Die Frage nach Hiobs Botschaft

Von Gerd Brendel · 16.06.2012
Auf ein Unheil folgt ein Weiteres - so erging es dem ehrbaren und gottesfürchtigen Mann, nach dem das Buch Hiob im Alten Testament der Bibel benannt ist. Hiob handelt gut, hält sich von allem Bösen fern und dennoch geschehen Unglück und Leid. In Potsdam diskutierten Literaturwissenschaftler, Theologen und Philosophen über Hiobs Botschaft.
Susan Neiman: "Wieso gibt es Ungerechtigkeit auf der Welt?"

... fragt die jüdisch-amerikanische Moralphilosophin Susan Neiman. Ihr Buch "Das Böse denken" ist ein Bestseller. Seit mehreren Jahren leitet sie das Potsdamer Einstein-Forum:

"Wieso passiert es, dass unschuldige oder rechtschaffene Menschen Leid erfahren?"

Rechtschaffene Menschen wie Hiob …

Der war fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse (1,1)

…heißt es über ihn in der Bibel. Das Buch Hiob liefert im ersten Kapitel als Erklärung eine Wette, zu der Satan Gott herausfordert. Denn für Satan ist Hiob nur deswegen fromm, weil er alles hat, was sein Herz begehrt. Also spricht Satan zu Gott:

Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat; was gilt´s er wird dir ins Angesicht absagen! (1,11)

Im Buch geht Gott die Wette mit Satan ein und Hiob verliert alles: Seinen Besitz, seine Kinder, seine Gesundheit.

Und seine Frau sprach zu ihm: Hälst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Sage Gott ab und stirb! (2,9)

Aber Hiob hält an Gott fest. Auch als seine drei Freunde ihn besuchen und in ihren Reden Hiobs Leid zu erklären versuchen.

Susan Neiman: "Die Freunde seh ich als die Stimme der Vernunft, das heißt: wie die Welt sein soll. Die sagen: Es gibt Gerechtigkeit auf Erden. Wenn Du leidest, gibt es einen Grund, den Du nicht kennst, aber Gott kennt ihn. Das ist die Stimme, die wir hören möchten."

Meinst Du, dass Gott unrecht richtet oder der Allmächtige das Recht verkehrt? (8,3)

…fragt Hiobs Freund Bildad

"Es gibt etliche Studien, wo zum Beispiel Kriminelle es viel einfacher hatten in den KZs, weil sie wussten, die waren schuldig, von irgendetwas, und deshalb war das Leid irgendwie gerecht, während Leute, die aus rassischen Gründen da waren, gingen viel schneller zugrunde, auch psychologisch, weil die Welt keinen Sinn mehr hatte."

Hiob beharrt auf seiner Unschuld und weist die Freunde wütend zurück .

Mich ekelt mein Leben an. Ich will meiner Klage ihren Lauf lassen und reden in der Betrübnis meiner Seele. (10,1)

Susan Neiman: "Die Ungerechtigkeit, die Hiob sieht, ist die Ungerechtigkeit, die wir heute haben."

Hiob beklagt nicht nur die absurde Ungerechtigkeit der Welt, wie sie ist , sondern er macht Gott dafür verantwortlich.

Susan Neiman: "Es ist merkwürdig, dass Gott so lange und so böse reden lässt, man wird getötet für viel kleinere Vergehen. Meine Antwort darauf ist: Gott will moralische Entrüstung. Das ist nötig, um die Welt gerechter werden zu lassen."

Der Mensch als frommer Rebell gegen Gott, der mit Gottes Gebot gegen Gott selbst zu Gericht zieht?

Ich weiß, dass mein Erlöser lebt (19,25)

Für den evangelischen Theologen Gerhard Begrich fasst dieser eine Satz Hiobs paradoxes Aufbegehren zusammen:

"Weil das nicht so fromm ist, wie es klingt, sondern es ist ne gewisse Schlitzohrigkeit darin. Denn Hiob sagt mit dem Wort Erlöser: Du musst dich um mich kümmern, denn Gott hört auf, wenn er nicht mein Gott ist."

Und Gott bricht sein Schweigen, aber …

Sandra Neiman: "Anstatt Hiob eine Antwort zu geben, beschreibt er wie wunderbar, verschieden, voller Ordnung und Wunder die Welt ist."

Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sag mir´s, wenn du so klug bist.

Generationen von Theologen, Philosophen und Literaturwissenschaftlern haben die zwei Reden Gottes aus dem Wettersturm wieder neu gedeutet. Für den Literaturwissenschaftler, Mäzen und bekennenden Atheisten Jan Philip Reemtsma findet ein Gespräch erst gar nicht statt:

"Es ist die Demonstration, dass Gott und Mensch nichts miteinander zu tun haben, ist im Grunde: Du hast das schon richtig verstanden. Du interessierst mich nicht und ich muss Dich nicht interessieren."

Ganz anders interpretiert Gerhard Begrich Hiobs Rufen und Gottes Antwort. Bis nach der Wende arbeitete Begrich als Pfarrer in Halle, später leitete er das Predigerseminar der Landeskirche Sachsen-Anhalt . Er versteht Hiob als Weggefährte der Romantiker:

"Die leiden darunter, dass sie die Abwesenheit Gottes aushalten und erfahren müssen. Das ist die gewisse Melancholie der Romantik und daraus erwächst die Sehnsucht, ihn zu treffen und die Sehnsucht für die Schönheit der Welt. Dass man sieht, dass Gott diese Welt con amore erschaffen hat."

Wer ist so weise, dass er die Wolken zählen könnte?

Begrich zitiert einen Satz aus Dostjewskis "Brüder Karramasow":

"Das Leben muss man mehr lieben, als den Sinn, ist eine Haltung des "trotzdem"

James Ponet, Hochschul-Rabbiner an der Universität Yale, interpretiert Gottes Nicht-Antwort ähnlich:

"Gott redet wie mein Schwiegervater zu meiner Frau, nachdem sein Bruder in einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Am Abend nach der Beerdigung waren alle zuhause und mein Schwiegervater öffnete die Tür. Der Mond schien auf den Schnee und er sagte: 'Schau doch, wie schön die Welt ist.'"

Seit er vor zwei Jahren gemeinsam mit einem methodistischen Pfarrer die Tochter von Ex-Präsident Bill Clinton traute, ist Ponet ein viel gefragter Prediger. In seinen über 30 Jahren als Hochschul-Geistlicher hat der Rabbi seine orthodoxe Tradition hinter sich gelassen. Mit dem allmächtigen Gott, wie er von Hiob angeklagt wird, kann er mittlerweile genauso wenig anfangen wie der Atheist Reemtsma.

"Der Gott Hiobs ist eine menschliche Projektion der Gewalt, zu der wir fähig sind und an der wir selbst schuld haben. Das alles projizieren wir auf eine furchterregende Gottheit. Der Gott, zu dem ich bete, mit dem ich einen Bund geschlossen habe, ist ein Gott der Liebe und des Mitleids und nicht ein Gott, dessen Allmacht seine Liebe auslöscht."

Im letzten Kapitel des Buchs, als Hiob von Gott neue Kinder und neuen Besitz erhalten hat, sieht Ponet eine Verwandlung:

"Am Ende erleben wir ihn als Liebenden. Der alte Allmachts-Gott ist für ihn gestorben. Er erkennt die Schönheit des Lebens in seinen Töchtern, denen er Kosenamen gibt: …"

…die erste Täubchen, die zweite Zimtblüte. Die dritte Keren-Habppuch

Der Schluss macht das Buch zu einem frommen Text

Hiob starb alt und lebenssatt

Für die, die so sterben, wie Hiob in den Kapiteln davor lebt: arm, krank, einsam, gequält, bleibt der Text eine Zumutung. Wer Andere mit Hiob trösten will, landet schnell beim Vertrösten: Da waren sich bei der Tagung des Einstein-Forums in Potsdam alle einig. Der Atheist, der christliche Theologe, der Rabbi und die Moralphilosophin. Nur wer Hiobs Verlassenheit und Aufbegehren selbst schon einmal in sich gespürt hat, kann auch seine Einsicht teilen.

Sandra Neiman: "Die Welt ist ein Geschenk und Ich les das als ein Zeichen der Dankbarkeit, dass ich in der Welt lebe, dass man auch in der Welt etwas tun muss."
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