"Die Drohne ist nicht der größte Skandal"

Michael Brzoska im Gespräch mit Ute Welty · 06.06.2013
Michael Brzoska, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), hat die Kritik an Verteidigungsminister de Maizière relativiert und die Kumpanei zwischen Rüstungsindustrie, Militär und Politikern kritisiert.
Ute Welty: Rüstungsprojekte scheinen enge Verwandte von Elbphilharmonien oder Flughäfen zu sein: teurer als geplant, später als geplant, und so richtig auf Anhieb funktionieren sie meist auch nicht. Seit Jahren wartet die Bundeswehr auf ein neues Transportflugzeug, den A400M. Der Panzer Puma ist zu teuer und auf der Korvette 130 deutlich mehr als eine Schraube locker, und vom Drama um die Drohne war in den letzten Tagen ausreichend die Rede. Und auch der Verteidigungsminister, der ansonsten nicht ganz das große Wort im Munde führt, der musste sich reichlich äußern!

O-Ton Thomas de Maizière: Die Tragweite solcher Entscheidungen, sowohl vom Volumen her wie auch von der strategischen Bedeutung dieser Fähigkeit, verlangt es, dass der Minister früher beteiligt wird. Und ich will jetzt nicht darüber richten, ob ein Staatssekretär mich darüber informieren muss oder ob ich nachfragen muss, das war nicht gut!

Welty: Warum aber tut sich die Bundeswehr so schwer mit ihren Rüstungsprojekten? Mit möglichen Antworten auf diese brisante Frage hat sich der wissenschaftliche Direktor des Institutes für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg beschäftigt, guten Morgen, Michael Brzoska!

Michael Brzoska: Guten Morgen!

Welty: Ob Panzer, Schiff, Flugzeug, Hubschrauber oder Drohne: Warum kann die Bundeswehr kein Gerät einkaufen, was funktioniert?

Brzoska: So kann man es, glaube ich, nicht sagen.

Welty: Aber die Formulierung war schön, oder?

Brzoska: Am Ende funktionieren viele Geräte dann doch, aber … Die Formulierung war schön! Aber es ist selten, dass Projekte so preislich am Ende herauskommen, wie man es vorher geplant hat, und auch zeitlich häufig viel später erst. Und insofern ist es schon richtig zu sagen, es gibt offensichtlich wenig Projekte, die vernünftig geplant und vernünftig durchgeführt werden. Und woran liegt es?

Ich glaube, es liegt zum einen daran, dass es eben in der Regel Projekte sind, wo man am Anfang gar nicht weiß, wie sie verlaufen werden, das sind Hochtechnologieprojekte mit hohem technologischem Risiko, manchmal – wie bei der Drohne – auch anderen Risiken; und zum Zweiten liegt es daran, dass es eine Kumpanei gibt zwischen Rüstungsindustrie, den Beschaffern in den Ministerien, auch den Soldaten, wo man immer die Preise zu Anfang zu niedrig ansetzt, viel zu optimistisch ist, damit das dann auch genehmigt wird, das Projekt, und immer davon ausgehen kann, dass im Laufe des Vorhabens dann doch alle Fehler irgendwie toleriert werden.

Denn – und das ist auch ein großes Problem - letztendlich ist ja die Rüstungsindustrie bei uns geschützt. Sie kann nicht pleite gehen, weil wir wollen eine nationale Rüstungsindustrie, jedenfalls ist das die offizielle Bundespolitik, und es gibt ganz wenige Hersteller immer nur. Die müssen kaum Konkurrenz fürchten. Deswegen, am Ende, selbst wenn da vieles schief läuft, bezahlt wird immer!

Welty: Gilt das eigentlich nur für die Bundeswehr oder auch für andere Armeen, nur dass wir es da nicht so sehr mitbekommen?

Brzoska: In der Tat ist es kein deutsches Phänomen, sondern es gibt eigentlich in allen Ländern, in denen es auch eine nationale Rüstungsindustrie gibt, auch riesige Probleme mit den Beschaffungsvorhaben. In den USA ist das sehr ausgeprägt, wo also auch im Moment wieder große Projekte riesige Kostenüberschreitungen haben, aber auch bei kleineren Ländern.

Es gab ein Land, die hatten das mal einigermaßen im Griff, das war Großbritannien in den 90er-Jahren, 80er-, 90er-Jahren, die hatten damals im Grunde genommen gesagt, wir machen das jetzt im Wettbewerbsverfahren. Wir sagen nicht, wir kaufen national, sondern wir kaufen wirklich bei dem, der das am billigsten anbietet, und mit Festpreisen. Das hat eine Weile lang ganz gut funktioniert, bis dann wirklich die nationale Rüstungsindustrie ein Problem bekam und man dann beschlossen hat, politisch, nein, das wollen wir auch wieder nicht. Und insofern ist jetzt auch in Großbritannien wieder die alte Situation da, dass die Beschaffungsprojekte problematisch sind.

Welty: Ja, Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat es ja gestern dann so formuliert, man wolle national unabhängig sein mit seinen Rüstungsprojekten. Ist das der Kern des Problems?

Brzoska: Es ist sicherlich ein riesiger Anteil an dem Problem, dass man eine nationale Rüstungsindustrie behalten will, die aber ja nicht wettbewerbsmäßig organisiert werden kann, weil die dazu zu klein ist, die auch häufig die Dinge noch mal wieder neu erfinden muss, die im Ausland schon mal erfunden worden sind, und dafür auch hohe technologische Risiken eingeht, denn man weiß ja nicht, wie es ist, obwohl es das schon gibt auf dem Markt, muss man das selber noch mal neu erfinden. Also, ich denke, dass dieser nationale Ansatz auch veraltet ist, wir leben ja in einem Europa mindestens, was sonst in der Industrie ja sehr zusammenarbeitet.

Welty: Also, es muss nicht jedes Land unbedingt ein eigenes Kampfflugzeug entwickeln?

Brzoska: Nein. So machen wir es ja auch nicht, sondern wir machen es in Kooperation, wobei das auch wieder Probleme macht, aber schon in anderen Bereichen, bei den Schiffen, aber auch bei den Panzern ist es eigentlich nicht sinnvoll, dass da so viele Projekte gleichzeitig gefahren werden.

Welty: Wie lässt sich denn diese Vermengung von nationalem Interesse und wirtschaftlichem Interesse zerschlagen? Gibt es da überhaupt eine Chance, da aufzuräumen und ein bisschen diesen Filz zu entzerren?

Brzoska: Ich denke, schon. Es gibt ja durchaus – das haben wir jetzt auch bei den Drohnen wieder gesehen – bei uns auch Kontrollinstanzen, im Bundesrechnungshof etwa, die immer wieder warnen. Also, wenn man diese Berichte, die ja leider nicht immer öffentlich sind, manchmal sieht, dann sieht man schon, dass da sehr viel auch an Wissen über die Probleme da ist. Allerdings wird das im Parlament dann häufig nicht sehr ernst genommen, und das ist auch ein Teil des Problems, dass eben im Parlament gerade die Abgeordneten, in deren Wahlkreisen Rüstungsfirmen sind, häufig auch diejenigen sind, die über Beschaffung entscheiden. Das heißt, in dieser Gemengelage von Industrie, Beschaffern und Militär sind die Abgeordneten auch ein Faktor, die eben ein großes Interesse haben, in ihre Heimatwahlkreise Beschäftigung zu bekommen. Und dafür sind Rüstungsvorhaben immer noch gut, auch wenn sie schief laufen, ja vielleicht sogar gerade dann, weil dann ja noch mehr Geld fließt!

Welty: Kommt’s noch mal wieder!

Brzoska: Genau.

Welty: Welcher Fehler ist sozusagen naturgegeben und welcher hausgemacht? Wenn zum Beispiel beim Starfighter Teile der Erprobung übersprungen werden und deswegen 166 Piloten sterben oder wenn der Puma, der Panzer, mit allen Teilen der Verkleidung einfach zu schwer ist, um im A400M transportiert zu werden?

Brzoska: Vieles läuft in der Tat auch schief, weil die Beteiligten zu optimistisch sind, weil die Beteiligten Eigeninteressen haben, weil die Beteiligten die Interessen anderer schützen wollen, etwa in der Rüstungsindustrie oder auch umgekehrt. Also das ist dieser Anteil, den soll man nicht unterschätzen. Man kann Rüstungsprojekte, glaube ich, besser fahren, allerdings müsste man dazu eben die verschiedenen Interessensgruppen stärker auseinander halten, trennen und letztendlich dann wirklich Kontrolle einführen, auch im Parlament, die ihren Namen verdient. Das kann man machen. Also, wie gesagt, das britische Beispiel ist zwar nicht eins, was in vielen Ländern zu finden, aber es gibt es doch. Letztlich allerdings ein paar Strukturprobleme, eben vor allen Dingen, dass es sich um Projekte handelt, die eben neue Technologie betreffen, und deswegen immer Risiken da sind, die wird man nicht ausbügeln können. Aber ich würde mal sagen, also ganz grob gesagt, fifty-fifty.

Welty: Jetzt merkt man ja auch in unserem Gespräch, dass man sich auch mit einer gewissen Lust in dieser Fehlerkultur suhlen kann, irgendwo zwischen Schildbürger und Zapfenstreich. Welcher Verteidigungsminister hat da überhaupt eine Chance?

Brzoska: Ja, es haben ja eine ganze Reihe von Verteidigungsministern das einigermaßen unterm Deckel halten können, was da gelaufen ist. Ich wundere mich bei dieser aktuellen Drohnenfrage auch, warum Herr de Maizière das jetzt bekannt gemacht hat. Das ist vielleicht sein größter Fehler, es wäre, glaube ich, relativ leicht gewesen, dieses ganze Verfahren bis in den Herbst zu retten, man hätte …

Welty: Bis nach der Wahl.

Brzoska: Bis nach der Wahl, man hätte immer sagen können, irgendwie, vielleicht funktioniert es ja doch noch mal mit dieser Luftzulassung. Insofern finde ich, dass er mutig war, dass er jetzt diese Entscheidung getroffen hat. Viele seiner Vorgänger haben einfach das irgendwie kaschiert, es gibt viele Rüstungsvorhaben, die gar nicht so in der Öffentlichkeit bekannt geworden sind, wo viel mehr Geld noch versenkt worden ist. Vielleicht die größten Geldversenker sind die Projekte, die erfolgreich waren, weil man es geschafft hat. Denken Sie etwa jetzt, wir haben 140 neue Kampfflugzeuge, wofür brauchen wir eigentlich diese Kampfflugzeuge? Wir beschaffen 53 A400M, Sie haben sie ja genannt, die Transportflugzeuge, jetzt, nachdem Afghanistan nicht mehr aktuell ist, wofür brauchen wir so viele Transportflugzeuge? Also, gerade wenn man sich überlegt, wo jetzt das Geld versenkt wird, dann ist die Drohne eigentlich, muss man leider sagen, nicht der größte Skandal.

Welty: Die Drohne als Schnäppchen, manchmal weiß man auch nicht, ob man lachen oder weinen soll! Michael Brzoska, wissenschaftlicher Direktor des Institutes für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg, ich danke fürs Interview hier in der "Ortszeit"!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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