Dialog zwischen Christen und Muslimen war "nachgeordnet"

Anja Middelbeck-Varwick im Gespräch mit Nana Brink · 27.02.2013
Während seines Pontifikats habe Benedikt XVI. keinen Akzent beim Dialog der Religionen gesetzt, sagt die Theologin Anja Middelbeck-Varwick. Von einem neuen Papst wünscht sie sich mehr Sensibilität für das Thema, vielleicht einen "Freund der Muslime".
Nana Brink: Ab morgen ist das Pontifikat Benedikt XVI. Geschichte, und in den vergangenen Wochen ist viel darüber räsoniert worden, wie das Vermächtnis von Benedikt wohl zu sehen ist. Wichtig war ihm vor allen Dingen der Dialog mit den anderen großen Religionen. Seine Regensburger Rede im September 2006 stieß zwar auf großen Protest in der muslimischen Welt – Benedikt zitierte darin ja mittelalterliche Texte, die das Verhältnis von Islam und Gewalt problematisieren, aber schon bald bemühte sich der Vatikan um Schadensbegrenzung, und der Papst besuchte die Blaue Moschee. Auch gegenüber dem Judentum ließ er nie einen Zweifel daran, dass die Aussöhnung – festgelegt ja im Zweiten Vatikanischen Konzil – unwiderruflich ist. Im Studio ist jetzt Anja Middelbeck-Varwick, Juniorprofessorin für systematische Theologie und spezialisiert auf den interreligiösen Dialog. Schönen guten Morgen!

Anja Middelbeck-Varwick: Guten Morgen!

Brink: Hat Benedikt den Dialog zwischen den Religionen wirklich vorangebracht?

Middelbeck-Varwick: Nun, das ist immer eine schwer messbare Kategorie, etwas voranzubringen, aber in jedem Fall wird man im Vergleich zum Pontifikat seines Vorgängers von einer Akzentverschiebung sprechen müssen, denn er hatte das Feld neu zu bestellen nach den Ereignissen des 11. Septembers, er fand sich in einer Zeit, in der dem Dialog der Religionen auch schon der Abgesang angestimmt wurde, und sicherlich ist er auch ein anderer Typ als Johannes Paul II., der sicherlich der große Dialog-Papst war. Wenn ich gesagt habe, es gibt hier eine Akzentverschiebung, so meint das, dass er, glaube ich, anders als Johannes Paul II. den Dialog der Religionen nachgeordnet hat vielleicht zu anderen Themen, die ihm in seinem Pontifikat wichtig waren, und dass er vielleicht auch die Notwendigkeit gesehen hat, Differenzen stärker zu betonen, mehr als eigentliche theologische Fragen, oder anderes Betonen von Gemeinsamkeiten.

Brink: Sie haben sich ja spezialisiert, auch gerade auf den Dialog zwischen Christen und Muslimen, also diesen Dialog – hat er da einen Akzent gesetzt? Der Start war ja wie gesagt etwas misslungen mit der Regensburger Rede. Da ist ihm ja viel Gegenwind auch entgegengekommen aus der muslimischen Welt.

Middelbeck-Varwick: Ich denke, dass er mit der Regensburger Rede zunächst eine große Öffentlichkeit erreicht hat, die eigentlich mit dem Thema der Rede, mit dem eigentlichen Thema der Regensburger Rede gar nicht hätte erreicht werden können, nämlich das eigentliche Thema der Regensburger Rede war ja das Verhältnis von Glaube und Vernunft, und nicht das Verhältnis des Dialogs der Religionen. Dass diese Rede in der Öffentlichkeit diese Wirksamkeit erzielt hat, liegt daran, dass ein Papst erstmals auch in der Geschichte in einer öffentlichen Rede Bezug genommen hat auf den Propheten Mohammed.

Wenn man sich klar macht, was damit ausgelöst werden kann, dann hätte sicherlich eine andere Sensibilität notwendig sein müssen. Und bis heute steht ja eine lehramtliche Verhältnisbestimmung zum Propheten Mohammed theologisch noch aus. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte dies bewusst offengelassen: Wenn es formuliert, "Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die mit uns den einen Gott anbeten", dann wird nicht darauf eingegangen, wie dieser Gott sich offenbart hat im Islam, sondern nur, wer sich offenbart hat, indem er zu den Menschen gesprochen hat, nicht durch den Propheten Mohammed. Also es wird bewusst ausgeklammert, und insofern war es eigentlich vorhersehbar, dass ein solches Zitat, das er natürlich als Zitat deklariert hat und natürlich in einem ganz anderen Kontext verwendet hat, hier für Furore und auch zu Gewalt und Protesten führen musste.

Brink: Aber ist das nicht wieder ein sehr typisches Beispiel dafür, dass der Papst eben sehr akademisch – er gilt ja als ein akademischer Papst – reagiert hat, und weniger bei den Menschen war, also bei dem konkreten Dialog? Wie hätte der denn aussehen müssen, Ihrer Meinung nach, oder was hätte er tun müssen, damit das wirklich fruchtbar und nachhaltig wird?

Middelbeck-Varwick: Natürlich ist er ein Theologen-Papst, und natürlich ist seine Denkform vielleicht eine andere als die seines Vorgängers. Das sieht man auch an seiner zunächst doch sehr kritischen Haltung gegenüber dem Gebetstreffen in Assisi beispielsweise. Dennoch, wenn ich mir anschaue, was oft übersehen wird, ist ja auch sein Engagement gerade im Nahen Osten, und für die Gespräche im Nahen Osten und …

Brink: Also er hat den Libanon besucht, zum Beispiel, drei Tage lang …

Middelbeck-Varwick: Genau, und das ist eine Reise, die uns vielleicht noch, vom letzten Jahr recht deutlich vor Augen steht, wo ein großes und auch, glaube ich, wichtiges Dokument, das nachsynodale Schreiben Ecclesia in Medio Oriente verabschiedet wurde, ein Papier, was eben auf ökumenische Fragen drängt und auf die Verständigung gerade auch von Christen und Muslimen drängt, natürlich auch um die Freiheit und die Religionsfreiheit von Christen im Nahen Osten zu stärken. Aber dennoch, es ist ein Papier, das sich sehr deutlich auch für den Dialog der Religionen ausspricht und die Ökumene hier einbezieht an dieser Stelle.

Brink: Aber er hat sich da auch politisch geäußert. Wenn man sich die Reise vor Augen führt im Libanon, er hat für ein Waffenembargo in Syrien plädiert, er hat auch gesagt, er war sehr kritisch, was den Arabischen Frühling angeht, nach dem Motto, wenn die Christen dort nicht eingebunden werden, dann gäbe es keinen Frieden. Befördert all dies einen muslimisch-christlichen Dialog?

Middelbeck-Varwick: Nun, ich denke schon, dass es zunächst auch seine Aufgabe ist, in einer solchen Situation zu Gewaltverzicht aufzurufen und den Frieden immer wieder anzumahnen. Und ich glaube schon, dass er einfach die Notwendigkeit gesehen hat, zunächst einmal an diese ganz konkreten Dinge zu appellieren, sich auch Gehör zu verschaffen. Wenn der Papst spricht, dann hört ja auch die Welt gewissermaßen noch zu. Gleichwohl, wenn man seine Texte nachliest, oder wenn man auch die Erklärungen nachliest, dann wird man finden, dass er um die Notwendigkeit weiß, dass hier das Gespräch von Christen und Muslimen notwendige Voraussetzung ist. Das heißt, wenn Christen und Muslime hier nicht zusammen wären, wenn es ein Gegeneinander gibt, dann werden diese Konflikte noch potenziert und ins Unermessliche gesteigert, und das ist ihm nicht zuletzt deswegen auch ein zentrales Anliegen gewesen.

Aber ich glaube, er hat eben im Blick gehabt, nicht in erster Linie einen Dialog, wie wir ihn vielleicht noch aus den 80er-, 90er-Jahren kennen, wo man freundlich über die Gemeinsamkeiten spricht, sondern einen, der eben auch die Differenzen einbezieht und vielleicht auch diese zunächst einmal stärker macht, um immer wieder auch das entscheidend Christliche zu betonen, um den christlichen Minderheiten zu ihrem Recht zu verhelfen, das ist sicherlich auf seiner Agenda ganz weit oben.

Brink: Das Pontifikat Benedikt XVI. wird morgen Geschichte sein. Was erwarten Sie von einem neuen Papst, gerade im Hinblick auf diesen Dialog?

Middelbeck-Varwick: Ich wünsche mir einen Papst, der hier eine sehr hohe Sensibilität besitzt, der vielleicht auch ein Freund der Muslime ist und hier eine Nähe hat, also der sicherlich um die Konflikte weiß und sicherlich um die klassischen Streitpunkte weiß, aber der doch vielleicht auch die Verbundenheit, die aus den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils spricht, nämlich, dass die Kirche mit Hochachtung die Muslime betrachtet, dass sie unsere Glaubensgeschwister sind, der darum weiß, und von diesen Gemeinsamkeiten aus doch wieder beginnt, weil sich das mittelfristig, langfristig sicherlich als das Tragfähigere erweisen wird.

Brink: Also wird dieser interreligiöse Dialog die Zukunft sein?

Middelbeck-Varwick: Der interreligiöse Dialog wird immens wichtig bleiben, gerade der Dialog von Christen und Muslimen wird ein Zukunftsthema der katholischen Kirche sein, und insofern ist hier eine große Kompetenz erforderlich, die ja auch in den Institutionen sich durchaus spiegelt, die die katholische Kirche im Ausgang des Konzils eingerichtet hat. Es gibt ja den päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog, es gibt das päpstliche Institut für christliche und arabische Studien und so weiter und so fort. Es gibt das katholisch-muslimische Forum, das im Pontifikat Benedikts XVI. eingerichtet wurde, also diese Institutionalisierung ist ja vorhanden. Wichtig ist, dass der Dialog auch tatsächlich gesprächsfähig bleibt, und dass hier Menschen mit Menschen reden.

Brink: Anja Middelbeck-Varwick, Theologie-Professorin und spezialisiert auf den interreligiösen Dialog. Das Gespräch haben wir aufgezeichnet, und Sie hören Deutschlandradio Kultur mit der "Ortszeit".


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