"Die Eltern sind die Nachhilfelehrer der Nation"

Moderation: Nana Brink · 21.01.2008
Die Bildungsreform, das Abitur bereits nach acht Jahren abzuschließen, findet auf dem Rücken von Kindern, Lehrern und Eltern statt, kritisiert Katharina Georgi-Hellriegel. Die Sprecherin der Stuttgarter Elterninitiative G8, die einen Forderungskatalog für eine bessere Umsetzung des Gymnasiums von acht Jahren aufgestellt hat, wünscht sich geringere Klassenstärken und zwei betreuende Lehrer pro Klasse.
Nana Brink: Und wir sind jetzt verbunden mit Katharina Georgi-Hellriegel. Sie ist Sprecherin der G8-Elterninitiative und G8, wir haben es gehört, steht für Gymnasium nach acht Jahren. Schönen guten Morgen!

Katharina Georgi-Hellriegel: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Die Stimmen, die wir gerade gehört haben, lassen das Experiment Abitur nach acht Jahren fragwürdig erscheinen. Ist die Idee ein Flop?

Georgi-Hellriegel: Ich denke, wenn sie besser vorbereitet gewesen wäre von den Kultusministern, hätte man durchaus darüber reden können. Das Problem meines Erachtens ist, dass sehr viel an die Schulen gegeben wird, dass kein vernünftiges Konzept existiert, sondern dass jede Schule im Grunde vor sich hinwurschtelt.

Brink: Was ist denn schiefgelaufen bei der Umstellung? Es wurde ja nun als ganz große Reform eingeplant. Und die damalige CDU-Kultusministerin Annette Schavan hatte ja gesagt, die Schüler sollten schneller studieren, schneller auf den Arbeitsmarkt. Gab es da keine Unterstützung bei der Umstellung?

Georgi-Hellriegel: Wie gesagt, das Konzept wurde ja vorher ausprobiert, aber leider unter völlig anderen Voraussetzungen, das heißt mit sehr kleinen Klassen, mit durchaus motivierten Schülern, mit Eltern, die die Auswahl hatten, ob sie ihre Kinder in acht Jahren oder in neun Jahren Abitur machen lassen. Und das ist meines Erachtens auch der Grund, warum es jetzt nicht funktioniert. Sie können nicht Sachen, die sie vorher mit 20 Schülern in der Klasse durchaus erfolgreich umgesetzt haben, wo genügend Zeit blieb für Förderung, für Nachhilfe im Grunde auch von den Lehrern, wenn es bei den Schülern vielleicht nicht so funktionierte, können Sie jetzt nicht übertragen in Klassen mit bis zu 33, 34 oder auch 36 Schülern in den Privatschulen.

Brink: Und dieses Problem war dem Kultusministerium nicht bewusst?

Georgi-Hellriegel: Da fragen Sie mich zuviel. Das müssten Sie Herrn Rau fragen. Aber ich denke, dass es zu sehr mit der heißen Nadel gestrickt wurde, dass man sich nicht klargemacht hat, was tatsächlich auf die Kinder zukommt, dass man nicht genügend Personal zusätzlich zur Verfügung gestellt hat, also mehr Lehrer, zum Teil auch mit Teamteaching. Auch die Lehrer werden ja allein gelassen mit diesen riesigen Klassen. Und es gibt dann teilweise Situationen, dass Lehrer im Grunde erklären, es tut mir leid, ich muss mit meinem Stoff durchkommen. Wer es jetzt noch nicht kapiert hat, zum Beispiel in Mathe, der muss gucken, dass er sich das zu Hause mit den Eltern aneignet.

Brink: Dröseln wir das Ganze doch mal auf. Sie haben von der Überforderung der Schüler und der Lehrer gesprochen. Wie hat man denn den Lehrplan eigentlich angepasst an diese verkürzte Schulzeit?

Georgi-Hellriegel: Ja, eigentlich sollte es ja so sein, dass nicht eine Stofffülle gelehrt wird, nicht so, wie früher, möglichst viel Stoff, sondern da sollte gekürzt werden. Und es sollten eigentlich Kompetenzen vermittelt werden, was ja eine gute Sache ist. Aber leider, dadurch, dass eben die Schulen zu schlecht vorbereitet wurden, dass keine direkten Richtlinien von den Kultusministern vorgegeben werden, dass man sagt, das wird gelehrt, das fällt weg, sondern eben nur, jeder kann sich es aussuchen, sind die Schulen allein gelassen. Und teilweise wirklich existieren dann Sachen, dass die Lehrer noch mehr hineinpacken, weil ja auch diese Vergleichsarbeiten in gewissen Klassen bevorstehen und die Schulen Angst haben, dass dann unter Umständen ihre Kinder hinten runterfallen und dann die Schule schlecht bewertet wird.

Brink: Wir sprechen mit Katharina Georgi-Hellriegel. Sie ist Sprecherin der G8-Elterninitiative für das Abitur nach acht Jahren Gymnasium. Sie haben ja gesagt, Sie sind nicht generell gegen eine achtjährige Schulzeit auf dem Gymnasium?

Georgi-Hellriegel: Nein. Es gibt ja durchaus Vorbilder, zum Beispiel in Finnland, die diese Umstellung sehr gut hinbekommen haben. Aber da sind die Voraussetzungen natürlich auch vollkommen anders.

Brink: Was sind denn die Folgen dieses verkürzten Unterrichtes. Wir haben es schon ein bisschen gehört in unserem Beitrag, überforderte Kinder, überforderte Eltern, überforderte Schüler?

Georgi-Hellriegel: Das muss ich leider bestätigen aus meiner Erfahrung von den Stuttgarter Gymnasien und auch im Umfeld, wo mich immer wieder Anfragen bzw. Beschwerden auch erreichen, dass die Kinder wirklich nur noch Schule machen, ein soziales Umfeld wird im Grunde gestrichen. Freunde zu treffen, man hat es ja auch vorher schon gehört, ist wirklich, wenn überhaupt, nur noch am Wochenende möglich, wenn die Kinder nicht nacharbeiten müssen, vorarbeiten müssen, für Arbeiten lernen müssen, teilweise zwei Arbeiten an einem Tag. Das ist eine Überforderung, die in meinen Augen wirklich nicht zulässig ist für die Kinder. Die Kinder reagieren tatsächlich dann mit körperlichen Beschwerden, mit psychosomatischen Beschwerden. Und das alles sind Dinge, wo ich meine, das muss nicht sein. Und vor allen Dingen, was steht am Ende dann, nach dem Abitur? Vielleicht wirklich gut ausgebildete Leute in kürzerer Zeit, aber dafür auch Kinder, junge Leute, die verlernt haben, wie man Hobbys pflegt, wie man Freunde gewinnt und Freundschaften auch erhält.

Brink: Nun haben Sie die ganze Kritik ja gebündelt. Sie läuft ja auch bei Ihnen auf als Elternsprecherin der Elterninitiative Stuttgart. Was wäre denn Ihre Vision? Was müsste denn besser werden? Und wer und wo müsste es angeleiert werden?

Georgi-Hellriegel: Selbstverständlich hat da der Schwarze Peter das Kultusministerium. Und ich denke, was vor allen Dingen dringend nötig wäre, wäre eine Reduzierung der Klassenstärken auf nicht mehr als 25 Kinder pro Klasse, möglichst auch zwei Lehrer in einer Klasse, dass man zur Not sagen könnte, die Kinder, die jetzt vielleicht dann noch Nachholbedarf haben, die noch in Mathematik oder in anderen naturwissenschaftlichen Fächern vielleicht Dinge nicht kapiert haben, dass die in einer kleineren Gruppe zusammengefasst werden können, dass die Nachhilfe tatsächlich in der Schule stattfindet und nicht, wie jetzt, zu Hause bei den Eltern. Die Eltern sind momentan die Nachhilfelehrer der Nation.

Brink: Hört man im Kultusministerium in Baden-Württemberg nicht auf Sie? Ich könnte mir vorstellen, dass Sie das schon vorgetragen haben dort?

Georgi-Hellriegel: Das haben wir versucht. Aber leider ist Herr Rau beratungsresistent, nicht gesprächsbereit mit den Eltern.

Brink: Das ist der Kultusminister in Baden-Württemberg.

Georgi-Hellriegel: Genau, ja. Er ist nicht bereit, mit uns überhaupt Kontakt aufzunehmen oder auf unsere Anfragen zu reagieren. Er ist der Ansicht, es sind Einzelfälle, wenn es nicht funktioniert. Und ich empfinde es dann auch schon wirklich fast als beleidigend, wenn gesagt wird: Wenn es nicht funktioniert, müsste man sich überlegen, ob das Kind tatsächlich am Gymnasium an der richtigen Stelle wäre.

Brink: Wenn Sie solche Probleme in Baden-Württemberg haben, dann fragt man sich ja ein bisschen oder stellt sich vor: Schauen Sie doch mal nach Thüringen oder Sachsen, da gibt es das schon seit Jahren, das Abitur nach acht Jahren. Warum geht das dort und bei Ihnen nicht?

Georgi-Hellriegel: Leider ist ein direkter Austausch mit Thüringen bisher noch nicht zustande gekommen. Wir müssten uns da vielleicht mal drum bemühen. Aber die Sachen, die ich kenne, sind, dass die Klassenstärken wirklich sehr viel niedriger liegen als bei uns. Und auch das, was jetzt natürlich auch eine andere Schule betrifft, dass zum Beispiel die Hauptschule nicht mehr existiert, sondern zusammengefasst wurde mit der Realschule in der Regelschule. Aber was das Gymnasium anbetrifft, denke ich, dass sehr viel eine große Rolle spielen könnte, tatsächlich diese kleineren Klassen, die natürlich mehr Platz für den einzelnen Schüler lassen.

Brink: Vielen Dank, Katharina Georgi-Hellriegel! Und sie ist Sprecherin der G8-Elterninitiative Stuttgart. Und wir sprachen mit ihr über die Erfahrungen nach der Einführung des Abiturs nach acht Jahren in Baden-Württemberg.