"Dichten am Meer" (2)

Schreiben, bis die Füße nass werden

Ein Segelboot am 29.12.2015 am Horizont auf der Nordsee in Westende (Belgien). Foto: Lukas Schulze
Segelboot vor der belgischen Nordseeküste. © picture alliance / dpa / Lukas Schulze
Von Marten Hahn · 05.07.2016
Zwei Wochen verbrachte der niederländische Dichter Erik Lindner am Meer. Sein Auftrag: für das Buchmesseprojekt "Dichten am Meer" einen Text übers Meer zu schreiben. Erik Lindner will ein klares Bild schaffen - "wie ein Foto".
"Ich mag Ostende. In Ostende werden zwar viele Häuser saniert, aber viel Altes bleibt erhalten. Ein Stück Seele bleibt am Leben. Kleine Bars hier und da. Das ist nicht ausgefallen oder gefährlich. Aber ein bißchen schäbig. Ich mag das."
Wer am Bahnhof Ostende aussteigt, riecht das Meer. Wer an der Strandpromenade entlang läuft, begegnet dem Glanz alter Zeiten. Ostende war ein beliebtes Seebad, bevor die Menschen anfingen nach Mallorca oder in die Türkei zu fliegen.
"Und es gibt hier eine Pferderennbahn. Das würde man in Holland nirgendwo am Strand finden. Das finde ich absurd."
Erik Lindner sitzt in der "Brasserie du Parc". Gefliest. Jugendstil-Charme. Draußen scheint die Sonne. Es ist noch vor zwölf, zwei ältere Herren bestellen das erste Bier. Es sind solche Momente, die der Niederländer in seinen Texten festhält. Erik Lindner schreibt Gedichte wie andere Fotos machen.
"Aber das Bild, das ich sehe, ist nicht das Bild, das du siehst, wenn du meine Gedichte liest. Und ich denke, das ist es, worum es in meinen Arbeiten geht. Ich will ein klares Bild schaffen, wie ein Foto. Das will ich untersuchen: Wie scharf bekomme ich das Bild? Ich denke, Gedichte sind oft unscharf. Aber wenn man ein Bild ans nächste reiht, kann man darauf hoffen, dass beim Leser ein kurzer Film abläuft."

Meer, Wolken und Sonne als Inspiration

Lindner ist mit einem Auftrag nach Ostende geschickt worden: Texte übers Meer schreiben. Manche Künstler sträuben sich gegen Anweisungen dieser Art. Lindner ist da pragmatischer.
"Du willst, dass ich übers Meer schreibe? Dann schreibe ich nur übers Meer. So viel, dass du irgendwann die Schnauze voll hast. Bis du nasse Füße von dem Gedicht bekommst."
Arbeitet Lindner an einem Roman, tut er das immer morgens. Für seine Gedichte vom Meer hat er eine andere Schreibroutine entwickelt.
"Das klingt jetzt fürchterlich romantisch, aber wenn die Sonne untergeht, dann setze ich mich runter an den Hafen, und schaue aufs Meer und die Wolken und die Sonne. Bisher hat mir das jeden Abend einige Zeilen beschert."
Die ersten Zeilen über Ostende schrieb Lindner schon vor einigen Jahren. Damals wurde er gebeten, für den Stummfilm "Images d’Ostende" aus den 1920ern ein Gedicht zu schreiben. Er war damals nicht in der Stadt. Stattdessen schaute er den Film über 20 Mal. Erst dann fielen ihm die ersten Zeilen ein:
"Ein Knochen liegt im Sand / einer Insel die nicht stillsteht /
fest ist die Form
/die Geschichte des Windes
/das Treiben von Mark und Stein /
der Wind geht verloren auf dem Meer / keine Welle gleicht der anderen"
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