Die Bürgerarchitekten

Von Jochen Stöckmann · 07.06.2013
Weltweit engagieren sich Architekten für eine neue Form des sozialen Bauens: Menschen, denen das Geld fehlt, um selber den Bauherrn spielen zu können, werden an den Planungen beteiligt. Insgesamt 22 dieser "Build Social"-Projekte zeigt die Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum.
Halbe Häuser baut die Architektengruppe "elemental" – und ist damit sehr erfolgreich. Als eines von 22 Musterprojekten rangiert die Wohnsiedlung der Chilenen in der Ausstellung "Build Social" im Deutschen Architekturmuseum: Zu sehen sind rohe, unverputzte Wände, teilweise knallbunt angestrichen, in den ersten Stock führt eine windschiefe Holzstiege, daneben parkt das Auto der Großfamilie. Für Strom- und Wasseranschluss haben die Architekten gesorgt, alles andere muss mit der Zeit hinzukommen, soll im gleichen Maße wachsen wie – hoffentlich – der Wohlstand in diesem chilenischen Viertel.

Die Idee, sozial Benachteiligten ein preisgünstiges Basis-Eigenheim zu verschaffen, das die Bewohner selbst erst nach und nach komplettieren, hat die Internationale Bauausstellung in Hamburg aufgegriffen: Mit der Hälfte des üblichen Preises von etwa 4000 Euro pro Quadratmeter sollten Migranten für das Eigenheim-Experiment gewonnen werden.

Peter Cachola Schmal: "Aber trotzdem haben diese Migrantenschichten nicht gekauft. Es ist die Mittelklasse geworden, die sich freut, dass es nur 2000 Euro sind, die deswegen aber noch lange nicht – wie in Südamerika – in Eigenbau ein farbiges, ein farbenfrohes Ensemble kreieren, sondern keine Zeit haben für solche Mätzchen. Und die von den Architekten fordern: Macht euren Job, baut uns – es ist schließlich deutsche Mittelklasse – baut uns ein ordentliches Haus. Wie viele andere auch. Und so sieht es auch aus! Aber es hat nichts mehr von den Träumen, die mal da waren."

Träume ohne Schönfärberei
Um genau diese nicht zum Zuge gekommenen Träume geht es Museumsdirektor Peter Cachola Schmal, um Vorstellungen von Architektur, die oft genug im Alltag verborgen liegen. Da verbieten sich schönfärberische Entwürfe und aufwendige Computerphantastereien, wie man sie von den Stararchitekten kennt. Stattdessen sind im Architekturmuseum einfach nur Papierbahnen mit den ausgedruckten Texten und Bildern über Euro-Paletten ausgerollt. Dazu gibt es schlichte Modelle. Sachliche Informationen, keine großen Namen:

"Das ist keine Top-Down-Architektur, das kommt eher von unter her. Und die hat trotzdem einen gestalterischen Anspruch. Diese Suche nach anspruchsvollen, gestalterisch anspruchsvollen Lösungen, die sozial überzeugend sind, die ist nicht einfach."

Elegante Lehmkuppeln krönen südafrikanische Geschichts- und Kulturzentren von Peter Rich. Mit Holzabfällen baut die Gruppe "Al Borde" in Ecuador zum Stückpreis von 200 Dollar funktionale Schulen. Und die Franzosen Lacaton und Vassal verwandeln anonyme Hochhäuser in Bordeaux mit Wintergärten und neuer Fassadengestaltung in begehrte, aber immer noch bezahlbare Wohnadressen.

Andres Lepik: "Gute, funktionale, soziale, gesellschaftlich nachhaltige Gestaltung ist nur dann gut, wenn sie auch eine ästhetische Komponente beinhaltet. Nur wenn all diese Faktoren zusammengreifen, ist es wirklich überzeugend und hat Qualität."

Architektur für die Menschen
Für Kurator Andres Lepik ist "Qualität" keine marktschreierische Floskel, Qualität muss sich am jeweiligen Ort, in jeder Gesellschaft auf ganz eigene Art bewähren und erweisen. Kann es da überhaupt eine generelle Strategie, ein ökologisches oder ästhetisches Patentrezept geben?

"Also ein Patentrezept ist: Hört mal auf die Menschen. Was brauchen die wirklich, was haben die für Traditionen, was kennen die, was haben die für Wissen, was wünschen die sich eigentlich von dem, was gebaut wird? Wenn man dann versucht, Lösungen gemeinsam mit den Menschen zu entwickeln, die da leben, dann kann es die Savanne sein oder es kann auch die Favela sein. Da wird man zu vernünftigen Lösungen kommen."

Dabei planen die Architekten nicht nur rational. In der Zusammenarbeit mit den Bewohnern eines Stadtteils etwa gilt es auch, deren Gefühle anzusprechen, etwas für ihre gemeinsame Identität zu tun. Zum Beispiel mit einem Kulturzentrum, das in der Planung der Baubürokratie überhaupt nicht vorgesehen war. Peter Cachola Schmal:

"Der mündige Bürger kann ein Architekt sein, der dann mit anderen zusammen ein Projekt entwickelt. Und so kommt es dann schließlich zu einem Auftrag, einem Gebäude, den er eben nicht von oben angeboten bekommen hat."

Eben das ist städtebauliches Engagement. Ein aktives Eingreifen und Gestalten im Sinne der Design-and-Build-Bewegung, in der Architekten darum bemüht sind, die Trennung von Entwurf und Bauausführung zu überwinden, ihre Pläne und Konstruktionszeichnungen gemeinsam mit den künftigen Bewohnern der Häuser zu realisieren.

Peter Cachola Schmal: "Diese Design-and-Build-Bewegung, die hat wirklich im deutschsprachigen Raum phänomenale Wurzeln geschlagen. Wir haben die Baupiloten, sehr berühmt inzwischen, ein Berliner Modell – die inzwischen von ihrer eigenen Hochschule abgewickelt werden."

Eine krasse Fehlentscheidung, denn bislang konnten Studenten der TU Berlin als Baupiloten bereits während der akademischen Ausbildung wichtige praktische Erfahrungen sammeln, etwa bei der Sanierung der Erika-Mann-Grundschule im Problembezirk Wedding. Aber hierzulande scheinen solche konkreten Erfolge wenig zu bedeuten – was die Frankfurter Ausstellung nur umso wichtiger macht.

Service:
Die Ausstellung "Think Global, Build Social!" ist vom 8.6. bis 1.9.2013 im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt zu sehen.
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