Die blonde Königin

Als Nana in Ghana

Von Paul Stänner · 13.04.2014
Bettina Landgrafe wurde in dem ghanaischen Dorf Apewu zur Mutter eines Stammes, zur Nana, ernannt und so für ihre Entwicklungsarbeit geehrt. In diesem Jahr blickt sie auf zehn Jahre als Stammeskönigin zurück und soll in einer feierlichen Zeremonie geehrt werden - und ihre Arbeit in Apewu ist noch lange nicht getan.
Die Blaskapelle zieht mit Pauken und Trompeten durch eine Bananenplantage. 20, 30 afrikanische Frauen in ihren besten Gewändern tanzen den Weg durch den Bananenhain zum See hinunter.
Sie umkreisen mit ihrem Tanz eine hellweiße Frau mit langen, blonden Haaren. Eine Deutsche. Bettina Landgrafe hat Geburtstag, nichts weiter, aber das ganze Dorf Apewu in Ghana ist auf den Beinen.
Schon frühmorgens haben die Dorfbewohner - in einem rituellen Akt - die Dorfstraße gefegt. Jetzt, am Nachmittag, geht es zum Festplatz am See quer durch die Plantagen.
Unter Palmen sind im Rechteck Plastikstühle aufgestellt, im Hintergrund funkelt der See, die Tonanlage ist bis zum Anschlag aufgedreht.
Zur Königin des Stammes ernannt
Bettina Landgrafe sitzt in der Mitte, umgeben von ghanaischen Würdenträgern. Unter ihresgleichen, denn die Deutsche ist nicht irgendwer. Sie wurde vor zehn Jahren zur Königin des Stammes ernannt. Stoisch blickt sie jetzt in die Runde, die Stimmung der Geehrten schwankt zwischen der unerschütterlichen Gefasstheit einer Königin und der Ausgelassenheit eines Geburtstagkinds. Lässt Gebete, Tänze, Festreden und auch das Geburtstagständchen einfach geschehen.
"How old are you now?"
Die Scherzfrage "Wie alt bist Du jetzt?" wird sie nicht beantworten.
Bettina Landgrafe, schlank, mittelgroß, 36 Jahre alt, ist gleichsam in einer Reziprokausgabe so weiß, wie die Ghanaer dunkelhäutig sind. Sie stammt aus Hagen in Westfalen, dem "Tor zum Sauerland". Jetzt lebt sie in Zentral-Ghana, in der Ashanti-Region, circa fünf bis sechs Autostunden von der Hauptstadt Accra entfernt, je nachdem, wie die Straßenverhältnisse sind:
"Als ich in Apewu mit meinem Rucksack und meinem Zelt angekommen bin, habe ich als Erstes dann auch gleich die Buschklinik gesehen, weil die Buschklinik ist nämlich das erste Gebäude auf der rechten Seite."
In das entlegene Landesinnere gereist
Bettina Landgrafe steht am nächsten Morgen vor einem kleinen Haus am Eingang des Dorfes Apewu. Die blaue Fassadenfarbe ist verblichen, das Wellblechdach wurde oft geflickt und die Lehmziegel bröckeln nach vielen tropischen Regengüssen.
Heute lebt hier eine Familie, vor zwölf Jahren hat Bettina Landgrafe in diesem Haus ihre ersten Erfahrungen mit Ghana gemacht. Als Kinderkrankenschwester im Krankenhaus von Hagen war sie für einige Wochen mit einer christlichen Hilfsorganisation in das entlegene Landesinnere von Ghana gereist.
Bettina Landgrafe sitzt in einer Menschenmenge.
Bettina Landgrafe fühlt sich als Ghanaerin, die sich nur in ihrer Hautfarbe unterscheidet.© Deutschlandradio / Paul Stänner
Landgrafe: "Die Verhältnisse, die ich hier in Ghana angetroffen habe, die waren natürlich um Lichtjahre anders als in dem Krankenhaus, in dem ich in Deutschland gearbeitet habe. In dem Zimmer hier hab ich geschlafen; in dem Zimmer haben wir was gemacht, was in Ghana 'generalconsultation' heißt; und in dem Zimmer haben wir Entbindungen gemacht. Wenn es sehr doll regnet, war das in dem ganzen Haus ein großes Problem, weil das Dach überall undicht ist, man sieht auch heute noch die ganzen Löcher hier und dann haben wir hier immer gesessen mit 30, 40 Eimern, über die man immer steigen muss, weil unter jedem Loch irgendwie ein Eimer steht."
Dorf mit etwa 200 Einwohnern
Apewu ist ein kleines Dorf mit etwa 200 Einwohnern am Lake Bosomtwe, einem kreisrunden Kratersee inmitten einer dicht bewaldeten Landschaft von tropischer Schönheit. Ein steiler Weg führt an der Flanke des Kraters hinunter ins Dorf. Wer hat, fährt ein Allradfahrzeug, alle anderen gehen zu Fuß. Beides ist vor allem in der Regenzeit eine echte Herausforderung. Landgrafe:
"In der Buschklinik hier waren eigentlich hauptsächlich drei Personen zuständig, die ich auch hier angetroffen hab: zum einen ein medicalofficer, das gibt's bei uns in Deutschland nicht, das ist ein bisschen was zwischen Arzt und Krankenschwester. ... Das Material und die Medikamente, mit denen die gearbeitet haben, waren eigentlich nicht existent. Also es gab ein bisschen Paracetamol und ein paar Pflaster und ein paar Tupfer, aber ansonsten war das hier ein totales Durchwurschteln."
Bettina Landgrafe ist nach Hagen heimgefahren, hat Geld gesammelt und ist zurückgekehrt. Immer wieder, immer wieder mit frischem Geld und frischer Energie. So kam Apewu zu einem Brunnen, ein bedeutender hygienischer Fortschritt. Früher tranken die Menschen direkt aus dem Bach. Weiter oben am Hang lagen die Latrinen.
"Ich habe mir immer mehr Sorgen gemacht"
Die Folgen kann man sich ausmalen. Dieser erste Schritt der Entwicklung kostet ungefähr 8.300 Euro. Bettina Landgrafe steht auf der wackeligen obersten Stufe der früheren Buschklinik und sinniert:
"Damals hatte ich schon zwischendurch Zweifel und auch ein bisschen Angst und ich habe mir eigentlich immer mehr Sorgen gemacht, weil ich dachte, was passiert, wenn ich einem überhaupt nicht mehr helfen kann? Und das ist halt auch in den Jahren immer wieder passiert."
Eine unangenehme Erinnerung, die sie entschlossen beiseite wischt. Nach zwei Jahren kontinuierlicher Entwicklungsarbeit haben die Menschen in Apewu Bettina Landgrafe aus Hagen die Krone aufgesetzt.
"Vor zehn Jahren haben die Dorfbewohner von Apewu mich zu ihrer Nana gemacht, das ist auf Englisch Queen Mother, das kann man so bezeichnen wie die Mutter des Stammes."
Um eine Nana zu werden, muss man entweder in eine der Adelsfamilien Ghanas geboren werden, oder man wird für seine persönlichen Verdienste zur Nana, zur Königin ernannt. Vor zehn Jahren ist Bettina Landgrafe zur Nana ernannt worden für ihre Verdienste in der Entwicklungsarbeit.
Landgrafe feiert zehnjähriges Krönungsjubiläum
Am Ende dieser Woche wird sie ihr zehnjähriges Krönungsjubiläum feiern und zugleich auch ihre Ernennung in den Stand der Paramount Queen, der obersten Stufe im traditionellen Stammesgefüge. Bis dahin sind es noch einige wenige Tage voller Arbeit.
Am Dorfeingang liegen zu beiden Seiten der Straße die Bungalows der Grundschule in satt, leuchtendem Gelb. In einem kleinen offenen Vorbau sind zwei Frauen dabei, in großen Töpfen das Mittagessen für die Kinder vorzubereiten. Ghana hat keine Frühstückskultur, gegessen wird eigentlich nur abends. Das ist schlecht für die Kinder, denn ... :
"... morgens kommen die dann zur Schule, sind total hungrig, können sich nicht konzentrieren und warten eigentlich nur, dass es endlich mal was zu essen gibt. Ich meine, jeder kennt ja so einen knurrenden Magen."
Input in die lokale Wirtschaft
Das Essen wird im Freien in großen Kesseln zubereitet. Die Kessel stehen auf kleinen Sockeln gerade einmal so hoch über dem Boden, dass das Feuer darunter Platz hat.
Im Regelfall laufen auf dem Land die Haustiere - Hühner, Enten, Ziegen - umher und lassen fallen, was der Verdauungsprozess so hergibt. Die Sonne trocknet die Exkremente und der Wind nimmt sie mit dem Staub auf und wirft sie ins Essen. In der Schule wenigstens hält man die Tiere vom Essen fern. Landgrafe:
"Beim Schulspeisungsprogramm gibt's eben so zwischen zehn, elf, halb zwölf einmal ein richtiges Mittagessen, was allerdings auch dazu führt, dass natürlich zuhause weniger Druck auf der ganzen Familie ist, aber die ganzen lokalen Marktfrauen aus der Umgebung eben auch ihre eigene Familie ernähren können, weil wir nur bei denen kaufen."
Um 600 Kinder ein Jahr lang mit einer Mahlzeit am Tag zu versorgen, benötigt Bettina Landgrafe ungefähr 25 000 Euro, Spendengelder aus Deutschland. So ist die Schulspeisung zum einen eine gute Tat, zum anderen auch ein enormer Input in die lokale Wirtschaft.
Schneller als eine Regierung
Bettina Landgrafe ist auf dem Weg zu Honorable Kwame Adarkwah, dem "District Chief" der Regierung in der Region. Im Jahr 2007 hat Bettina Landgrafe den Verein Madamfo Ghana gegründet, zu Deutsch: Freunde Ghanas. Er arbeitet mit einem deutschen und einem ghanaischen Zweig - der deutsche besorgt das Geld, der ghanaische organisiert die Projekte.
Bettina Landgrafe zeigt sich mit einer Kopfbedeckung.
Bettina Landgrafe ist inzwischen in der Stammeshierarchie aufgestiegen.© Deutschlandradio / Paul Stänner
Die Projekte der Non-Government-Organization "Madamfo Ghana" werden mit der Regierung koordiniert, um Doppel- oder Fehlplanungen beim Bau von Krankenhäusern und Kindergärten zu vermeiden. Landgrafe und District Chief Kwame Adarkwah schütteln einander ausführlich die Hände, in Ghana ist dies ein beliebtes und geschätztes Ritual. Adarkwah, einem freundlich-beleibten Mann, treten Tränen der Rührung in die Augen, als er von Madamfo Ghana erzählt:
"Madamfo Ghana hat in jeder Hinsicht herausragende Arbeit geleistet. Alle Projekte sind gut und nützlich für den Distrikt und für ganz Ghana. In diesem Distrikt fehlt es uns an so vielem. Ich glaube, Madamfo Ghana arbeitet schneller als selbst die Regierung; es ist wirklich fabelhaft, wie schnell sie gearbeitet hat!"
Dass eine Nichtregierungsorganisation schneller arbeitet als eine Regierung, soll häufiger vorkommen, dass aber der Vertreter der Regierung dies öffentlich einräumt, muss man unbedingt als Respektsbekundung ansehen. "Es fällt den Ghanaern nicht leicht, eine Ausländerin zur „Queen Mother" zu ernennen", hat der District Chief gesagt. Und in der Tat - Nana zu werden bedeutet, eine wichtige Stellung innerhalb des traditionellen Stammesgefüges einzunehmen, das immer noch parallel zum staatlichen Gefüge besteht.
Eine ausgesprochen seltene Ehre
Dass eine Weiße diese herausragende Position zugesprochen bekommt, und das schon nach zwei Jahren, das war damals eine ausgesprochen seltene Ehre. Der Titel "Königin der Entwicklung" erklärt, warum sie zur Nana erhoben wurde.
Vom Büro des Chief geht es einige Kilometer weiter nach Danso. In diesem Dorf wird gerade der Kindergarten gebaut, über den Landgrafe mit dem Chief gesprochen hat. In einer langen Kette tragen Frauen auf ihren Köpfen mit Erde gefüllte Schalen zu einem Gebäude.
Dort wird die Erde ausgeschüttet, allmählich wächst der Fußboden im Spielzimmer. Der Kindergarten in Danso, an dem gerade gearbeitet wird, ist eines der Projekte im Zusammenspiel zwischen Regierung und Nichtregierungsorganisation. Landgrafe:
"Die Dorfbewohner hier stechen schon heraus in der Art, wie sie motiviert sind. Der Antrag für den Kindergarten kam ja wie bei allen Projekten von den Dorfbewohnern und seitdem sind wir eigentlich hier in Lichtgeschwindigkeit unterwegs und stehen kurz vor Fertigstellung im Prinzip, zweieinhalb, drei Monate nach Beginn. In Ghana sind sie es eigentlich eher gewohnt, dass ein bisschen Geld da ist, dann fangen sie an zu bauen, dann gibt's n halbes Jahr einen Baustopp, dann fängt man wieder bisschen an und wenn man so hoch motiviert ist, will man ja fertig werden und das kennen die eben von uns nicht anders: wir fangen an und ziehen in einem Rutsch durch und sind dann auch schnell fertig."
Ersten Tage in Ghana sehr verwirrend
Zurück in Apewu wartet Elvira Düsenberg, genannt Elli. Sie gehört zu den deutschen Freunden, die eigens zur bevorstehenden Feier von Bettina Landgrafes Erhebung in den Stand einer Paramount Queen nach Ghana gekommen sind. Seit ihrer gemeinsamen Ausbildung zur Kinderkrankenschwester vor 16 Jahren sind Elvira Düsenberg und Bettina Landgrafe befreundet. Dennoch waren für Elli die ersten Tage in Ghana sehr verwirrend, weil sie einen ihr unbekannten Menschen traf:
"Nana und Bettina sind zwei unterschiedliche Personen. Bettina gibt es hier nicht. Hier gibt es nur Nana. In ihrem Herzen ist Bettina Bettina, nur sie hat hier eine ganz andere Position, einen ganz anderen Stellenwert."
Augenscheinlich ist die Bettina, die in Afrika ein Hilfsunternehmen von der Größe eines mittelständischen Betriebes in Gang hält, eine andere Person als die, die noch vor wenigen Jahren in der Arbeitspause in Hagen mit ihren Kolleginnen gescherzt hat. Elvira Düsenberg:
"Dadurch, dass sie eine sehr dominante Respektsperson hier ist, hat sie natürlich einen anderen Umgangston, und das ist für mich sehr schwer zu sehen, weil ich es einfach von ihr nicht kenne, so ein Ton, den sie halt gegenüber ihren Angestellten hat, was hier so sein muss, damit einfach vieles läuft."
Wechsel in der Persönlichkeit
Dieser Wechsel in der Persönlichkeit, vor allem der sehr entschiedene Ton der Nana, ist auch Renate Pletschen aufgefallen. Auch sie kennt Bettina Landgrafe seit ihrer Kinderzeit, auch sie ist zum ersten Mal in Ghana und erlebt eine andere Person. Renate Pletschen:
"Ich erlebe, sagen wir, zwei Bettinas. Es gibt immer wieder Phasen, wo sie so ist, wie wir sie kennen als Familie. Aber natürlich hat sie hier auch eine entsprechende Position, man zollt ihr Respekt und man merkt einfach auch, dass ihr die Herzen zufliegen. Also ich finde, sie vereinbart diese beiden Rollen sehr gut miteinander."
Der Bosomtwe-See am Fuße von Apewu liegt fast bewegungslos in der Nachmittagssonne. Auf Planken sitzend werfen die Fischer mit einem weiten Schwung ihre Netze aus und ziehen sie gleich zusammen.
Später geht ein Sturzregen herunter. Man ist gleichsam zur Ruhe gezwungen und kann nachdenken. Landgrafe:
"Meine Kindheit schwer gemacht hat die Umstände, unter denen ich groß geworden bin. Meiner Mutti ging es einfach nicht so gut, weil sie mit meinem Vater nicht zusammen sein konnte und die war schwere Alkoholikerin und das war eigentlich so das größte Problem."
Disziplin und Durchhaltevermögen von ihrem Großvater
Immer wieder kommt das Gespräch auf ihren Großvater, die Person, von der Bettina Landgrafe am meisten beeinflusst wurde. Ihr "Opi" wie sie ihn nennt, war ärztlicher Direktor am Krankenhaus von Hagen und ein engagierter Bürger, der mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Er hat ihr wichtige Dinge mitgegeben:
"Disziplin und Durchhaltevermögen, das auf jeden Fall. Also es war schon auch ein Drill, als ich klein war, war's 'n Drill, aber jetzt weiß ich, wofür er das gemacht hat. Und ich glaube nicht, dass ich das so machen könnte, all das organisieren und dann auch noch unter Zeitdruck und so, wenn ich das nicht von ihm gelernt hätte."
Das Vorbild ihres "Opis" und auch ein sehr individuell komponierter Glaube motivieren sie, ihre eigenen Entwicklungshilfeprojekte durchzuziehen. Ist sie vor einigen Jahren noch zwischen den Ländern gependelt, hat sie heute ihren Lebensmittelpunkt ganz in Ghana.
"Ich möchte die Welt auf jeden Fall auch besser machen, genau wie mein Opi, und ich glaube, dass ich die Fähigkeit habe, das eben hier zu machen. Weil ich ganz viele Eigenschaften, glaub ich, habe, die einfach hier hilfreich sind. Ich glaube persönlich, dass jeder Mensch die Welt verbessern sollte. Also ich bin Buddhist, ich bin christlich erzogen und bin auch noch in der christlichen Kirche, ... Ich glaube daran, dass ich wiedergeboren werde; ich glaube daran, dass ich schon in Ghana gelebt habe, dass ich deswegen viele Sachen auch gut verstehe und ich glaub, dass wir irgendwann von irgend jemand daran gemessen werden, wieviel wir für andere Leute getan haben."
Brunnen gebohrt, Toiletten gebaut, Schulen eingerichtet
Ungeduldig und hochtourig, wie sie ist, hat sie nach kurzer Zeit viel erreicht: Brunnen gebohrt, Toiletten gebaut, Kindergärten und Schulen eingerichtet. Dafür ist sie zur Nana erhoben worden, zur "Königin der Entwicklung".
In ihrer Rolle als Königin wird von ihr erwartet, dass sie Rat erteilt, oft in den alltäglichen Dingen des ghanaischen Lebens - zum Beispiel: Soll die Tochter eine Ausbildung machen oder soll sie früh heiraten? Ist in solchen Lebenssituationen ihr Rat nicht der Rat einer Europäerin, die lediglich versucht, sich in das Land Ghana einzudenken? Die Antwort kommt sehr selbstbewusst:
"Nein, das ist nicht der Rat einer Europäerin in Ghana, das ist der Rat einer Ghanaerin in Ghana, die eine weiße Hautfarbe hat. ... Ich bin Ghanaerin, absolut. Ich sehe anders aus und ich bin woanders geboren und ich habe einen anderen kulturellen Hintergrund, wobei ich das schon gar nicht mehr sagen würde, weil ich seit zwölf Jahren hier bin, also ich versteh die Menschen mittlerweile besser in Ghana als in Deutschland."
Nach ghanaischer Tradition versorgt
Der nächste Morgen ist wieder trocken und heiß. Einige Kilometer von Apewu entfernt und einige 100 Meter über dem Kratersee liegt der Ort Dunkura. Hier hat, mit der Unterstützung eines deutschen Bekleidungsunternehmens, Madamfo Ghana eine Entbindungsstation errichtet. Das Entbindungskrankenhaus ist ein neuer Trakt, der an ein schon bestehendes regionales Krankenhaus angegliedert wurde.
Zuvor war es so, dass sich die Frauen kurz vor der Entbindung zu Fuß vom Dorf am See über steile Pfade auf das Hochplateau quälen mussten, um einen Arzt zu finden. Jetzt kommen sie frühzeitig und können in einem der Zimmer, die mit mehreren Frauen belegt sind, auf die Niederkunft warten. Versorgt werden sie nach ghanaischer Tradition von ihren Verwandten, aber medizinisch betreut vom Fachpersonal. Die einzige Schwangerenstation in Ghana hat eine Auszeichnung der Unesco gewonnen. Landgrafe:
"Insbesondere hier an der Entbindungsklinik wird eigentlich deutlich, dass wir nur mit Einheimischen zusammen arbeiten. Also gerade die Hebammen zum Beispiel in diesem Projekt und die Krankenschwestern kommen alle aus Ghana, sind alle trainiert, und vielen Dingen für die Umstände trainiert, ja, weil es eben viele Dinge gibt in Ghana, die es in Deutschland nicht gibt und umgekehrt."
"Der kann sich schon mal ganz warm anziehen"
Es ist der Abend vor der großen Zeremonie. Auf dem großen Feld, das nach unseren Maßstäben eher ein Bolzplatz ist, sollen morgen mehrere 100 Besucher, darunter hohe Chiefs, zusammen kommen. Es gibt 36 Paramount Chiefs - in der Regel Männer - die quasi das Stammes-Parlament der Ashanti bilden.
Morgen wird hier die Erhebung von Nana Bettina zur Paramount Queen gefeiert werden. Es soll ein spektakuläres Fest werden. Im Moment würden hier nicht einmal Ziegen weiden. Ein paar Mitarbeiter von Madamfo Ghana hacken ein wenig Gebüsch klein, das ist auch alles. Was fehlt, sind die 50 Männer aus dem Dorf, die helfen sollten. Die Nana, die morgen zum Paramount Chief aufsteigt, ist missgestimmt. Landgrafe:
"Ich bin total sauer! Weil das wieder ganz typisch ist, dass die Leute einfach nicht pünktlich sind und nicht auf die Zeit gucken. Und: "Das machen wir schon." Und das kann ich einfach nicht haben, weil sie sich immer auf Madamfo Ghana verlassen und meine Leute sind jetzt hier seit heute Morgen und hacken und schaufeln, natürlich helfen die auch, aber die sollen ja nicht die einzigen sein, die hier hacken und schaufeln und helfen. Und das regt mich auf!"
Dem Chief des Stammes, dessen Leute nicht erschienen sind, droht massiv Ungemach. Landgrafe:
"Der kriegt einen richtigen Anschiss, der kann sich schon mal ganz warm anziehen. Den Chairman hab ich grad schon angemacht."
Kulturelle Differenz hinsichtlich des Arbeitstempos
Offensichtlich gibt es eine kulturelle Differenz hinsichtlich des Arbeitstempos. Jetzt, wo die weiße Nana vor Ort ist, tauchen nach und nach einige Helfer des Stammes auf. Die hätten auch früher kommen können. Es gibt Streit, die Nerven liegen blank.
Bei Sonnenuntergang ist wenig passiert. Die Stühle für die Gäste und der Schmuck für den Ehrentisch - nichts ist da. Von der Tonanlage weit und breit keine Spur.
Und es ward Abend und es ward Morgen: Irgendwie hat die ghanaische Methode doch funktioniert. Im Karree stehen Stühle für ungefähr 800 Besucher, die von Zeltdächern vor der Sonne geschützt werden. Eine furchterregende Batterie von Lautsprechern ist aufgebaut, die Blaskapelle nimmt Aufstellung.
Nana Bettina auf ihrem Thron erstrahlt im Glanz des traditionellen Goldschmucks der Ashanti. Vor ihr sitzen zwei Ehrenjungfrauen, zu ihrer Rechten ihr Herold, ohne den eine Nana nie ausgehen darf. Hinter ihr sitzen einige Freunde aus Deutschland, die meisten liegen magenkrank im Hotel. Abdulai Adama Yamana, ein Paramount Chief aus dem Norden, ist unter den Gästen.:
"Sie ist ein Vorbild, sie ist gekommen, um Ghana zu fördern. Zum Beispiel im meiner Heimatstadt, wo ich Chief bin, hat sie eine sehr gute Klinik aufgebaut, und sehr bald wird es zu einem vollständigen Krankenhaus erweitert werden."
Hygiene, der Bildung, der Ernährung
Nach und nach treffen in schweren, prachtvollen Gewändern die Paramount Chiefs ein, angetan mit den Insignien ihrer Ämter, geschützt von weitgespannten zeremoniellen Schirmen und umringt von Würdenträgern. Die Nana nimmt die Grüße der Großen der Ashanti entgegen, steif und hoheitsvoll.
Es werden ausgiebig Hände geschüttelt, einmal springt die Nana auf und umarmt eine ältere Dame, die eine besonders enge Freundin für sie ist. Für Bettina Landgrafe, Tochter einer Alkoholikerin und Krankenschwester aus Hagen in Westfalen, muss hier ein langer Weg einen Höhepunkt erreicht haben. Doch die Selbsteinschätzung fällt sauerländisch nüchtern aus. Landgrafe:
"Oh das ist ne großes Ehre, wobei es natürlich vom offiziellen Titel her klar jetzt die volle Anerkennung ist, aber von der Arbeit her ist es das gleiche, weil ich mich schon eh immer um alle anderen gekümmert habe. Der Titel der Paramount Queen gibt mir eigentlich eine Bestätigung in dem Sinne, dass sich die Menschen das gewünscht haben ... und ich mein, das ist schon was ganz Schönes."
35 Dörfer hoffen nun darauf, dass sich durch die Arbeit der Paramount Queen Bettina Landgrafe und des Vereins Madamfo Ghana ihre Situation verbessert - bei der Hygiene, der Bildung, der Ernährung.
"Ich bin Ghanaerin, absolut!"
Die Feier besteht - hier unterscheiden sich die Zeremonien der Ashanti nicht von denen im Rest der Welt - aus einer schier endlosen Abfolge von Reden. Zwischendurch das Kulturprogramm.
Auch die Nana hält ihre Thronrede auf Twi - der Stammessprache - nicht ganz so flüssig wie einstudiert, aber doch zum allgemeinen Wohlgefallen. Nana Afia Anim Kokor Anabio, so der ghanaische Ehrenname von Bettina Landgrafe, strahlt und bedankt sich bei ihren Mitarbeitern, bei ihren Freunden und bei dem Ghanaern, die ihr eine neue Heimat gegeben haben:
"Einen Weg zurück nach Deutschland gibt's für mich momentan vollständig nicht, das liegt aber nicht an dem Titel, sondern das liegt daran, dass ich so gerne hier lebe. ... Ich bin Ghanaerin, absolut!"
Paul Stänner: "Ich bin auf das Thema gestoßen, weil ich ein Buch gelesen habe von Bettina Landgrafe, in dem sie ihre Geschichte erzählt. Und ich fand es spannend, das vor Ort zu erleben. Ich habe dann gesehen zum einen in einer sehr beeindruckenden Weise welche Leistungen Sie dort in Ghana erbracht hat, zum anderen aber auch, dass man wahrscheinlich eine andere Persönlichkeit wird, wenn man solche Leistungen erbringen muss. Dass sie in Ghana anders ist als sie in Hagen ist."
Paul Stänner
Autor Paul Stänner© Deutschlandradio / Paul Stänner
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