Dialog des doppelten Schattens

17.01.2014
Gespräche, Selbstgespräche, Dialoge: Neue Formen der Klangrede erproben Pierre Boulez und Jörg Widmann in ihren Werken. Ein alter und ein junger Meister, vereint in einem poetischen Labyrinth.
Jörg Widmann, geboren 1973, und Pierre Boulez, geboren 1925, haben auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemeinsam. Zu groß erscheinen die Unterschiede in Alter und Ästhetik. Und dennoch schätzen sich die beiden auf besondere Weise – und da beide nicht nur komponierende, sondern auch ausübende Musiker sind, gibt es zwischen ihnen seit Jahren eine produktive Arbeitsbeziehung.
In seiner Jugend habe ihn, so Jörg Widmann im Gespräch, musikalisch wenig so beeindruckt wie ein Konzert des Ensemble intercontemporain. Am Dirigentenpult stand damals der Gründer des Ensembles, Pierre Boulez – jene Persönlichkeit, die die Einheit von musikalischem Denken und musikalischer Praxis wohl so anschaulich verkörpert wie kaum ein anderer. Ein großes Vorbild für den fast ein halbes Jahrhundert jüngeren Jörg Widmann, der inzwischen selbst als Komponist, Klarinettist und Dirigent das Zusammengehen verschiedener musikalischer Betätigungs- und Ausdrucksformen lebt.
Widmanns Werke dirigierte Pierre Boulez schon zu einer Zeit, als der junge Komponist noch nicht gänzlich arriviert war. Und Boulez‘ Klarinettenmusik hat der Instrumentalist Widmann natürlich im Repertoire – so etwa den 1985 entstandenen „Dialogue de l’ombre double“ (Dialog des doppelten Schattens), in dem die Klarinette mit sich selbst, elektronisch gespiegelt, ins Gespräch kommt.
Ob und wie Widmanns eigene Musik mit der von Boulez zusammenhängt, das wird an diesem Abend die Frage sein. Für die Konzertreihe „Musik der Zeit“ des WDR hat Widmann ein – wie es der Auftraggeber formuliert – „latent szenisches“ Werk komponiert, das „eine Sängerin durch Gassen und Passagen, ins unüberschaubare Gewirr einer imaginären Großstadt“ führt. Nicht auszuschließen, dass dort an der nächsten Straßenecke Pierre Boulez steht – und womöglich einen Stadtplan in der Hand hält…

Kölner Philharmonie
Aufzeichnung vom 10.01.2014

Pierre Boulez
„Dialogue de l’ombre double“ für Klarinette und Live-Elektronik

Jörg Widmann
„Labyrinth“ für Sopran und Orchestergruppen (Uraufführung)

Jörg Widmann, Klarinette
Sarah Wegener, Sopran
WDR Sinfonieorchester Köln
Leitung: Emilio Pomàrico

anschließend:

Pierre Boulez
„Domaines" für Klarinette und Instrumentengruppen
Michel Portal, Klarinette
Ensemble Musique vivante
Leitung: Diego Masson
(Produktion Harmonia Mundi 1971)

ca. 21:57 Uhr Nachrichten