"Die Erfolge sind markant"

Folker Hellmeyer im Gespräch mit Jan Christoph Kitzler · 11.05.2011
Der Chefanalyst der Bremer Landesbank, Folker Hellmeyer, hat die Erfolge Griechenlands bei der Bekämpfung der Neuverschuldung hervorgehoben. Er sehe das Land auf einem guten Weg, sagte er, und widersprach anderen Darstellungen.
Jan Christoph Kitzler: Griechenland ist das Sorgenkind der Eurogruppe. Schon jetzt geht es nur voran mit dem Eurorettungsschirm, mit 110 Milliarden greift Europa und der Internationale Währungsfonds Griechenland unter die Arme, doch möglicherweise reicht das nicht. Möglicherweise braucht das Land 2012 und 2013 noch mal rund 60 Milliarden Euro zusammengerechnet. Die Auflagen für diese Kredite, sie sind hart, und seit gestern kontrollieren die Europäische Zentralbank, die EU und der Internationale Währungsfonds, ob Griechenland denn seinen Sparauflagen auch nachkommt. Aber was ist angesichts der Lage in Griechenland überhaupt zu tun außer ruhig Blut bewahren? Darüber spreche ich jetzt mit Folker Hellmeyer, er ist Chefanalyst der Bremer Landesbank. Schönen guten Morgen!

Folker Hellmeyer: Guten Morgen!

Kitzler: Ist Griechenland ein Fass ohne Boden?

Hellmeyer: Für mich ist Griechenland kein Fass ohne Boden. Griechenland ist fraglos das fragilste Land in der Eurozone, wenn es um die fiskalische Situation geht, aber es ist kein Fass ohne Boden, und ich möchte es deutlich machen: Griechenland hat im letzten Jahr die größte Reduktion der Neuverschuldung in der Geschichte der Industrienationen auf die Beine gestellt – dabei zwar das Sparziel verfehlt, aber es gibt kein Land, das jemals mehr Reduktion auf die Beine gestellt hat, von einer Neuverschuldung in Höhe von 15,4 Prozent auf 10,5 Prozent der Wirtschaftsleistung runter. Damit bewegt sich Griechenland jetzt im Bereich der Neuverschuldung der USA und Japans, also insofern ist dieser Vergleich, glaube ich, schon einmal sehr zielführend. Und der andere Punkt ist, dass das Geschäftsmodell Griechenlands sehr wohl umgebaut worden ist und wir sehen es, wenn die Handelsbilanzzahlen nehmen. Es wurde immer wieder gesagt, von den Gegnern Griechenlands oder von denen, die einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone fordern, dass die Geschäftsmodelle dieser Länder nicht tragfähig sind, weil es riesige Handelsbilanzdefizite gibt. Griechenland und Portugal werden bis Ende des Jahres die Handelsbilanzdefizite um circa 60 Prozent reduzieren, Spanien schafft es sogar um 85 Prozent in der Phase 2008/2011. Das ist Ausdruck dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind und dass es kein Fass ohne Boden ist.

Kitzler: Das Sparen funktioniert in Griechenland, das haben Sie gesagt, aber mit den Einnahmen sieht es immer noch schlecht aus. Es besteht ja die Gefahr, dass Griechenland mit den strengen Auflagen, auch von der EU, auch von Deutschland, die eigene Wirtschaft kaputt spart – sind die Forderungen überzogen?

Hellmeyer: In der Tat. Also insbesondere, wenn wir zurückdenken an die Phase März/Mai letzten Jahres, 2010, als Frau Merkel immer wieder noch stringentere Reformen einforderte und das sehr publik machte über die üblichen Medien, war so, dass man Griechenland schlussendlich überfordert. Das heißt, die positiven Effekte, die aus den Strukturreformen herauskommen – und das sind markante Strukturreformen, man dereguliert dieses Land markant –, die werden unterbunden, einfach dadurch, dass im Endeffekt der Geldfluss innerhalb der Ökonomie sehr stark eingeschränkt ist. Wenn wir mal dran denken, die Benzinpreise haben sich verdoppelt innerhalb von zwölf Monaten, wir haben eine Situation, wo Brotpreise teilweise sich vervierfacht haben. Das heißt, der Kampf um das tägliche Leben in Griechenland ist sehr, sehr ausgeprägt. Und insofern gilt es hier, maßzuhalten. Wenn wir Griechenland wirklich helfen wollen, dann müssen wir ein Strukturprogramm, ein Reformprogramm auf die Beine stellen, das es der Wirtschaft ermöglicht, weiter zu atmen, um dann auch die positiven Erfolge aus den Strukturreformen in einer sinnvollen Zeitfolge zu gewährleisten.

Kitzler: Gibt es für Sie und für Ihre Analystenkollegen eigentlich so eine Art Grenze, wo man sagt, so weit ist Sparen okay, ab diesem Punkt wird es kontraproduktiv?

Hellmeyer: Das ist ein sehr diffiziler Prozess, das genau festzulegen. Dafür haben wir EU, dafür haben wir IWF vor Ort, um das zu überprüfen, und ich kann hier nur die warme Empfehlung geben, dass man durchaus etwas großzügiger hier agiert, denn die Erfolge, die Griechenland auf die Beine gestellt hat, sind markant. Ich möchte das noch mal betonen: Wir hatten letztes Jahr eine Kontraktion der Wirtschaftsleistung mit viereinhalb Prozent, vor dem Hintergrund sind diese Sparleistungen nahezu sensationell. Und es gilt, das in dem Maße auch einzuwerten. Griechenland ist auf einem guten Weg, Griechenland ist willig, ja, Griechenland war der Pinocchio der Vergangenheit, Nase von Athen bis Bosporus, aber diese Nase ist mittlerweile ab. Und es ist wichtig, dass die Integrität der Eurozone aufrechterhalten wird, das möchte ich an dieser Stelle auch mal sagen. Es geht nicht nur um Griechenland, es geht um viel, viel mehr. Wir haben gesehen in den letzten 18 Monaten, dass immer bei einer Schwäche eines peripheren Landes der Eurozone spekulative Attacken sofort zunehmen. Wenn Griechenland fällt, dann steht die Integrität der Eurozone zur Disposition, und schlussendlich ein Dilemma, das viel, viel größer ist als das von Lehman für den internationalen Finanzsektor und damit auch für die globale Wirtschaft. Die Erholung, die wir in der Weltwirtschaft haben, ist schlussendlich auch eine Folge der Intervention, da gilt es, auch in Deutschland mal etwas Demut zu haben. Wir hatten in der Spitze 33,5 Billionen US-Dollar Interventionsvolumen auf Basis aller großen Industrienationen und Schwellenländer, der sogenannten G30-Gruppe, und davon profitiert Deutschland. Das heißt, das hohe Ross, auf dem wir sitzen, das ist in meinen Augen nicht ganz angebracht. Wir brauchen die Demut, dass auch wir erkennen, dass man uns auf G30-Ebene, gerade mit unserem exportlastigen Modell, massiv geholfen hat. Und wenn wir jetzt damit spielen, indem wir die Integrität der Eurozone zur Disposition stellen oder auch Griechenland in ein Schicksal, in ein nicht übersehbares Schicksal stoßen, dann tun wir uns am Ende hier selber weh.

Kitzler: Trotzdem, das Problem ist ja, es liegt sehr, sehr viel Geld auf dem Tisch, sehr viele Milliarden, auch von deutschen Steuerzahlern, und den Vergleich, den ich jetzt wähle, den werden Sie vermutlich entrüstet zurückweisen, aber ist es nicht so, dass die EU und auch der IWF so ein bisschen wie Pokerspieler sind, die eigentlich zu viel eingesetzt haben, als dass man jetzt noch aussteigen könnte, und denen jetzt eigentlich nur noch das Bluffen bleibt?

Hellmeyer: Nein, ich sage, es ist zu wenig, um das ganz deutlich zu sagen. Ich halte da absolut dagegen, und ich möchte Ihnen die Zahlen darstellen. Wir haben jetzt eine Rettungsabschirmung von 110 Milliarden Euro, Griechenland hat eine Gesamtverschuldung von 340 Milliarden Euro. Die ist im Endeffekt relativ klein, wenn Sie sie auch mal in ein Verhältnis setzen zu den Interventionen, die wir nach der Lehman-Pleite hatte, 33.500 Milliarden Dollar und eine Gesamtverschuldung, wenn wir es auf Dollar umsetzen, 485 Milliarden US-Dollar bei Griechenland. Das sind Größenordnungen, weswegen man nicht ein Konstrukt der Eurozone, das seit 50 Jahren von Konrad Adenauer und de Gaulle aufgesetzt worden ist, zur Disposition stellt. Und das Land Griechenland ist auf einem guten Weg, und ich kann nur sagen, hier gilt es, noch mehr Interventionsmasse darzustellen. Das wurde auch im April 2009 in der Spitze der globalen Finanzkrise gemacht, da war der Mantel der Intervention größer als das, was wirklich gebraucht worden ist. Ich möchte noch einen Tipp geben: Das eine ist die Abschirmung, die wir für Griechenland bieten können, um damit auch die Integrität der Eurozone zu erhalten und damit das Geschäftsmodell auch Deutschlands, denn mehr als 60 Prozent unserer Exporte gehen in diese Region hinein. Das heißt, wir haben ein elementares Interesse, die Integrität zu halten. Aber das Beste, was es gäbe, ist im Endeffekt der Vorschlag, der auch von Bert Rürup vorgetragen wird, nämlich dass wir einen Eurobond aufsetzen. Dann schirmen wir diese peripheren Länder ab, sie können ihre Reformpolitik umsetzen und wir schaffen Zukunftsfähigkeit für Europa. Und hier möchte ich noch einen Punkt anfügen, und der wird in der ganzen Diskussion vollkommen außer Acht gelassen: Die Eurozone ist die Region in der Welt, die in einer Krise im Vergleich zu USA und Japan, zu den anderen beiden großen Wirtschaftsräumen der westlichen Welt, am besten abgeschnitten hat. Unsere Neuverschuldung lag zwischen sechs bis sieben Prozent, mit abnehmender Tendenz 2009/2010, und dieses Jahr wird sie unter sechs Prozent fallen. Dagegen haben Amerika, Japan Neuverschuldungen von zehn bis zwölf Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Gesamtverschuldung der Eurozone ist hoch, ja, bei 85 Prozent, aber Amerika liegt bei 100 Prozent, Japan bei 230 Prozent. Auch da sind wir Weltmeister im Vergleich. Im nächsten Punkt ist es so, dass wir die einzige Region sind, die überhaupt Strukturreformen machen, und das sind die stringentesten Reformen in der Geschichte der Industrienationen, die wir in Europa umsetzen. Und ich sage ganz offen, ich bin jetzt schon ein Stück weit schockiert, dass viele meiner Kollegen und einige Wissenschaftler auch überhaupt keinen Respekt vor diesem Leistungsprofil haben, das wir hier in der Eurozone, in dieser sehr kritischen Zeit, die vergleichbar ist mit der Weltwirtschaftskrise 29/32, haben. Es gilt hier, Demut vor dem Schicksal zu haben und auch zu erkennen, dass der europäische Weg, den wir gehen, im Moment der beste ist, der im Bereich der Industrienationen vorgenommen wird. Und das gewährleistet in meinen Augen sehr wohl auch einen Eurobond, um diese kleineren Länder, die übrigens insgesamt sieben Prozent der Wirtschaftsleistung der Eurozone erzielen, hier nicht dem Schicksal zu überlassen.

Kitzler: Und eine Pleite Griechenlands ist also keine Alternative, so verstehe ich Sie richtig. Das war Folker Hellmeyer, der Chefanalyst der Bremer Landesbank. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Hellmeyer: Gerne!
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