Die DDR und die Westmedien

Rezensiert von Hans-Joachim Föller · 09.11.2008
In den meisten Teilen der DDR waren Fernseh- und Radioprogramme aus dem Westen zu empfangen. Aus Sicht der SED-Führung stellte das eine Bedrohung dar. Der Band "Operation Fernsehen" zeigt auf, mit welchen Methoden die Staatssicherheit gegen die Westmedien vorging und wie viel Einfluss sie tatsächlich ausüben konnte.
Einen stürmischen Herbst erlebte der Mitteldeutsche Rundfunk zehn Jahre nach der deutschen Vereinigung in den letzten Monaten des Jahres 2000. Wegen seiner nachsichtigen Stasi-Überprüfungen war der ARD-Sender in die Schlagzeilen geraten. Es rauschte im Zeitungsblätterwald. Über viele Monate enthüllten verschiedene Medien die Vergangenheit inoffizieller Stasi-Mitarbeiter, die im Dienst des Senders standen. Das Spottwort vom MDR-Stasi-Stadl machte die Runde. Die erfolgreichste ARD-Anstalt, wie sich der Sender gerne pries, hatte ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, das auf den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausstrahlte. Dadurch angestoßen, vergab die ARD den Auftrag an den Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin, den Einfluss des MfS auf den Rundfunk in der DDR sowie in der Bundesrepublik Deutschland zu erforschen. Juristische Querelen verzögerten zunächst die Veröffentlichung. Nun präsentiert das Buch "Operation Fernsehen" wesentliche Erkenntnisse der Untersuchung über die Tätigkeit der Stasi im Rundfunk beider deutscher Staaten.

Zu den wesentlichen Kennzeichen totalitärer Herrschaftssysteme gehört ein Medienmonopol. Zwar hatte die SED in der DDR die Zügel der Informationspolitik fest in der Hand. Doch ein wirkliches Informationsmonopol ergab sich daraus nicht. Denn in fast allen Bezirken konnten Westsender empfangen werden.

"Die SED-Führung sah in den westdeutschen Hörfunk- und Fernsehsendungen eine elementare Bedrohung der von ihr angestrebten weltanschaulichen Hegemonie. SED und MfS bekämpften die Hörfunk- und Fernsehanstalten der ARD als Propaganda- und ,Diversionszentralen’ der Bundesregierung. Die Aufgabe dieser Medien bestand nach Auffassung von SED und MfS in der Verherrlichung des kapitalistischen Systems, in der Propagierung der westlichen Lebensweise sowie in der Aufwiegelung von DDR-Bürgern gegen die sozialistische Ordnung."

Dieses Zerrbild enthält einen wahren Kern. Die Autoren sprechen denn auch von einer paralysierenden Wirkung, die von der ständigen Präsenz der Westsender für den ostdeutschen Staat ausgegangen sei. Die SED setzte deshalb alles daran, diese Quelle der Destabilisierung unter ihre Kontrolle zu bekommen. Zu diesem Zweck sammelte das MfS mit Hilfe von IM Informationen in westdeutschen Sendern. Beispiel Ortrud und Karl-Heinz Reinsch vom Saarländischen Rundfunk. Offiziell schrieb sie Hörspiele, während er an einer Programmstrukturreform arbeitete. Daneben berichtete das Agentenduo über ARD-Intendantensitzungen und übermittelte Gebäudepläne. Ergänzend dazu erarbeitete die Stasi durch Telefonkontrolle in ganz Deutschland Informationen über die ARD und ihr leitendes und programmprägendes Personal. Wenn Mitarbeiter des RIAS und des Senders Freies Berlin mit der ARD telefonierten, hörte die Stasi immer mit. Erfasst wurden Briefe von ARD-Mitarbeitern aus der DDR, aber auch Empfänger, Verwandte, Freunde und Bekannte von Briefsendungen westlicher Journalisten in der DDR. Trotz dieser außerordentlichen Bemühungen – und das ist eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie – ist es dem MfS nicht gelungen, Entscheidungen auf der ARD-Leitungsebene oder in einem der dazugehörenden Sender zu beeinflussen. Zudem war der Einsatz inoffizieller Mitarbeiter geringer als zunächst vermutet. Politisch vergebens waren diese Strategien des SED-Staates allerdings nicht, wie die Zeithistoriker herausfanden.

"SED, MfS und anderen DDR-Organsationen war es jedoch immer wieder möglich, auf politische Kampagnen zu innen- und außenpolitischen Fragen in der Bundesrepublik Einfluss auszuüben. In solchen Zusammenhängen erzielte das MfS durch seine Tätigkeit – vermittelt über öffentliche Meinungsbildungsprozesse – auch in westdeutschen Hörfunk- und Fernsehsendern Wirkung."

Günstig für eine Weichzeichnung der Diktatur war das politische Klima in Zeiten der Entspannungspolitik, dem sich manche westdeutsche Journalisten nicht entziehen konnten oder wollten. So schilderte die ehemalige Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks und heutige Bundestagsabgeordnete der Partei "Die Linke", Luc Jochimsen, die DDR als wahres Frauenparadies. Die Interviewpartner waren – ohne Wissen der Journalistin – von SED und Stasi hinsichtlich ihrer ideologischen Zuverlässigkeit ausgesucht. Besser war es jedoch, wenn der, der einen Film drehte, der DDR auch als IM verbunden war. So bejubelte Heinz Stuckmann, Deckname "Dietrich", für die WDR-Fernsehserie "Deutscher Alltag" ausgiebig die Vorzüge des DDR-Wohnungsbaus. Nach wie vor brisant ist ein Fall aus dem ZDF, dessen Aktenbelege den Forschern ungeplant in die Hände fielen: Dietmar Schumann, der schon als DDR-Journalist in der Sowjetunion, Ungarn und sogar in Österreich unterwegs war. Unter dem Decknamen "Basket" führte die HVA den Moskauer Korrespondenten. Der soll über Gespräche mit dem ZDF-Kollegen Dirk Sager berichtet haben, außerdem über die Politiker Hans-Jochen Vogel und Richard von Weizsäcker. Nach Darstellung der Forscher gehen 37 Informationen auf "Basket" zurück. Schumann bestritt inzwischen, wissentlich für das MfS tätig gewesen zu sein und ist weiter auf Sendung.

Ausführlich und anhand von Fallstudien beschreiben die Autoren Behinderungen und Kontrollen, denen die ARD-Korrespondenten in der DDR ausgesetzt waren. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Untersuchung der Überwachung der elektronischen Medien in der DDR, die offenkundig besonders eng gestrickt waren. Danach hat es sowohl auf durch das Leitungspersonal als auch in den Redaktionen selbst eine offizielle als auch inoffizielle Zusammenarbeit mit der Zuständigen Abteilung des MfS gegeben. Dieses Erbe wirkt noch nach:

"Die Lösung aus jahrzehntelanger MfS-Verstrickung und Parteizugehörigkeit erwies sich für die Sendeanstalten der neuen Bundesländer und ihre Mitarbeiter als ein schwieriger, langwieriger und oft schmerzhafter Prozess."

Und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Für eine interne und eine öffentliche Diskussion liefert dieses Werk eine wichtige Grundlage über eine der Kerninstitutionen der Demokratie. Mit ihrer Studie haben die Verfasser einen sehr verdienstvollen Beitrag zur Erhellung der SED-Medienpolitik im Rundfunk geliefert.

Jochen Staadt & Tobias Voigt & Stefan Wolle: Operation Fernsehen - Die Stasi und die Medien in Ost und West
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2008
"Operation Fernsehen - Die Stasi und die Medien in Ost und West"
"Operation Fernsehen - Die Stasi und die Medien in Ost und West"© Verlag Vandenhoeck & Ruprecht