Dialog

Zwei Religionen, ein Buch

Das Minarett der im Bau befindlichen Esslinger Moschee.
Islamische Türken bauen Moschee in Esslingen © dpa / Marijan Murat
Peter Antes im Gespräch mit André Hatting · 10.04.2014
Es soll zum Gespräch anregen und Grenzen zwischen Christen und Moslems überwinden: das "Lexikon des Dialogs". Peter Antes, einer der Herausgeber, berichtet über die Auswahlkriterien der 320 Wörter aus den beiden Religionen und über die Reaktionen auf das Werk, das Deutsche und Türken entwickelt haben.
André Hatting: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt", der berühmt gewordene Satz des Philosophen Ludwig Wittgenstein aus seinem "Tractatus" - und vor genau diesen Grenzen standen Übersetzer eines deutsch-türkischen Symposiums. Das hatte die christliche Eugen-Biser-Stiftung mit der islamisch-theologischen Fakultät der Universität Ankara veranstaltet. Um Grundpositionen des heutigen christlichen beziehungsweise islamischen Selbstverständnisses sollte es gehen. Die Übersetzer stellten aber fest: Es gibt gar keine Referenzwerke, also nichts, das die Grundbegriffe beider Kulturen in ihrer Sprache erklärt hätten. Aus dieser Erfahrung haben beide ein Projekt gestartet. Das Ergebnis ist ein "Lexikon des Dialogs". Theologen aus Deutschland und der Türkei wollen damit die Sprachgrenzen und damit eben auch die der Welten überwinden. Heute wird das Lexikon in Ankara vorgestellt. Am Telefon begrüße ich jetzt den Religionswissenschaftler Peter Antes. Er ist einer der Herausgeber des "Lexikon des Dialogs". Guten Morgen, Herr Antes!
Peter Antes: Ja, guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Das Besondere an diesem Buch ist ja, dass erstmals die christliche und die muslimische Sicht in einem Werk nebeneinanderstehen. Was bedeutet das zum Beispiel für einen Begriff wie "Gewalt"?
Antes: Für den Begriff "Gewalt" bedeutet das, dass wir gemerkt haben, dass unser Gewaltbegriff im Deutschen erheblich breiter ist und weniger körperliche Gewalt beinhalten muss wie zum Beispiel, wenn wir von staatlicher Gewalt sprechen, was im Türkischen gar nicht der Fall war, sondern dort bezog sich es ausschließlich auf körperliche Gewalt und von daher natürlich eine beengte und begrenzte Sichtweise.
Hatting: Bei manchen Begriffen würden wir große Unterschiede erwarten, zum Beispiel bei "Frau" oder "Demokratie". Gab es denn für Sie auch überraschende Parallelen?
"Die Menschenwürde kann eben auch nicht durch einen Parlamentsbeschluss abgeschafft werden"
Antes: Ja. Also gerade bei den von Ihnen genannten Begriffen waren wir überrascht, wie eng die Sichtweisen sind. Es ist durchaus etwa bei der Demokratie so, dass unterschiedliche Demokratiebegriffe in der Diskussion sind, aber die Vorstellung, dass die Menschen, die Staaten organisieren, die war vollkommen gleich. Probleme gab es nur bei der Frage - und das ist bei uns ja auch ein Problem -, wenn sozusagen Parlamente alles und jedes beschließen können, auch völlig über die normalen Grenzen des Moralischen hinaus. Als Beispiel nenne ich bei uns: Die Menschenwürde kann eben auch nicht durch einen Parlamentsbeschluss, mit welcher Mehrheit auch immer, abgeschafft werden. Und das war das Anliegen auch der Muslime, dass gewisse Grundprinzipien der religiösen Moral bestehen bleiben.
Hatting: Dieses Projekt hat mehrere Jahre gebraucht. Das Klima in der Türkei hat sich seitdem deutlich verändert, ist wesentlich restriktiver geworden. Hat sich das auch in der Zusammenarbeit mit den türkischen Kollegen bemerkbar gemacht?
Antes: Das hat sich weder in der Zusammenarbeit mit den Kollegen bemerkbar gemacht, noch - ich muss hinzufügen, wir hatten vorgestern schon eine Vorstellung vor Journalisten in Antalya -, noch bei denen. Die haben genauso geredet wie die ganze Zeit und denken auch wohl so.
Hatting: Sind die Reaktionen der Türkei auf das Lexikon anders als in Deutschland?
Antes: Nein, sie sind insgesamt sehr positiv. Die große Schwierigkeit ist in beiden Ländern, dass wir eine entsprechend breite Öffentlichkeit erreichen, insofern bin ich Ihnen auch sehr dankbar, dass Sie uns hier vorstellen.
Hatting: Sie wollten das Lexikon überschaubar halten, deswegen stehen etwa nur 320 Grundbegriffe aus Christentum und Islam drin. Was war denn das Auswahlkriterium?
Antes: Das Auswahlkriterium war, dass zunächst jede Gruppe nannte, was ihr besonders am Herzen liegt und wichtig ist, und darüber hinaus dann die gegenseitigen Anfragen kamen, was die andere Seite von uns beziehungsweise wir von ihnen erwarten.
Hatting: Und was erwartet zum Beispiel die türkische Seite von Ihnen?
Antes: Ja, die erwarteten zum Beispiel von uns, dass wir etwas sagen zu den Bekleidungsvorschriften, die im ersten Korintherbrief des Paulus stehen, warum etwa bei uns jetzt das Kopftuch nicht mehr relevant ist, und das haben wir dann auch beantwortet.
Hatting: Nicht mehr relevant ist?
"Man braucht kein Theologiestudium, unser Interesse ist, allgemein verständlich zu formulieren"
Antes: Ja, also in der klassischen Zeit des frühen Christentums durften ja Frauen in die Kirche wie Frauen in die Synagoge nur mit einer Kopfbedeckung. Das ist ja inzwischen völlig abgeschafft und uns absolut unvertraut.
Hatting: Sie haben vorhin davon gesprochen, dass Sie natürlich ein Interesse daran haben, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Sind denn die Einträge allgemein verständlich formuliert, sodass das möglich ist, oder braucht man ein Theologiestudium?
Antes: Nein, man braucht kein Theologiestudium, unser Interesse ist, allgemein verständlich zu formulieren. Ob es uns in jedem Einzelfall gelungen ist und mit jedem Begriff, das muss dann die Diskussion zeigen. In diesem Sinne ist das auch ein Pilotprojekt, das keinen Endstatus darstellt, sondern eigentlich anregen will zum weiteren Diskutieren, denn neben den bereits behandelten Begriffen und vielleicht auch bei denen muss die Diskussion weitergehen und das Ganze angestoßen werden.
Hatting: An wen richtet sich das Lexikon, oder, anders formuliert, wen wünschen Sie sich noch als Leser?
Antes: Wir wünschen uns Politiker, wir wünschen uns Lehrer, wir wünschen uns Soziologen, alle Planer, die überhaupt etwas zum Zusammenleben der Menschen beisteuern, und wir hoffen, dass wir genügend Multiplikatoren finden, um die Sache breit anzulegen. Selbst in Schulen haben wir guten Erfolg gehabt, als wir es vorgestellt haben.
Hatting: In Deutschland kann man das Buch in jeder Buchhandlung bestellen. Geht das in der Türkei auch so einfach?
Antes: Ja, hier muss man es über den Verlag der Universität in Ankara bestellen. Wenn man aber in Deutschland die türkische Ausgabe haben will, dann kann man sie über die Eugen-Biser-Stiftung bestellen.
Hatting: Pionierarbeit in Sachen interreligiöser Verständigung: Die christliche Eugen-Biser-Stiftung hat gemeinsam mit der islamisch-theologischen Fakultät der Universität Ankara das "Lexikon des Dialogs" verfasst. Peter Antes ist einer der Herausgeber. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Antes!
Antes: Vielen herzlichen Dank und einen guten Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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