Die Ambivalenz der Designer-Vagina

18.01.2011
Schönheits-Operation im Genitalbereich: Chirurgische Eingriffe in die Intimzone werden immer beliebter. Dieser interessante kleine Sammelband sucht nach Erklärungen in Psychologie und Kulturgeschichte.
Vom Nasenstecker bis zum Schamlippenring – der moderne Mensch sticht sich offensichtlich gerne Objekte in besonders sensible Körperteile. Warum Piercings und verwandte Körpermodifikationen derzeit so beliebt sind, ist allerdings weniger offensichtlich. Anders als bei vielen Naturvölkern haben solche Praktiken im Westen keine rituelle oder spirituelle Tradition. Trotzdem haben sie sich in den letzten Jahrzehnten vom Protestsignal der Punkkultur zum ganz alltäglichen Breitenphänomen entwickelt. Laut einer Studie von 2003 hatte jeder fünfte deutsche Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren ein Piercing oder ein Tattoo.

Dieser interessante kleine Sammelband versucht sich nun an Erklärungen, vor allem mit Blick auf die in den letzten Jahren häufiger gewordenen Intimmodifikationen, also Eingriffen in den Genitalbereich. Die Texte reichen dabei von nüchtern medizinischen Beschreibungen über psychologisch-soziologische Erklärungen bis zu kulturhistorischen Abhandlungen. So bietet der Psychologe Erich Kasten detaillierte Beschreibungen der vielfältigen Möglichkeiten, den männlichen Penis zu verzieren. Die Ärztin Simone Preiß gibt einen sachlichen Überblick über die verschiedenen Varianten der chirurgischen Schamlippen-Reduktion.

Gesellschaftskritischer beleuchtet Herausgeberin Ada Borkenhagen den zeitgenössischen Trend zur "Designervagina", wobei sie interessante Ambivalenzen feststellt: einerseits werden im Westen genitalchirurgische Eingriffen bei Frauen fast immer mit dem Argument "mehr Orgasmusfähigkeit" begründet, damit wird also eine befreite weibliche Sexualität vorausgesetzt bzw. gefördert; andererseits wird mit der Vorstellung, dass nur ein perfekt jugendlich aussehendes Genital guten Sex haben könne, auch eine erhebliche neue kulturelle Einschränkung weiblicher Sexualität vorgenommen.

Die Intimrasur, die mittlerweile in der jüngeren Generation fast obligatorisch ist, stellt, wie ein anderer Beitrag zeigt, eine Ausweitung der gesellschaftlichen Normen und Aussehensideale auf einen bislang unbehelligten Bereich dar: das moderne Individuum muss dank freizügiger Werbe- und Porno-Bildkultur nicht mehr nur in den öffentlich sichtbaren Körperteilen schlank, fit und möglichst operativ begradigt sein, sondern auch in den intimeren Zonen.

Kulturkritisch interessant sind auch die Beiträge, welche den Bogen zu archaischen Praktiken der Körpermodifikation herstellen: die männliche Beschneidung, die weibliche Genitalverstümmelung oder die auch im Westen zunehmend praktizierte Hymen-Rekonstruktion, also die "Wiederherstellung" eines in der Hochzeitsnacht anständig blutenden Jungfernhäutchens (die angesichts der Tatsache, dass dieser Vorgang von Natur aus in 50 Prozent der Fälle sowieso nicht gegeben ist, als eine besonders perfide Form der kulturellen Normierung erscheint).

Insgesamt bietet der Band einen interessanten Einblick in ein naturgemäß eher verstecktes Gebiet der kulturellen Entwicklung, und neben einigen ganz praktischen Informationen vor allem viel Material zum Nachdenken über das kulturelle Verhältnis, das wir zu unseren Körpern haben.

Besprochen von von Catherine Newmark

Ada Borkenhagen, Elmar Brähler (Hg.): Intimmodifikationen. Spielarten und ihre psychosozialen Bedeutungen
Psychosozial-Verlag, Gießen 2010
219 Seiten, 19,90 Euro