Die Burnout-Lüge

Von Konstantin Sakkas · 11.07.2011
Wenn über den Burnout geredet wird, handelt es sich meist um ein Jammern auf hohem Niveau. Das larmoyante Breittreten der Luxusproblemchen von Leuten mit fünfstelligem Monatseinkommen ist die wahre spätrömische Dekadenz unserer Zeit, meint Konstantin Sakkas.
Die Kulturindustrie hat ein neues Lieblingsphänomen: den Burnout. Spätestens seit dem Bestseller von Miriam Meckel, "Brief an mein Leben", worin die Autorin einen Nervenzusammenbruch und seine klinischen Folgen beschreibt, ist es en vogue, über die seelischen und sozialen Belastungen eines anstrengenden Berufslebens zu klagen – insbesondere in den Kreisen der Erfolgreichen und Gutverdienenden. Eine regelrechte Burnout-Mode, ein Wertherismus der Yuppies und Dinkies hat sich breitgemacht. Deren Verhältnis zur sozialen und emotionalen Realität ist dabei allerdings nicht immer ungestört.

Wenn über den Burnout geredet wird, handelt es sich meist um ein Jammern auf hohem Niveau. Dieses Jammern ist historisch nichts Neues. Victor Hugo etwa ließ Ludwig XIII. in seiner Tragödie Marion Delorme ausrufen, er wäre lieber ein Wilddieb als König von Frankreich; und die Korrespondenz Friedrichs des Großen strotzt nur so vor Wehklagen über sein schweres Los. Mehr als einmal dachte der Preußenkönig an Selbstmord und verwünschte das Geschick, das ihm erst eine unglückliche Jugend und dann ein Leben auf dem Schlachtfeld und im Feldlager zugedacht habe.

Die Larmoyanz absolut regierender Monarchen in einer Zeit, da der große Rest der Bevölkerung in Knechtschaft und Armut lebte, erscheint uns Aufgeklärten heute selbstverständlich als unanständig und unaufrichtig; doch seien wir ehrlich: hatten die Könige nicht tausendmal mehr recht, sich, trotz aller Privilegien, über ihr Schicksal zu beklagen als die Berlin-Mitte-Schickeria von heute? Ludwig und Friedrich trugen immerhin die Verantwortung für ein ganzes Volk, kämpften mit Verschwörungen und in Kriegen, wo es um Leben und Tod ging; den ihrer Untertanen, gewiss, aber auch ihren eigenen. Die ach so gestressten, supercoolen Businessleute von heute aber, deren Verantwortung im Zeitalter von Gremien- und Mehrheitsentscheidungen meist schon an der Bürotür aufhört, müssen selten um ihre Existenz fürchten; höchstens um, mehr oder weniger geringe, Gehaltseinbußen, oder, wenn es ernst wird, den Fall in die immer noch gemütliche Hängematte von Abfindung oder Arbeitslosengeld I. Das mag gewisse Einschränkungen im üblichen metropolitanen Luxus mit sich bringen; mit echter Not und wirklicher Bedrohung hat es indessen nichts zu tun.

Wenn in einer Polit-Talkshow zur Prime Time ein Manager vor laufender Kamera erzählen kann, wie schwer ihm das aufreibende Leben zwischen Restaurant – vermutlich der gehobenen Kategorie – und "Flieger" – vermutlich in der Businessclass – geworden sei; und dass sein letzter Urlaub, Gott sei's geklagt, ihn auf eine wochenlange Weltreise geführt habe: dann kann das wohl keinen vernünftigen Menschen zu Mitleid rühren.

Das öffentliche, süßlich-larmoyante Breittreten der Luxusproblemchen von Leuten mit fünfstelligem Monatseinkommen ist die wahre spätrömische Dekadenz unserer Zeit. Anstatt ihre Privilegiertheit mit dem heuchlerischen Verweis auf die Bürde des Führungskräftedaseins zu bemänteln, stünde ihnen Zurückhaltung gut an angesichts des Vorzugs, erfolgreich sein zu dürfen. Diesen Vorzug hat nicht jeder - woher sonst kommen all die hoch- und höchstqualifizierten Arbeitslosen?

Jeder Erfolg verdankt sich letztlich einem Glücksfall, unabhängig vom eigenen Einsatz. Niemand wusste das übrigens besser als eben Friedrich der Große, von dem der Satz stammt: jener General sei ihm der liebste, der fortune, also Glück, habe. Wären unsere ausgebrannten Erfolgreichen doch etwas demütiger – und schweigsamer.

Konstantin Sakkas, Jahrgang 1982, schloss 2009 das Studium in den Fächern Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte an der Freien Universität Berlin ab. Er arbeitet seit mehreren Jahren als freier Autor für Presse und Rundfunk.