"Die europäische Kulturpolitik ist jetzt gefordert"

Octavie Modert im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 23.11.2009
Octavie Modert, Kulturministerin in Luxemburg, hat sich dafür ausgesprochen, die Massendigitalisierung von Büchern in Europa voranzutreiben. Sie glaube, dass die Digitalisierung "in den nächsten Jahren zu einem Eckstein der Kulturpolitik in Europa werden wird", sagte Modert vor dem in dieser Woche geplanten Treffen mit ihren europäischen Amtskollegen in Brüssel.
Liane von Billerbeck: Der Internet-Suchmaschinenbetreiber Google hat ein ehrgeiziges Ziel: Nicht weniger als eine digitale Weltbibliothek will er schaffen. Zehn Millionen Bücher hat Google bereits eingescannt, doch in dieser Weltbibliothek wird es – vorerst zumindest – nur englischsprachige Bücher geben. Aus den USA, Kanada, Australien und Großbritannien. So hat sich Google nach den Protesten der meisten europäischen Länder mit dem US-amerikanischen Verlegerverband und der dortigen Autorengewerkschaft geeinigt.

Am kommenden Donnerstag und Freitag treffen sich die europäischen Kulturminister in Brüssel, und dabei geht es auch darum, welche Folgen diese amerikanische Einigung für den europäischen Buchmarkt haben wird. Das wird beim Europäischen Rat der Kulturminister Thema sein. Mit dabei ist auch Octavie Modert, die Kulturministerin von Luxemburg, und mit ihr bin ich jetzt telefonisch verbunden. Madame Modert, ich grüße Sie!

Octavie Modert: Guten Tag!

von Billerbeck: Wie beurteilen Sie das jetzt beschlossene Google Books Settlement, von dem die europäischen Bücher, von den britischen abgesehen, ja ausgenommen bleiben?

Modert: Nun ja, im Moment ist es ja so, das neue Google Settlement Agreement dann also Staaten betrifft, die mit den USA eine gemeinsame Rechtskultur teilen und in denen auch der Büchermarkt und das Verlagswesen ähnlich organisiert sind. Google hat übrigens die nicht einbezogenen Staaten aufgerufen, separat Abkommen mit ihnen, mit Google Books, abzuschließen.

Diese neue Version bedeutet also für Europa eigentlich eine leichte Verbesserung, ändert aber wenig an der Grundproblematik, muss ich dazu sagen, denn die Risiken, die wir eingehen, wenn weltweit eine einzige Firma das Weltwissen verwalten sollte. Monopole oder quasi Monopolstellungen bergen immer Gefahren, und deshalb ist Europa doppelt gefordert. Es geht einerseits um die Verteidigung des europäischen Kulturschaffens und der langfristigen Sichtbarkeit des intellektuellen Schaffens Europas und andererseits jedoch auch um den freien und demokratischen Zugang zu Wissen und Kultur im Allgemeinen.

von Billerbeck: Nun gibt es ja aber auch nicht die nicht unbegründete Angst, dass der europäische Buchmarkt international abgeschnitten werden könnte von der Digitalisierung. Also wir haben hier mit Gottfried Honnefelder gesprochen, das ist der Vorsteher des Deutschen Börsenvereins, und der hat sich dazu wie folgt geäußert:

Gottfried Honnefelder: Was ein Erfolg ist, ist die Tatsache, dass es für unser Rechtsempfinden unerträglich war, dass von Gerichts wegen in den Vereinigten Staaten darüber befunden wird, wie deutschsprachige Bücher urheberrechtlich behandelt werden. Das ist nun weg.

Nur ein Erfolg im Sinne der Entwicklung, die mit diesem Google Settlement sich vollzieht, ist es natürlich nicht, denn der Markt, den Google dort bedient, wird nun weitergehen, ohne dass er die europäischen Sprachen außer dem Englischen mit einschließt, und entwickelt sich einfach weiter. Man kann also daneben stehen nun und ist nicht mehr mit erfasst und fragt sich vielleicht zu Recht: Ist das nun gut oder ist das nicht gut?

von Billerbeck: Teilen Sie diese Sorge, dass der europäische Markt da nun abgeschnitten sein könnte?

Modert: Ja, die Gefahr, dass Europa abgehängt wird, kann man nicht leugnen, das ist wohl wahr. Diese Gefahr wurde aber auch von uns allen und den maßgebenden europäischen Akteuren erkannt. Es ist natürlich jetzt an der Politik, also an uns, zu helfen, das notwendige Bewusstsein zu schaffen.

Denn hier geht es nicht nur um Kultur im engen Sinne, sondern um demokratischen Zugang, wie ich schon sagte, zu Wissen und dann auch um die Kompetitivität auf dem, ja, Schlachtfeld fast der neuen Technologien und der wirtschaftlichen Umschichtung, die im Entstehen ist. Wir sind also wirklich gefordert, damit diese Gefahr, die man nicht leugnen kann, dann doch nicht so eintreten würde.

von Billerbeck: Fragen wir doch mal danach, wie weit ist denn die Digitalisierung von Büchern in Europa ohne Google?

Modert: Ja unterschiedlich weit, glaube ich. Also ich glaube, dass es auch in Europa große Anstrengungen auf dem Gebiet gibt, zum Beispiel in Frankreich, in Norwegen oder Dänemark, auch in Deutschland, und auch ganz besonders hier in Luxemburg habe ich diese Bewegung unterstützt. Und da müssen wir natürlich noch weiter fahren dabei.

Es gibt also sehr unterschiedliche Digitalisierungsergebnisse, -resultate und auch -erfolge in dem Sinne. Ich möchte aber auch auf Europeana hinzeigen, das ist ja die europäische digitale Bibliothek, und die entspricht der europäischen Ambitionen, die Anstrengungen hier in Europa zu bündeln, die digitale Kompetenz auch in Europa zu entwickeln und das europäische Kulturgut sichtbarer zu machen. Es ist von fundamentaler Wichtigkeit, dass es auf dem Gebiet der Digitalisierung keine Monopolstellungen geben wird, wie sich auch schon angedeutet hat.

Auch das, glaube ich, ist eine wichtige Antwort auf die vorher gestellte Frage. Ich möchte jedoch auch mal noch darauf hinweisen, dass die Qualität der in Europa digitalisierten Dokumente in jeder Hinsicht mit der Qualität der von Google digitalisierten Bücher konkurrieren kann. Es fehlt zwar leider noch zurzeit in Europa an der kritischen Masse, das stimmt wohl, denn auch Europeana stehen noch nicht genügend digitalisierte Bücher zur Verfügung. Deshalb müssen wir auch die Massendigitalisierung in Europa vorantreiben.

von Billerbeck: Nun gibt es ja in Europa Bibliotheken beispielsweise, die arbeiten mit Google zusammen, andere nicht. Warum sind denn in Europa keine gemeinsamen Aktionen möglich, wieso ist dieses Europeana, was Sie eben geschildert haben, ja noch gar nicht so sehr bekannt, dass sich da alle freuen und quasi Schlange stehen, um da ihre Bücher digitalisieren zu lassen?

Modert: Ja, das ist schon so, dass natürlich einige mit ihnen zusammenarbeiten, und ich glaube, die europäische Kulturpolitik ist jetzt gefordert sicherlich. Es ist natürlich keine gemeinsame Politik, kein gemeinsames Politikfeld, wie man das im Fachjargon ausdrückt, sondern es ist nationalstaatliche Kompetenzen weiterhin.

Es ist aber sehr wichtig, dass Europa auch auf Ebene der Union, das heißt auch auf Ebene der Kommission, das Heft in die Hand nimmt, damit es auch konsequent und kohärent natürlich ganz besonders weiterbetrieben wird. Und deshalb glaube ich, dass Digitalisierung mit all dem, was damit zusammenhängt, in den nächsten Jahren zu einem Eckstein der Kulturpolitik in Europa werden wird.

von Billerbeck: Sie haben gesagt, die Verlage, Bibliotheken und Verwertungsgesellschaften in Europa sollen zusammenarbeiten, auch wenn Kultur eine nationale Aufgabe ist – in Deutschland ist es noch schlimmer, da ist es sogar eine föderale Aufgabe. Die Frage aber an Sie, Sie haben ja gesagt, die Politik ist gefordert, Sie und Ihre Kollegen sprechen am Donnerstag darüber: Was sind denn die Dinge, mit denen Sie helfen können, was ist das, was Sie als europäische Kulturminister jetzt beitragen können zur Verbesserung der Digitalisierung europäischer Bücher?

Modert: Na ja, das ist wesentlich, wesentlichst eine Aufgabe der nationalen Staaten. Wir müssen also selbst Budget und Haushaltsmittel, personelle Mittel zur Verfügung stellen. Ich glaube aber auch, dass das Thema und die Arbeit so wichtig ist, dass auch einige Mittel aus den europäischen Fonds zur Verfügung gestellt werden müssten. Im Moment ist es wohl so, dass nach etlichem Hin und Her während ein paar Jahren das Ganze von europäischen Geldern finanziert wird.

Ich glaube, dass die Arbeit so wichtig ist und auch einen so europäischen Kontext trotzdem hat und in den gesetzt werden muss, dass man natürlich auch dazu dann logischerweise die Konsequenz ziehen muss, dass auch europäische Gelder zur Verfügung stehen müssten. Sie haben aber Recht mit …

von Billerbeck: Werden Sie sich darüber mit Ihren Kollegen einigen können am Freitag, was meinen Sie?

Modert: Das weiß ich noch nicht. Es ist im Wesentlichen eine Diskussionsrunde, die auch über Tisch auch, das heißt eigentlich keine Entscheidungsrunde, sondern eine Diskussionsrunde.

von Billerbeck: Über die Zukunft der Buchdigitalisierung in Europa sprach ich mit Luxemburgers Kulturministerin Octavie Modert. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!