Diagnose: Leukämie

Der mühsame Weg zurück ins Leben

Prof. Dr. Lutz Uharek, Stammzellen-Transplantation in der Charité in Berlin
Die Transplantation von Stammzellen ist eine der Therapien bei Leukämie © dpa / picture alliance / Rolf Kremming
Von Katrin Albinus · 10.11.2015
Leukämie - Patienten ebenso wie Angehörige trifft diese Diagnose wie ein Schlag. Schwer und zermürbend ist der Weg zurück in ein gesundes Leben. Da braucht es Unterstützung. Manche Überlebende stehen deshalb den Kranken zur Seite.
Margret Havenstein trägt kurzes grau-weißes Haar, eine weiße Sommerjacke, dazu eine leichte Hose mit Tigermuster und Sandalen. Heute ist ihr Geburtstag, 14 ist sie geworden, erzählt sie bei einem Kaffee, im Foyer des Universitätskrankenhauses Eppendorf. Heute vor 14 Jahren ist sie transplantiert worden.
"Wir haben eine schöne Musik gehört und, wie meine Tochter sagte, 250 Milligramm ganz große Hoffnung flossen so ganz langsam in meinen Körper rein. Und das ist einfach genial, weil das ist keine Operation oder sonst etwas, sondern diese Stammzellen suchen sich den Weg über einen Venenkatheter in den Körper hinein."
Vor der Transplantation war sie vier Monate im Krankenhaus, erinnert sich die 71-jährige. Sechs Ganzkörperbestrahlungen und mehrere Chemo-Therapien muss sie über sich ergehen lassen, die Diagnose: Leukämie. Doch nicht nur die Krebszellen werden vernichtet, das gesamte Immunsystem wird zerstört, damit es keine Abwehrreaktion gegen die Spenderzellen gibt. Der Körper ist damit aber auch offen für alle Infekte.
"Ich hatte das mal verglichen mit beim Marathon, Kilometer 35, wenn der Hammer-Mann kommt. Solch eine Situation war das. Also eigentlich war der Körper ganz weit unten."
"Das ist meine dritte Transplantation"
Nach der Behandlung erholt sich die sportliche Frau langsam, doch das Marathon-Laufen und ihren geliebten Job muss sie aufgeben: 10-Stunden-Schichten als leitende Hausdame in einem Hotel - nicht mehr möglich. Von ihrer Familie und den Mitarbeitern im Krankenhaus fühlt sie sich in dieser schweren Zeit liebevoll begleitet. Jetzt, wo es ihr wieder gut geht, will sie etwas zurück geben. Seit 10 Jahren ist sie deswegen bei den Sherpas.
"Und wen seh ich denn da? Da ist schon unsere Patientin. Das ist ja ne Überraschung!"
Die 35-jährige Gülschen ist mit ihrem Infusionsständer auf dem Flur unterwegs, ihr Zimmer wird gerade geputzt. Erst wenige Tage ist sie auf der offenen Station, seit sich bei ihr nach der Transplantation wieder Leukozyten bilden, Blutzellen des Immunsystems.
"Das ist meine dritte Transplantation. Ja, es ist nichts Neues für mich. Aber die dritte Therapie, die war jetzt recht schwer. Die hab ich schön gemerkt. Dass ich halt schlapper war, hab dann noch ordentlich eine Lungenentzündung bekommen. Das hat mich auch noch mal runtergerissen, ja."
Die beiden Frauen setzen sich. Gülschen trägt ein Tuch auf dem kahlen Kopf, das Gesicht ist angeschwollen. Sie leidet immer noch an den Folgen der Bestrahlung, etwa, dass ihre Schleimhäute stark gereizt sind.
"Man schmeckt gar nichts. Man denkt, man hat einfach irgendwas im Mund, wo man rum dran kaut und einfach runterschluckt. Und es tut auch sehr doll weh. Dein Mund ist wirklich kaputt, die Speiseröhre, eigentlich bis zum Magen runter, das spürst du richtig."
Außerdem hat sie gerade Probleme mit den Augen, hört auf einem Ohr schlecht - das alles kennt auch Margret Havenstein aus eigener Erfahrung. Ein Trost für Gülschen.
"Dann sagt sie: das ist ganz normal und hat mich dann beruhigt und da bin ich ihr auch ganz dankbar."
Für Gülschen gibt es weltweit keinen passenden Spender im Register
Zum Glück kamen für Gülschen zwei ihrer Schwestern als Spender in Frage. Funktioniert die Transplantation mit Stammzellen eines Familienangehörigen aber nicht, ist sie auf Fremdspender angewiesen. Die müssen genetisch zu ihr passen – für Gülschen gibt es aber weltweit bisher niemanden, jedenfalls nicht im Spenderregister.
"'Leider, bei uns in der Türkei, ist diese Spendersache, die existiert nicht. Davon wissen viele Leute nicht.' - 'Guck mal, das wäre doch auch mal eine Aufgabe für Dich, dass Du Dich da so'n bisschen einsetzt!' - 'Ich habe einen Freund, er ist Politiker. Ich werde wirklich ihn drauf ansprechen, dass er diese Sache mal publik macht. Ja, das muss. Unbedingt.' - 'Das zum Beispiel ist deine Geschichte, die du weiter geben kannst, und ich finde, das ist was ganz Tolles. Jetzt haste nicht nur deine Kinder als Vision, jetzt haste du noch ein bisschen mehr.' - 'Ja, genau.'"
Eine Vision zu haben, das sei ganz wichtig, erklärt Margret Havenstein. Für sie selbst war es, den New York Marathon zu walken - fünf Jahre nach ihrer Transplantation hat sie es getan. Für Gülschen ist es ihre Familie: ihr Mann und zwei Söhne, außerdem Eltern und Geschwister, die sie jeden Tag besuchen kommen.
"Ich sag mir immer, es ist ganz wenig Krankenhausaufenthalt für ganz viel Leben da draußen. Dafür kämpfe ich, für meine Kinder, meine Familie, ja."
Nicht jeder Patient bekommt so viel Unterstützung von der Familie, auch manche Freundschaften halten der Belastung nicht stand. Dann ist jemand wie Margret Havenstein, die zwei Mal in der Woche vorbei kommt, besonders hilfreich.
Gülschen wird in wenigen Tagen entlassen, vier Wochen war sie dann im Krankenhaus, will mit Margret Havenstein telefonisch in Kontakt bleiben. Zuhause wird sich ihr mühsame Weg fortsetzen, ein Weg der keinen Schritte, zurück ins Leben.
"Man muss stolz sein auf sich. Das ist ganz wichtig. Stolz hat ja immer son bisschen anrüchigen Charakter. Aber Menschen, die das hier machen, die müssen stolz sein. Für jedes bisschen, was sie geschafft haben."
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