waltz with Bashir" (NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DEM FILMSTART)</im_47410>Ari Folman: Es verleiht einem die Freiheit, mit allen Dimensionen des Films zu spielen, vom Dokumentarfilm zum Spielfilm, zum Fantasyfilm. Man kann sich frei bewegen als Regisseur in einem Bereich, der völlig frei von Regeln ist. Irgendwie bin ich der Regeln und der Strukturen überdrüssig, die das Establishment uns auferlegt. Wer entscheidet denn, wann der Dokumentarfilm endet und wo dann der Spielfilm beginnt?

Bürger: Nachdem Sie, Herr Folman, von den Albträumen Ihres Freundes erfahren haben, sehen Sie auch selbst im Traum Bilder, Bilder, die Sie zu der Frage führen, ob Sie sich unter Umständen mit schuldig gemacht haben. Es geht dabei ganz konkret um das Jahr 1982, die Massaker in Sabra und Shatila, wo christliche Falangisten palästinensische Flüchtlinge getötet haben, und zwar unter dem Schutz der israelischen Armee, der Sie damals ja angehörten. Inwieweit sind solche Schuldgefühle, die Frage nach der Mittäterschaft noch heute tabu in der israelischen Gesellschaft?

Folman: Zunächst mal muss ich widersprechen. Meiner Meinung nach handelt der Film nicht von Schuld. Er handelt von Erinnerung, von Verdrängung, aber nicht von Schuld.

Bürger: Er stellt aber die Frage nach der Mitschuld.

Folman: Ja, richtig, die Frage nach der Verantwortung wird gestellt. Es wird aber nicht die Frage von Schande und Schuld gestellt. Diese Deutung, die hier in Deutschland dem Film aufgedrückt wird, als ginge es um Schuld und Schande, das mag andere Gründe haben, die nicht mit dem Film zu tun haben, sondern mit der deutschen Vergangenheit. Meiner Meinung nach handelt dieser Film von posttraumatischen Ereignissen und von der Tatsache, wenn man Erinnerungen verdrängt hat, wohin gehen die. Leben die noch in einem? Leben die selbstständig weiter? Oder bestehen sie überhaupt nicht mehr? Verschwinden die? Können die irgendwann wieder auftauchen? Das gilt aber für jede Art unterdrückter Erinnerung. Es muss nicht mit Krieg zu tun haben. Das können persönliche traumatische Ereignisse sein, zum Beispiel ein Sterbefall, eine verlorene Liebe, was immer man da wählt. Es geht um verlorene Bruchstücke einer Erinnerung. Die Deutung, ja, die liegt dann beim Publikum. Ich habe nichts dagegen, dass die Menschen das verknüpfen mit dem Thema Verantwortung oder Schuld oder Scham, verbinden. Das kann das Publikum sein, das können Filmkritiker sein, das können Filmwissenschaftler sein. Alles in Ordnung. Aber es ist eine Interpretation. Es ist nicht meine Absicht.

Bürger: Die israelische Gesellschaft ist geprägt vom kollektiven Trauma des Holocaust. Sie selbst sind ein Kind von Holocaust-Überlebenden. Ihre Eltern waren beide in Auschwitz. Wie beeinflusst das die Wahrnehmung anderer Kriege, Kriege in die Israel verwickelt ist?

Folman: Ich glaube, ganz allgemein ist der Holocaust wirklich im DNA, im genetischen Material des Landes eingebaut. Er existiert und existiert auch wieder nicht, überall in der israelischen Gesellschaft. Dieser ganze Mythos der israelischen Armee ist eine Antwort auf die Vergangenheit in gewisser Weise. Viele politische Bewegungen, die sich gebildet haben, sind Reaktionen auf die Vergangenheit. Das spiegelt sich in allen Kriegen wider. Der erste Krieg, alle diese Verteidigungskriege beruhten darauf, dass man sagte, der Feind kommt, um uns noch mal auszulöschen, wie es damals im Zweiten Weltkrieg war. Es dauerte sehr lange, bis sich das änderte. Der Beginn des Wandels und dieser Wendepunkt war sicherlich der Krieg von 1982, als Israel aufhörte, nur ein verteidigendes Land zu sein und erstmals auch eine Invasionsarmee aussandte in das Nachbarland. Zum ersten Mal war es mit einer Invasion von anderen Städten befasst, mit dem Angriff auf Zivilisten. Das ist etwas ganz anderes als ein Verteidigungskrieg, das ist nämlich ein Schlachtfeld, ein Gefechtsfeld auf der Grenze.

Bürger: Ich bin mit dem israelischen Filmemacher Ari Folman im Gespräch über seinen neuen Film "Waltz with Bashir". Sie selbst hatten keinerlei Erinnerungen an Ihren Armee-Einsatz im Libanon. Inwieweit ist das, was Sie selbst erlebt haben, im Grunde auch ein Massenphänomen, der kollektive Gedächtnisverlust.

Folman: Ich habe nicht alle Erinnerungen verdrängt oder verloren. Nun, Gedächtnisverlust, das ist wirklich ein zu großes Wort. Ein solcher Gedächtnisverlust kann nach Autounfällen passieren, nach Schädeltraumata. Hier war die Hauptlinie der Geschichte, so wie es mir eben geschehen ist. Aber drinnen waren da noch schwarze Löcher. Ich glaube, dass Verdrängung allgemein eine gute Art ist zu genesen, zu genesen von irgendeinem traumatischen Erlebnis. Das ist in der Psychotherapie auch bekannt. Es ist in Ordnung. Meistens kann man das ganze Leben weiterleben, ohne, dass etwas geschieht. Aber eine Gesellschaft, die alle zehn Jahre durch die Kriegserfahrung geht und jeder, der ein Soldat gewesen war, der leider an einem dieser Kriege während seines Lebens teilnehmen muss, da stellt sich die Frage der Erinnerungen, die dann wiederkehren und mit denen man schwer leben kann. Das heißt, die Gesellschaft wird dadurch sehr viel komplexer als eine normale gesunde Gesellschaft. Aber ich weiß nicht, Österreich hat keine Kriege gehabt, ich weiß nicht, wie viele Jahre, und sie sind trotzdem sehr komplex beladen. Ich weiß nicht, was besser ist.

Bürger: Es überrascht, dass Sie am Schluss des Filmes dann doch noch auf dokumentarische Bilder zurückgreifen. In den letzen Einstellungen verlassen Sie die Animationsebene und zeigen Archivaufnahmen von palästinensischen Frauen, die in das zerstörte Lager zurückrennen, den Massenmord vor Augen. Und plötzlich wird man mit diesem Dokument konfrontiert, als würden Sie Ihren eigenen Bildern doch nicht so ganz trauen. Warum haben Sie das gemacht?

Folman: Ich wollte einfach die Situation verhindern, dass auch nur einer irgendwo auf der Welt aus dem Kino rausgeht, nachdem er den Film gesehen hat und dann sagt, das war ein sehr cooler Antikriegsfilm, ein Animationsfilm mit toller Musik, mit schönen Zeichnungen. Und wenn auch nur irgendeiner fühlen sollte, dass die Animation einen Abstand von der echten Geschichte schafft, das ist nicht der Fall. Diese 50 Sekunden, die endlos erscheinen, es sind nur 50 Sekunden, aber die versetzen einen wirklich mit Macht zurück. Es ist wirklich geschehen! Tausende von Menschen sind an diesem Wochenende gestorben. Es ist nicht nur meine eigene persönliche Geschichte. Es ist ein Massenmassaker, ein Massenmord gewesen. Kinder wurden niedergemetzelt, schutzlose Frauen, alte Menschen wurden ermordet. Dieses schöne Stück Animationsfilm wird hart in die Realität hineingesetzt. Für mich war das ganz wesentlich, das zu machen. Obwohl, Sie wissen ja, hier in Deutschland die Zensur, die stimmt mir nicht zu. Deshalb wird hier die FSK-Kontrolle ab 16 gesetzt. Vielleicht ist es leichter, den Film damit zu verkaufen. Aber ich musste das so hineinsetzen, diese klare Aussage.

Bürger: Regisseur Ari Folman über das Konzept seiner Doku-Animation über den ersten Libanonkrieg. Heute startet "Waltz with Bashir" in den deutschen Kinos.
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