Diäten

Altgedient und tückisch

Von Udo Pollmer · 15.03.2014
Jetzt im Frühjahr müssen die Winterpölsterchen runter. Das ist gar nicht so leicht - und zusätzlich geistern einige Abnehmmythen herum. Oder wie war das mit dem großen Glas Wasser vor der Mahlzeit?
Das Frühjahr weckt die Sinne und damit bricht nach der närrischen Fastnacht die Zeit der sinnfreien wie sinnesfeindlichen Diäten an. Viele Diätnarren glauben, man müsse nur mehr Energie verbrauchen als man äße. Wäre es so, würde es genügen, im Winter in Badesachen draußen rumzulaufen. Die enormen Wärmeverluste müssten – zumindest theoretisch – schon nach wenigen Wochen für eine Bikinifigur reichen. Im Frühjahr wären nicht nur die Schneehaufen sondern auch die Fettpölsterchen abgeschmolzen. Mit diesem Argument habe ich jahrelang versucht, die Absurdität der Bilanz-Idee vor Augen zu führen. Jetzt wurde sie von der Wirklichkeit eingeholt.
"Wer die Minusgrade verflucht, tut ihnen unrecht", warnt die Onlineausgabe eines bekannten Wochenmagazins, denn „sie haben ein ungeahntes Potenzial als Schlankmacher“. Eine Tageszeitung ergänzt: "Frieren hilft dem Körper Fett zu verbrennen". "Eine kalte Dusche am Morgen vertreibt nicht nur Kummer und Sorgen. Sie hilft auch, das Übel Nummer eins der Wohlfahrtsgesellschaft zu bekämpfen. Denn sie kurbelt die Fettverbrennung an."
Die Chatter in den Abnehmforen sind begeistert: Wer weniger heize, könne über den Winter bequem abnehmen. Weil aber der Hintern bei vielen Ernährungsbewussten verständiger ist als der Kopf, kurbelt der Körper bei Kälte über seine metabolischen Sinne den Appetit an, um sich die fehlenden Kalorien zum Warmhalten zuzuführen.
Allerdings gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Schlanken und Dicken. Bei schlanken Menschen läuft die endogene Heizung bei Kälte sofort auf Hochtouren – sobald die Kälte die inneren Organe erreicht ist mangels Unterhautfettgewebe Lebensgefahr im Verzug. Ihr Körper heizt nicht nur während des Frierens volle Pulle, sondern auch noch eine Stunde danach. Wer da nicht krank werden will, braucht leichtverdauliche, kalorienreiche Kost. Hagere können durch Hungern und Frieren abnehmen. Aber nur sie. Nicht so die Dicken. Die sind gut isoliert und ihr Körper kann der Kälte gelassen entgegensehen. Er arbeitet weiter im Energiesparmodus und legt sich gegen die Kälte noch ein paar Extrapölsterchen zu.
Wohliges Sättigungsgefühl von zwei Rollen Klopapier?
Einer der nervigsten Tipps ist der Spruch vom "langsam essen". Grund: "Bis das Signal 'satt' vom Magen aus das Gehirn erreicht", vermeldet eine Illustrierte, "dauert es etwa 20 Minuten". Die Redaktion sollte mal zum Neurologen gehen, wegen der Leitungen – wahrscheinlich steht da jemand drauf. Zum Glück hat sie einen Tipp parat, wie man verhindert, dass dem Gehirn wichtige Informationen vorenthalten werden: Zwei große Gläser Wasser vor jeder Mahlzeit, "schon meldet sich das Sättigungsgefühl schneller". Das einzige was sich da schneller meldet, ist die volle Blase.
"Die Menge sättigt, nicht die Kalorien" lautet eine ebenso altgediente wie tückische Parole: Die Lebewesen nehmen ihre Nahrung nicht deshalb zu sich, weil sie einen Magen haben, der irgendwie gefüllt sein möchte, sondern weil sie Essen benötigen, um am Leben zu bleiben. Die kalorische Rückkopplung funktioniert recht präzise – wäre es nicht so, dann würden Diäten reibungslos funktionieren. Wenn die Magenfüllung entscheidet, würde es genügen, eine Rolle Klopapier – sie besteht aus einem gesunden Ballaststoff, der auch Obst, Gemüse und Vollkorn so wertvoll macht - in die empfohlenen zwei großen Gläser Wasser einzurühren und schon stellt sich ein wohliges Sättigungsgefühl ein.
Wenn man dazu noch die Verbrennung ankurbelt, dann purzeln die Pfunde. Bitte bedenken Sie: Das Wichtigste für jede Verbrennung ist Sauerstoff. Deshalb atmen wir. Nur mit Luftsauerstoff kann der Körper aus seiner Nahrung Energie, also Kalorien gewinnen. Deshalb ein Tipp für die Gesundheitsredaktionen: Wie wär‘s mit ein bisschen mehr Sauerstoff? Einfach jeden Morgen gemeinsam eine halbe Stunde hyperventilieren. Das bringt auch frischen Wind ins Oberstübchen. Mahlzeit!
Quellen
Weber N: Kältetraining: Eine coole Diät-Idee. Spiegel Online 23. Jan. 2014
Preuk M: Kalt duschen, weniger heizen: Warum Kälte schlank macht. Focus Online 24.1.2014
Preuk M, Lauscher N: Die 10 größten Irrtümer übers Abnehmen. Focus Online 25.9.2013
Wahrburg U: Neuer Ratgeber hilft im Kampf gegen den Weihnachtsspeck. Pressemitteilung der Fachhochschule Münster vom 15. 1. 2014
Barkhausen B: Kalt duschen macht schlank. Neues Deutschland 6.2.2014
Anon: Dauerhaft und gesund abnehmen. ZDF v. 14.1.2013
Anon: Die 22 besten Kilo-Killer. Hörzu 21.2.2014
Claessens-van Ooijen AM et al: Heat production and body temperature during cooling and rewarming in overweight and lean men. Obesity 2006; 14: 1914-1920
Mehr zum Thema