Die Angst vor dem Freitod

Moderation: Ulrike Timm · 13.05.2012
Mit "Kill Me Please" hat der Franzose Olias Barco einen schwarzhumorigen Film über Patienten einer Sterbehilfe-Klinik gedreht, die erfahren, wie sehr sie am Leben hängen. Er habe zeigen wollen, wie schwer es sein kann, den Freitod zu wählen, sagt Barco.
Ulrike Timm: Gesa Ufer über "Kill Me Please". Man steht im Leben ja nicht oft vor endgültigen Entscheidungen, so heißt es ganz trocken im Film. Regisseur und Autor Olias Barco ist jetzt am Telefon. Bonjour, monsieur!

Olias Barco: Bonjour à vous, bonjour à l'Allemagne!

Timm: Monsieur Barco, anfangs kann man diesen Film für eine sehr schwarze Komödie nehmen oder auch mit ganz großem Befremden reagieren, wenn da jemand stirbt, Todescocktail im Champagner, Blondine im Arm. Später wird dann deutlich, wie viel Angst Menschen vor dem Tod haben, die ihn doch angeblich so sehr herbeiwünschen. Wie haben Sie zu dieser ja doch sehr eigenwilligen Filmgeschichte gefunden, wie ist es zu "Kill Me Please" gekommen?

Barco: Also die Idee, warum ich diesen Film gemacht habe, dafür gab es wirklich mehrere Gründe. Ich hatte in meinem engeren Bekanntenkreis mehrere Leute, die den Freitod gewählt haben. Einige haben es aus Gründen getan, weil sie krank waren, andere aus psychologischen Gründen. Und diese Trauer, die man dabei empfindet, die hat mich dann durchaus auch bewegt, weil wenn jemand aus dem Leben scheidet, dann erträgt er ein gewisses Leiden ja nicht mehr.

Dann hat mich an diesem Thema auch interessiert, dass es in der Schweiz die Dignitas gibt, die ja dieses sogenannte humane Sterben eben auch erlaubt, dass man den Freitod eben ganz legal wählen darf, und da kann man in aller Ruhe sich sozusagen umbringen, und da wird dann einfach als Vorwand eine gewisse Krankheit eben vorgeschoben. Und das ist im klassischen Sinne auch gar keine Klinik, sondern das ist eine Assoziation, diese Dignitas. Und mich hatte einfach das Verhältnis interessiert zwischen Tod und Leben, was ja auch je nach Land wirklich total verschieden ist. Und es gibt eben einerseits das Leiden, die Freude, die Lust zu leben, aber eben auch den Wunsch, zu sterben.

Timm: Die Dignitas, die Sie ansprachen, ist ja sehr umstritten. Die einen sehen darin die Möglichkeit, selbstbestimmt bis zum Schluss zu bleiben, für andere ist das Verrat am Leben und am Menschen schlechthin und nicht zuletzt ein Geschäft. Hatten Sie den Eindruck, mit diesem Film müssen Sie auch Stellung beziehen? Denn es ist ja in diesem Schloss doch sehr anders als bei Dignitas.

Barco: Nun, ich wollte nicht wirklich eine Haltung beziehen zum Thema der Euthanasie, und es ist ja auch ein sehr, sehr schwieriges und auch ein sehr schweres Thema, das ja auch wirklich sehr viele Familien betrifft. Und nun ist es aber so: Wir leben in einer Konsumgesellschaft. Man kann heutzutage wirklich alles kaufen, man kann auch seinen eigenen Tod kaufen. Und ich habe praktisch diese Idee von Dignitas ein bisschen auf die Spitze getrieben und habe mir vorgestellt, was wäre, wenn da so eine Klinik existieren würde, die einem das ermöglicht.

Das ist so ein bisschen wie der Ikea-Katalog: Bei Ikea sucht man sich das passende Sofa aus oder das passende Möbelstück, und bei dieser Klinik sucht man sich dann eben wie im Katalog den passenden Tod aus. Und heutzutage ist es ja so, dass alles, was mit Liebe, Tod und Leben zu tun hat, das können wir uns heute alles kaufen in dieser Konsumgesellschaft. Unsere westliche Gesellschaft zumindest ist auf jeden Fall schon so weit, dass man sich auch versucht, die perfekte Frau, die perfekte Liebe zu kaufen. Alles wird sozusagen konsumierbar in unserer Konsumgesellschaft.

Timm: Die einzige, deren Todeswunsch man ganz spontan mitfühlen kann, das ist ein todkrankes junges Mädchen, das beständig zu ersticken droht. Sie ist aber diejenige, die sich dann dagegen entscheidet, die sich für das Leben entscheidet. Ich füge ganz kurz ein: Es kommt zu einem gespenstischen Brand, bei dem jemand ums Leben kommt, und dieses Mädchen sagt, ihr sei jetzt bewusst geworden, wie schön es sei, dass sie leben darf. Ist das eine Scharnierstelle des Films?

Barco: Ja, das haben Sie sehr gut bemerkt. Natürlich ist sie schwer krank, aber trotzdem entdeckt sie eben plötzlich, dass jeder Tag eben ein Geschenk ist. Und sie ist nun sehr mit dem Tod konfrontiert, sie muss sich sehr direkt mit dem Tod auseinandersetzen, und gerade deshalb kann sie das dann sozusagen auch plötzlich neu für sich entdecken. Und sie reagiert sehr menschlich, sie reagiert voller Lebensfreude und voller Elan und nimmt dieses Geschenk dann plötzlich an.

Timm: Die Geschichte gerät dann ja gut geplant aus den Fugen, wird sehr surreal: Ein Serienmörder geht um und alle, die doch unbedingt sterben wollen und es jetzt ganz spontan und gewaltvoll könnten, die gehen in Deckung vor dem Tod. Wenn es ernst wird, ist eben alles doch sehr viel komplizierter?

Barco: Nun, das ist natürlich ein sehr, sehr zwiespältiger Punkt, aber ich habe versucht, das mit Ironie anzugehen, und ich mag einfach Filme im Kino, die sehr viel auf schwarzen Humor setzen. Und ich habe mich gefragt: Na, was passiert nun eigentlich, wenn man plötzlich nicht mehr entscheiden kann, wie man sterben will, wenn man zwar eigentlich sterben wollte und sich einen gewissen Tod gekauft hat, und dann plötzlich soll man auf eine andere Art und Weise sterben, auf eine ganz brutale, eine ganz unmenschliche? Und ich glaube, es ist realistisch, dass dann die meisten nicht mehr sterben wollen. Und ich denke, wenn man den sicheren Tod vor Augen hat und dann plötzlich die Wahl hat zwischen Leben und Tod, dann entscheiden sich die Menschen plötzlich wieder für das Leben.

Und wir dürfen auch nicht vergessen: Der Selbstmord ist eine sehr westliche Angelegenheit. Es ist einfach so, dass wir immer mehr geschützt sind in der westlichen Gesellschaft, dass unser Leben sich eigentlich vereinfacht hat, und aus rein psychologischen Gründen können wir uns aussuchen, wie wir sterben möchten. In Afrika beispielsweise, wo es so viel Hunger und so viel Armut gibt, da hängen die Leute am Leben, auch wenn sie manchmal wie lebende Tote durch Katastrophen gehen, durch Kriege, durch Hungersnöte: Sie wollen leben. Aber gerade jetzt in der Weltwirtschaftskrise hat sich das im Westen verstärkt, weil die Leute plötzlich merken: Sie können sich ihre Träume nicht mehr leisten, sie sind abhängig geworden, sie haben sich verschuldet, sie können ihre Kredite nicht mehr zurückbezahlen, und sie werden darüber so unglücklich, dass sie diese Gesellschaft, die man ihnen so aufgezwungen hat, diese Konsumgesellschaft, nicht mehr so genießen können, dass sie sich dann für den Selbstmord entscheiden.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem Regisseur und Autor Olias Barco über seinen Film "Kill Me Please". Monsieur Barco, hat Ihnen dieser Film eigentlich Ärger eingebracht?

Barco: Nein, ehrlich gesagt nicht. Ganz egal, ob ich den Film in Europa, in den USA oder auch in Asien gezeigt habe, es hat wirklich keine bösartigen Reaktionen gegen meinen Film gegeben. Interessanterweise in Italien beispielsweise, da gab es auch zwei Zeitungen, die diesen Film über alles gelobt haben, und in Frankreich gibt es diese katholische Tageszeitung "La Croix", die meinen Film genauso gelobt hat wie die Zeitung des Vatikans in Italien. Das ist schon erstaunlich, dass diese katholischen Zeitungen dann plötzlich gemerkt haben, dass ich – obwohl es ein Film über den Tod ist – ja in gewisser Weise doch das Leben feiere.

Der Film weckt einfach eine Diskussion, und das einzige Mal, dass jemand wirklich sehr negativ auf diesen Film reagiert hat, und das war wahrscheinlich ein Zufall, das war in der Slowakei. Da hat jemand geschrien, ihm sei der Film zu brutal, aber vielleicht war das wirklich eine Einzelmeinung, weil er vielleicht gerade jemanden durch einen Selbstmord verloren hat, auch aus persönlichen Gründen. Aber wirklich, im Großen und Ganzen ist das wirklich ein Film, der eine Diskussion anregt und der die Grenzen sehr, sehr gut überschreitet.

Timm: Dass "Kill me Please" als Film über das Sterben ein Film über das Leben ist, das teilt sich jedem mit. Trotzdem, mit Verlaub: Dass der Papst ihn gesehen hat oder ihn auch nur kennt, glaube ich nicht, Monsieur Barco. Lassen Sie uns mal über die Machart sprechen: Dieser Film ist ganz in Schwarz-Weiß gedreht, ohne Musik. Wie schnell hat sich das herauskristallisiert, und stand für Sie fest, dass Sie es so machen würden?

Barco: Wir haben in Schwarz-Weiß gedreht, weil wir nicht genug Geld für Farbe hatten, ganz einfach. Und man kann in Schwarz-Weiß einfach schnell und billig drehen, ganz egal, was für ein Wetter ist, ob es schneit, ob es draußen schön ist oder auch nicht – im Schwarz-Weißen ist immer alles grau. Und das Luxushotel, in dem wir gedreht haben, das hätten Sie mal sehen müssen, wie das farblich aussah, das war ganz gruselig, da haben sich alle Farben gemischt, da hatten wir rot, gelb und grün, da hätten wir alles neu malen müssen. Das hätte eine unglaubliche Zeit und auch Geld gekostet. Aber bei uns im Film ist das natürlich dann alles schön grau. Und man kann eben auch schnell drehen.

Und noch ein einziges Detail: Das Blut, was Sie in dem Film sehen, habe ich jeden Morgen zum Frühstück aus Nesquik und Wasser gemischt. Ich konnte immer beim Frühstück mir das Blut des Tages zusammenmischen. Hätten Sie das in Farbe gedreht, dann brauchen Sie echte Spezialisten, special effects, wie Sie das Blut hinbekommen, und auf die Art und Weise ist es ganz einfach: bisschen Nesquik, bisschen Wasser, und schon haben Sie Filmblut.

Timm: Wunderbar, so klären sich manchmal scheinbar bedeutungsvolle künstlerische Fragen, Monsieur Barco. Trotzdem ist der Film voll von literarischen und filmischen Anspielungen. Einer der Protagonisten sieht aus wie Honoré de Balzac persönlich, der Autor der "Menschlichen Komödie", inspiriert sind Sie auch von einem großen Filmklassiker, vom "Großen Fressen" von Marco Ferreri. Spinnen wir mal: Der Film ist ja auch bisweilen surreal. Was meinen oder hoffen Sie, würde Ihr Kollege zu "Kill Me Please" sagen?

Barco: Also ich möchte nur eine Sache ganz kurz anschließen an Ihre vorhergehende Frage, nämlich was die Musik anbelangt. Also ich liebe Musik und ich liebe auch Musik in Filmen, auch wie man mit Filmmusik arbeitet. Aber in diesem Film "Kill Me Please" war ich der Meinung, dass das ein so starkes Thema ist, dass es wirklich ohne Musik auskommt.

Was jetzt die großen Meister anbelangt: Das ist immer kompliziert mit diesen Anspielungen. Ich habe wirklich gar keine Ahnung, was Marco Ferreri gesagt hätte zu diesem Film, ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen. Aber ich war in Spanien mal in diesem sehr internationalen Festival, wo es um das Fantastische und auch um das Horrorkino geht, in Sitges, und da bekam ich den großen Preis, und da haben mich die spanischen Kritiker mit Bunuel verglichen. Das war natürlich eine große Ehre.

In Italien haben mir einige Kritiker gesagt, ich würde sie an Tarantino erinnern. Das war für mich auch ein großes Kompliment, weil für mich Tarantino der größte lebende kreative Regisseur ist. Also letztendlich sind es die Kritiker, die einen Filmemacher in gewisse Richtungen treiben. Wir selbst denken da vielleicht gar nicht so dran. Aber natürlich ist es etwas, was mir sehr angenehm ist. Wenn man mich mit Tarantino vergleicht – das höre ich natürlich gerne.

Timm: Der Filmregisseur Olias Barco über seinen Film "Kill Me Please", der in dieser Woche in unsere Kinos kommt. Bonne chance et merci, und übersetzt hat das Gespräch für uns Jörg Taszman, auch an ihn vielen herzlichen Dank!

Barco: Merci, merci beaucoup à vous … und ich will noch mal kurz darauf hinweisen, das ist wirklich eine Komödie, das ist wirklich ein Film, der auch das Leben feiert, also schauen Sie sich den Film an, um zu leben.

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