Die C86 wird 30

Ein Mixtape schreibt Pop-Geschichte

Die Indie-Pop-Band "Primal Scream" bei einem Auftritt in Paris.
Auch auf der C86 zu hören - die Indie-Pop-Band "Primal Scream" © imago / Unimedia images
Von Isabelle Klein · 11.05.2016
Vor 30 Jahren brachte die britische Musikzeitschrift New Musical Express die Mixkassette C86 raus. Heute hat sie Kultstatus. Mit ihr begann der Siegeszug des Indie-Pops.
Sie waren wild, melodiös und meist nicht sonderlich gut produziert. Bands wie The Mighty Lemon Drops, The Pastels oder Primal Scream machten weder Punk noch Mainstream Rock.
Die Musik war das, was wir später Indie-Pop nennen sollten. Und die C86 war so etwas wie seine Geburtsurkunde. Neil Taylor, ein Musikredakteur des New Musical Express (NME) hat die Mix-Kassette 1986 zusammengestellt.
"Die Leute hatten das Gefühl, dass viele der späten Punkbands immer mehr zu der Art von kommerziellem Rock wurden, den der Punk eigentlich ersetzen wollte. Deshalb entstanden zwischen 1984 und 1985 neue Bands, die sich mit ihrer Musik auf die ursprüngliche Punk-Haltung zurückbesonnen haben, und sich darüber hinaus gelegentlich am Sound der 1960er-Jahre bedient haben. 1986 entschied der NME dann, dass es an der Zeit wäre, diese Bands auf einer Kassette zusammen zu bringen."
Der Großteil der Bands veröffentlichte ausschließlich auf Independent-Labels. Wenn die Bands überhaupt einen Vertrag hatten. Thomas Zimmermann wurde trotzdem auf sie aufmerksam. Der damalige Besitzer eines kleinen Schallplattenladens in Hagen brachte einige der C86-Bands in Deutschland auf Tour.

"Eine der aufregendsten Zeiten"

"Ich war einfach so begeistert von diesen Bands und habe die dann in England besucht. Und das Interessante war: Die haben teilweise einfach nur 20 Minuten lange Konzerte gegeben. Das war dann also im krassen Gegensatz zu den Erwartungen, die vor alle hierzulande Konzertgänger haben. Und das führte dann zu einem kleinen Problem."
Zimmermann ließ die Bands fast ausschließlich im Doppelpack auftreten, damit die Konzerte ansatzweise so lang waren, wie es das deutsche Publikum gewohnt war. Maximal 300 Leute sahen sich die Konzerte an.
"Man muss natürlich konstatieren: Von den Verkaufszahlen her war das natürlich immer noch Underground. So richtig super kommerziell erfolgreich waren sie alle nicht. Aber es war eben einfach mal im Rückblick eine der aufregendsten Zeiten - und man könnte wahrscheinlich sagen, dass die Brit Pop-Szene darin ihre Wurzeln hatte. Aber das ging ja eben erst ein paar Jahre später los."
Eine der einflussreichsten britischen Bands der späten 80er-Jahre, The Stone Roses, bediente sich zum Beispiel sehr deutlich an Primal Screams "Velocity Girl".

"Die Kassette hat das Leben vieler Menschen beeinflusst"

Der Indie-Pop von Primal Scream und Co. wandelte sich mit Erscheinen der Kompilation von einer unbekannten Nische zu einem lukrativen Genre. Aber warum wurde gerade die C86 so berühmt und verschwand nicht wie jede andere Mixkassette wieder in der Versenkung? Gute Presse? Gute Songs? Oder war es Zufall?
"Wir hatten nicht die Absicht, etwas so einflussreiches wie die C86 zu schaffen. Das war nie unser Plan. Wir haben uns nach der Veröffentlichung auch nicht auf die Schultern geklopft und gefreut, dass das so gut gelaufen ist. Erst viele Jahre später wurde der eigentliche Wert der C86 deutlich. Die Kassette hat das Leben vieler Menschen beeinflusst. Und das tut sie auch noch 30 Jahre später."
Das Erfolgsrezept der Kassette war wohl, dass sie eine Art Mythos kreierte: C86 steht heute nicht mehr nur für die bloße Kompilation, sondern für eine Szene. Die Musikpresse verpasste ihr das Etikett Twee-Pop, "niedlicher" Pop mit hübschen Melodien und verträumten Texten. Dabei passt nicht jede Band des Samplers in diese Schublade. Zum Beispiel die eher rotzigen Bogshed.
"Ich persönlich bin der Meinung, dass die Idee zählt. Man kann eben auch gerne Songs machen, die zwei Minuten sind, wenn da einfach richtig was gesagt wird und wenn es tolle Melodien sind, die im Kopf bleiben."
Vielleicht würde sich heute kaum jemand, der nicht zur Szene von damals gehörte, an diese Bands erinnern - hätte es nicht die C86 gegeben. Das wäre schade. Denn ob Twee-Pop oder nicht, Geniestreich oder Mythos - die Kompilation klingt auch 30 Jahre nach Erscheinen noch erstaunlich zeitgemäß.

Die C86-Kassette ist kaum noch zu bekommen. Allerdings gibt es diverse Neuauflagen auf CD. Die neueste Wiederveröffentlichung hat das britische Label Cherry Red Records 2016 herausgebracht.

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