"Die Frauenbewegung hat sehr viel erreicht"

Laura Méritt im Gespräch mit Joachim Scholl · 19.08.2009
Sexpertin Laura Méritt über ihren Kampf für die weibliche Lust.
Joachim Scholl: Und hier im Deutschlandradio Kultur begrüße ich nun Laura Méritt, Kommunikationswissenschaftlerin und Chefin von Sexclusivitäten, einem Unternehmen in Berlin, das sich der weiblichen Lust widmet. Willkommen im "Radiofeuilleton", Frau Méritt!

Laura Méritt: Hallo!

Scholl: PorYes, das ist der Preis für einen guten, vermeintlich den besten feministischen Pornofilm, der im Oktober erstmals verliehen werden soll. Der Name heißt, glaube ich, Auster, und PorYes, das ist natürlich die Anspielung auf PorNo, darauf kommen wir noch. Wir haben gerade die Überlegung des Schriftstellers und Kollegen Arno Orzessek gehört, was ist denn für Sie, Frau Méritt, ein guter Pornofilm?

Méritt: Also es geht auch nicht um den besten, um das gleich zu sagen, weil das ist natürlich ein bisschen zu hoch gegriffen. Aber ein guter Porno in unserem Sinne würde mindestens drei Kriterien erfüllen, und das wäre das Erste, dass überhaupt weibliche Lust dargestellt wird. Das Zweite wäre, dass die Palette an Darstellungen weiblicher Lust erweitert wird, also mehr, vielfältiger ist als das, was bisher immer zu sehen ist. Und das Dritte wäre, dass Frauen überhaupt maßgeblich an der Produktion beteiligt sind, und zwar nicht nur vor der Kamera, sondern auch hinter der Kamera.

Das sind aller Minimumanforderungen, die wir stellen würden. Und dann gibt’s natürlich noch ganz viele andere dazu, nämlich ethische Arbeitsbedingungen, Safer Sex würde begrüßt, dass wir andere Körperformen, andere Hautfarben, andere Altersgruppen, andere Ethnien einmal sehen, dass die Kamera vielfältiger ist, dass die Stimmlagen halt nicht so klassisch eingeordnet sind in männlich, in weiblich, dass die Geschlechtsrollen auch mal aufgehoben werden und, und, und. Da gibt’s ja ganz viele Kriterien, die man da noch anlegen könnte.

Scholl: Also in einem klassischen Männerporno mauseln Kerle mit Mordsgemächten, willige Weibchen in Strapsen und hochhackigen Schuhen …

Méritt: Genau.

Scholl: … das kommt dann nicht mehr vor, oder wie?

Méritt: Es geht nicht um nicht mehr. Es geht da drum, dass es in den herkömmlichen Pornos also größtenteils oder 99 Prozent der Filme tatsächlich so gemacht werden wie eben beschrieben. Und das ist einfach eine eindimensionelle Sache, die natürlich auch immer wieder das ewig Gleiche ankurbelt, deswegen ist das ja so eine Millionenindustrie. Es gibt aber durchaus mehr Formen der Sexualität, die man auch durchaus zeigen kann, und es gibt auch einen Markt dafür, und selbst unter Männern gibt es einen Markt dafür.

Scholl: Stichwort Markt: Die Pornoheroine Theresa Orlowski, der Name ist Ihnen natürlich bekannt, hat in den 1980er-Jahren mit ihrem Unternehmen es schon mal gewagt, Pornos für Frauen zu drehen. Das hat kommerziell nicht funktioniert.

Ich erinnere mich an ein Interview, das Theresa Orlowski in einer Talkshow gegeben hat, und sie sagte so ungefähr: Wir mussten einsehen, dass Pornos zu 90 Prozent von Männern angesehen werden, die vor dem Fernseher sitzen und einfach onanieren wollen, und Frauen tun das einfach nicht. Haben Sie da so andere Erfahrungen, dass Sie jetzt also den Frauenporno fördern wollen?

Méritt: Hab ich. Es ist mittlerweile sehr viel passiert, also die Frauenbewegung hat sehr viel erreicht, und durch diese 30 Jahre Arbeit, Aufklärung hat sich ja auch die Sexualität geändert. Das ist ja wissenschaftlich nachweisbar, dass eine Verhandlungsmoral mehr und mehr eingetreten ist, dass es nicht mehr da drum geht, eine einseitige Sexualität zu leben, also die Definition von Sexualität hat sich auch geändert.

Und alle Studien belegen zum Beispiel, dass nicht nur bei Frauen, dass allgemein eine hohe Sensibilisierung dafür vorhanden ist, was sexistisch ist, was verletzend ist, was menschenunwürdig ist, was ja in herkömmlichen Pornos sehr oft vorkommt, auf der anderen Seite aber auch eine hohe Sensibilisierung für Verhandeln mit Sexualität da ist. Das heißt, es wird viel mehr da drüber gesprochen und es wird verhandelt, was können wir machen, was geht, was geht nicht, was will ich überhaupt und was will ich nicht.

Und da kommen wir dann auf die Frage, es gibt eine Nachfrage, und gerade, also auch von Frauen, mehr nach Pornografie, und die ganz klar sagen, die herkömmlichen Pornos, die will ich nicht sehen. Aber es gibt ja durchaus auch eine Lust auf, schöne Bilder zu sehen, und was schön ist, kann man dann immer noch definieren. Aber auch Frauen wollen so was und auch Männer wollen eine andere Pornografie durchaus auch sehen.

Scholl: PorYes, das ist natürlich die direkte Antwort auf PorNo, das war die schon legendäre Kampagne in der "Emma" damals von Alice Schwarzer, und es ist schon ein Weilchen her. Die Attacke lief ja damals so: Pornos sind Frauen verachtend, erniedrigend, fördern Vergewaltigungsfantasien, typisches patriarchalisch-machomäßiges Unterdrückungsmedium. Stimmt das nicht mehr?

Méritt: Doch, das stimmt auch. Also wir sind auch nicht die Antwort auf PorNo, sondern wir sind gleichberechtigt. Ich würde das als Parallele sehen, und es ist in Deutschland noch mal anders als in Amerika, PorNo ist ja nicht Alice Schwarzers Kampagne, sondern sie kommt aus Amerika.

Scholl: Andrea (…) war auch eine große Protagonistin dieser Entwicklung …

Méritt: Ja, das ist schon noch mal anders. Und hier in Deutschland, auch durch die zeitliche Verschiebung, ist durchaus ein anderes Bewusstsein dafür, dass PorNo wichtig ist, und auch wir finden das total wichtig, gegen Sexismus, Rassismus und diese ganzen Ismen auch anzukämpfen. Auf der anderen Seite ist schon immer, auch in der Frauenbewegung, das Bedürfnis da gewesen, eine andere Sexualität, eine andere Darstellungsform der Sexualität auch zu etablieren.

Und wir wollen mit diesem Festival, mit dieser erstmaligen Verleihung, auch erst mal die Frauen ehren, die da schon ganz große Arbeit geleistet haben, weil hier gerade in Deutschland in den Medien eigentlich nur PorNo bekannt ist und nicht dieser PorYes-Flügel, der als sexpositiver Feminismus gilt.

Scholl: Erzählen Sie mal von einem Pornofilm, Frau Méritt, den Sie toll und erregend fanden, und was war da so anders als im herkömmlichen männerfiltrierten Porno?

Méritt: Es gibt natürlich viele Filme, die wir auch zum Beispiel an diesem Abend zeigen, also 17. Oktober, und berühmte Frauen werden da auch da sein, also international berühmte Filme und Frauen. Und ein Film ist zum Beispiel von Candida Royal, das ist eine Amerikanerin, die wirklich so eine Koryphäe für feministische Erotikfilme ist, und die macht auch intelligente Pornos. Also anders, wie vorhin gesagt wurde, sind da die Leute also zum einen sowie konsensuell agierend, das heißt, es wird nichts getan, was nicht abgesprochen ist, also dass das okay ist, das andere, es ist immer auch mit Humor verbunden, also es wird durchaus auch eine feine Ironie immer eingearbeitet, ohne dass es die Lust tötet.

Und das Dritte ist, man führt tatsächlich auch Dialoge, die spannend sind. Ein gewisses schauspielerisches Talent ist da auch Voraussetzung, auch das stimmt, was vorhin gesagt wurde. Und es gibt diesen Film, der heißt "Stud Hunter", das ist auch ein bisschen ne Parodie auf das Gewerbe …

Scholl: Der Stutenjäger?

Méritt: Ja, es geht um eine – also sie parodiert sich auch selbst – es geht um eine Filmemacherin, die den Hauptdarsteller suchen, und es ist ein bisschen parodiert, was da passiert oder auch, was von außen rangetragen wird oder auch Männer, die meinen, dass sie halt sowieso die besten Männer sind. Also das wird ein bisschen parodiert, und gleichzeitig wird es aber trotzdem sexy dargestellt. Und es geht. Es sind aber andere Arbeitsbedingungen, und da kommen wir auch wieder hin, es ist nicht die rein kommerzielle Schiene, es sind bessere Arbeitsbedingungen, die Leute werden besser behandelt, und das überträgt sich natürlich im Film. Also dann habe ich eben nicht diese Gesichter, wo der Kopf abgeschnitten ist von den Genitalien, sondern da hab ich durchaus auch einen Körperkontakt, einen Augenkontakt, da ist überhaupt ein Bezug da, und man sieht, dass die Leute respektvoll miteinander umgehen. Und das ist schon eine andere Sache.

Scholl: Frau Méritt, gibt es ein Anzeichen aus der ja kommerziell echt gewaltigen Pornoindustrie, dass also hierfür Interesse besteht, für feministische Pornografie?

Méritt: Die besteht sehr wohl, weil wir haben eine Geschichte hinter uns, wir haben die Sexspielzeugindustrie revolutioniert. Mittlerweile ist es so, dass also jede kommerzielle Produktion und auch auf der (..) ist es so, dass die die Qualität der Spielzeuge verbessert haben, dass die andere Formen rausbringen, dass sie alle eine Frauenlinie mittlerweile haben. Und das ist ein großer Erfolg der Frauenbewegung. Wir haben Frauenspielzeuge eingeführt, wir haben Frauenboutiquen eingeführt, und es ist nach und nach durchgesickert in die herkömmliche Industrie, die das aufgenommen hat. Und das Gleiche wird auch mit den Filmen passieren, das ist einfach eine Frage der Zeit.

Scholl: PorYes, der erste feministische Pornofilmpreis Europas. Am 17. Oktober soll er in Berlin verliehen werden. Mitinitiatorin ist Laura Méritt aus Berlin, hier betreibt sie das Unternehmen Sexklusivitäten. Frau Méritt, dankeschön für Ihren Besuch!

Méritt: Danke auch!