Die Angst fährt mit

Von Petra Aldenrath · 29.03.2010
Chinas Kohlegruben zählen zu den gefährlichsten weltweit. Die Regierung in Peking will zwar schon seit längerer Zeit Druck auf Bergwerksbetreiber ausüben und unrentable und gefährliche Minen schließen lassen. Doch die schärferen Auflagen haben nur geringe Chancen, gegen den weit verbreiteten Filz in der Volksrepublik anzukommen.
Es ist ein Uhr Mittags. Schichtwechsel in der Kohlegrube in der trostlosen Einöde von Chinas größter Kohleabbauprovinz Shanxi. Nirgendwo wachsen Bäume. Stattdessen ist die Landschaft übersät mit Fördertürmen. Die Kohlegrube von Grubenbesitzer Mi ist eine der größeren Gruben. An die 500 Kumpel arbeiten hier.

Es gibt zwei Schächte. Rasch qualmen die Kumpel noch eine Zigarette, dann werden die Gürtel an der Schaufel und Harke befestigt sind in der Taille festgezurrt und es geht ab in den Schacht 800 Meter unter die Erde.

Die Fahrt mit der Lore runter dauert ganze 20 Minuten. Nur die Lampen, die an den Helmen der Kumpel befestigt sind, spenden etwas Licht.

Der Schacht, in dem die Arbeiter mit der Harke Kohle aus der Erde holen ist drei Meter hoch und drei Meter breit. Laut Gesetz dürfen die Kumpel hier unten nicht mehr als acht Stunden schuften. Bergarbeiter Wu lacht höhnisch auf - mit rußgeschwärztem Gesicht und schmutziger Arbeitskleidung steigt er aus dem Schacht. Das Tageslicht blendet ihn, Wu reibt seine müden Augen:

"Wir werden nicht nach Stunden bezahlt, sondern danach wie viel Kohle wir hier herausschaufeln. So im Durchschnitt verdiene ich jeden Tag zwischen sieben und acht Euro. Aber wie gesagt nicht jeden Tag: Je mehr Kohle wir schaufeln, desto mehr Geld springt dabei heraus."

Zwölf Stunden lang ist Kohlearbeiter Wu unter Tage. 24 Schichten hat er im Monat. Das heißt Wu arbeitet mindestens sechs Tage in der Woche. Dafür hat er am Ende etwa 300 bis 400 Euro pro Monat verdient. Das ist eine Menge Geld. Soviel verdienen viele Bauern nicht in einem Jahr. Wu möchte etwas davon sparen. Für seine beiden Kinder.

Mit ihnen und seiner Frau lebt er gemeinsam in einem acht quadratmetergroßem Zimmer auf dem Grubengelände. Der Blick aus dem Fenster: schwarze Kohlenberge und Lastwagen. Ein Bett, ein Sofa und ein einflammiger Ofen - mehr passt in Wus Bleibe nicht rein. Fließendes Wasser gibt es nicht.

Wu wäscht sich sein rußgeschwärztes Gesicht, seine schmutzigen Hände und Füße in einem einfachen Blechbottich ab. Trotz dieser Lebensbedingungen heuern viele arbeitslose Wanderarbeiter aus dem ganzen Land in den Kohleabbaugegenden Chinas an. Gelockt von der Aussicht, etwas zu verdienen, um später teilzuhaben am Wirtschaftsaufschwung.

"Wir haben Angst vor Kohlegrubenunglücken, aber wir haben keine andere Wahl Geld zu verdienen. So wie Vögel sterben um Nahrung zu finden, sterben Männer für den Wohlstand. Das ist ein altes chinesisches Sprichwort. Alles ist gefährlich an Kohlegruben. Bist du erst unten, ist es gefährlich."

Erzählt Lu, ein ehemaliger Bauer aus der Provinz Sichuan. In China passiert etwa alle drei Tage ein Kohlenunglück. Chinas Gruben zählen zu den gefährlichsten der Welt. China gewinnt seine Energie und Wärme zu 70 Prozent aus Kohle. Kohle gilt als "schwarzes Gold". Wegen des anhaltenden Wirtschaftsaufschwungs wird es dringend gebraucht. Die Kohlepreise steigen daher stetig. Um noch mehr Profit zu machen, versuchen deshalb viele skrupellose Grubenbesitzer so viel zu fördern wie es geht:

Sicherheitsvorkehrungen werden bei der Gier nach Geld umgangen, Kumpel ohne Ausbildung in die Schächte geschickt und Sicherheitsinspektoren mit Schmiergeld zum Schweigen gebracht. Immer wieder melden ehrliche Bergarbeiter Vorfälle. Doch das hilft erst recht nichts, zuckt einer mit den Schultern:

"Sogar wenn wir eine illegale Mine melden. was wir sagen, ist doch egal. Wir sind einfach Leute, einfache Leute haben keinen Einfluss."

Es ist wieder Schicht. Für sieben neue Kumpel beginnt die Arbeit unter Tage. Eine letzte Zigarette wird gequalmt. Dann geht es bergab. Die Angst fährt mit, wie immer:

"Es passieren immer Unfälle. Die kann man nicht vermeiden. Kohle ist harter Stein, und wir haben nur menschliche Körper. Kann man da die Sicherheit garantieren?"