"Die Bürger haben die Neonazis benutzt"

08.06.2012
Zwei Männer werden aus der Haft entlassen und kommen in ein kleines Dorf in Sachsen-Anhalt. Es entsteht eine aggressive Stimmung, in der sich aufgebrachte Bürger und Neonazis aus der Region gegen die beiden Männer zusammentun. David Begrich und sein Verein suchen nach einem Ausweg.
Katrin Heise: David Begrich ist Mitglied im Verein "Miteinander", das ist ein Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt. Ich grüße Sie, Herr Begrich!

David Begrich: Schönen guten Tag.

Heise: Als die NPD zur heutigen Demonstration oder Versammlung aufrief, bestärkte Landtagspräsident Gürth von der CDU die Abgeordneten, dagegen Flagge zu zeigen. Welche Rolle hat die Landespolitik in diesem Konflikt überhaupt gespielt bisher?

Begrich: Ich glaube, die Landespolitik hat in unterschiedlichen Phasen reagiert. Es gab eine erste Phase, in der offenkundig sowohl Regierung als auch Opposition die Dynamik und auch die Brisanz dieser Frage unterschätzt haben. Also man hat gedacht, das ist ein regionaler Konflikt und wird sich auch regional regeln lassen. In einer zweiten Phase hat es dann Gespräche gegeben zwischen Vertretern der Landesregierung und den beiden betroffenen Männern, aber auch der Bevölkerung aus Insel, wo es immer um die Handlungsoption ging, die beiden könnten den Ort verlassen. Und als klar wurde, dass das so nicht ging, trat dann die letzte Phase ein, in der wir uns jetzt gerade befinden, in der im Grunde alles wieder auf Anfang steht.

Heise: Da habe ich so ein bisschen den Eindruck, dass die Landespolitik anfangs den Konflikt offenbar nicht ernst genug genommen hat und in diese Lücke genau die Neonazis sich eingeschaltet haben. Ist das richtig? Wie ist denn das Zusammenspiel zwischen denen und den aufgebrachten Bürgern?

Begrich: Ich glaube, man fasst es ganz gut zusammen, wenn man sagt, die Bürger haben die Neonazis benutzt, um die Politik zu erpressen. Jedenfalls diejenigen, die da protestiert haben. Die Neonazis wiederum haben die Bürger benutzt, um sich zu profilieren. Also es haben beide Seiten zumindest phasenweise davon profitiert. Es hat in der Vergangenheit nicht an Versuchen gefehlt, sich voneinander zu distanzieren, aber letztlich haben sich die Protestierenden, und das ist noch mal wichtig, dass nicht das ganze Dorf, sondern die wirklich, die den Protest tragen, haben sich eben im Kern nicht von den Neonazis distanziert, sondern sich von ihnen einen katalytischen Effekt erhofft in der Richtung, dass sozusagen die Anwesenheit der Neonazis Druck aufbaut. Dass die Politik die Männer zum Wegzug bewegt.

Heise: Sie haben eben so betont, und das muss man ja auch, dass eben nicht alle Dorfbewohner natürlich beteiligt sind an diesen massiven Protesten. Wie sind denn so die Mehrheiten im Dorf?

Begrich: Also ich glaube, im Dorf kann man drei Gruppen ausmachen. Die eine Gruppe ist die Gruppe derjenigen, die protestieren. Das sind 50 bis 70 Personen. Dann gibt es eine sehr große Gruppe von Leuten, von denen gar nicht klar ist, welche Auffassung sie eigentlich vertreten, weil sie sich in dem ganzen Konflikt herausgehalten haben, und es gibt eine dritte Gruppe, vornehmlich von älteren Frauen, die doch für Akzeptanz in der Vergangenheit geworben haben und auch immer noch werben, um zu sagen, die Männer leben jetzt hier, sie haben sich in den zurückliegenden elf Monaten penibel an die Führungsauflagen gehalten und wir werden damit leben müssen.

Heise: Gibt es Austausch zwischen den drei Gruppen? Also reden die noch miteinander, oder wie läuft die Kommunikation im Dorf?

Begrich: Ja, es gibt natürlich Interaktion wie in so einem Dorf, in dem 450 Einwohner leben, da muss man sich jeden Tag in die Augen sehen, ja. Man trifft sich beim Bäcker, trifft sich beim Fleischer, man kann sich nicht aus dem Weg gehen. Aber die Interaktion …

Heise: Und wird da eventuell auch beschimpft, je nach Meinung.

Begrich: Ja, nicht nur beschimpft, sondern es gibt handfeste Drohungen, ja, also gegen diejenigen, die in der Vergangenheit da für eine differenzierte Sichtweise eingetreten sind, die kriegen wirklich massive Drohungen. Das geht bis in den strafrechtlichen Bereich hinein. Und es ist eigentlich im Ort eine derartig polarisierte Situation entstanden, dass momentan zumindest niemand so richtig weiß, welche Ausgangstür es daraus gibt.

Heise: Der Konflikt um zwei entlassene Sexualstraftäter und wie er von Neonazis durchaus auch benutzt wird. David Begrich berichtet. Herr Begrich, Sie sind vom Verein "Miteinander", eben einem Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit. Haben Sie sich eingeschaltet schon in diesen Konflikt?

Begrich: Also wir haben versucht, dort tatsächlich zu beraten, aber man muss auch ganz ehrlich eingestehen, dass auch uns das bisher nicht gelungen ist. Schlicht und ergreifend deshalb, weil wir gar keinen sogenannten Beratungsnehmer gefunden haben, also niemand gefunden haben, der tatsächlich mit Perspektive auf Öffnung der Situation gesprächsbereit gewesen wäre. Unser inhaltlicher Schwerpunkt ist ja die Auseinandersetzung mit den Interventionsstrategien der Neonazis. Und da sehen wir auch unsere Handlungsoption, dafür Sorge zu tragen, dass die Neonazis nicht über einen größeren Resonanzraum verfügen als sie den offenkundig im Moment ohnehin schon haben.

Heise: Was kann man da tun?

Begrich: Na ja. Also man kann versuchen, an diejenigen zu appellieren und an die Sensibilität der Einwohnerinnen und Einwohner zu appellieren, sich nicht mit Neonazis gemein zu machen. Und noch einmal ganz klarzuziehen, dass, wer ein wie immer instrumentelles Verhältnis zu Neonazis sucht, nicht ihr Opfer ist, sondern sie in Dienst nimmt und sich damit natürlich auch zurechnen lassen muss, wenn Neonazis auf dieser Plattform Politik machen.

Heise: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sind die Neonazis eher von außen gekommen. Es sind nicht Leute aus dem Dorf.

Begrich: Die Neonazis kommen insofern von außen, als dass sie aus der Region kommen. Aber in der Vergangenheit hat es eben durchaus auch sozusagen Sympathiebekundungen aus dem Ort für die Neonazis gegeben, nämlich immer dann, wenn man sich davon erhofft hat, dass sie den katalytischen Effekt herbeiführen, die Politik möge für eine finale Lösung im Sinne der Protestierenden, nämlich die beiden Männer aus dem Ort wegzuschaffen, sorgen.

Heise: Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie diese beiden Männer da im Moment ihr Leben bestreiten. Haben Sie da irgendwelche Informationen?

Begrich: Alles was wir hören, ist, dass sie in einer sehr schwierigen Situation sind. Man muss sich einfach klar machen, dass die beiden ja in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen dahin gekommen sind. Der eine ist schwer krank, die beiden suchen eigentlich eine ruhige Lebensatmosphäre, in der sie zurückkommen können in die Gesellschaft. Sie sind durchaus willig und bereit, sich zu integrieren, und ich glaube, das haben sie auch mit der Tatsache, dass sie sich an alle Auflagen gehalten haben, auch demonstriert. Es ist eine sehr schwierige Situation, und es gibt allerdings, und das muss man auch sagen, einige im Ort und darüber hinaus, die die Männer jetzt behutsam unterstützen und auch ermutigen.

Heise: Wie kann man eigentlich solchen Konflikten vorbeugen? Auch vor dem Hintergrund natürlich, dass die Bedrohung durch rückfällige Sexualstraftäter ja auch nicht nur eingebildet ist.

Begrich: Na ja. Also vorbeugen könnte man dem nur, indem sozusagen konsequent angewendet wird, was ja eigentlich völlig klar ist. Nämlich dass, wenn Sie einen Mietvertrag schließen in einer Stadt X und den unterschreiben, dann fragt der Vermieter Sie ja auch nicht, ob Sie vorher fünf Jahre im Gefängnis gesessen haben. Das heißt also, ganz klar zu sagen, wir leben zum Glück in einer Gesellschaft, in der nicht das Prinzip der ewigen Rache steht, sondern in der es heißt: Täter, die ihre Strafe abgesessen haben, haben das Recht auf einen Neuanfang. Und das heißt im Umkehrschluss auch, es darf eben nicht bekannt werden, welche Vergangenheit diese Männer haben. Und es heißt wiederum im Umkehrschluss auch, wenn diese sich an die Regeln halten, an die Führungsauflagen halten, dann ist das sicher eine der wenigen Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass solche Konflikte nicht entstehen.

Heise: Sagt David Begrich vom Verein "Miteinander". Vielen Dank, Herr Begrich, für das Gespräch.

Begrich: Ja, danke.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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