DGB-Chef Sommer: Gesetzlicher Mindestlohn muss bei 7,50 liegen

Moderation: Hanns Ostermann · 15.01.2007
Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer hat seine Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn erneuert. Er hoffe sehr, dass in der Koalition bei der Frage die Vernunft einsetze, anders als bei der Gesundheitsreform, sagte Sommer im Deutschlandradio Kultur.
Hanns Ostermann: Am Telefon von Deutschlandradio Kultur begrüße ich den Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer. Guten Morgen, Herr Sommer!

Michael Sommer: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Derzeit werden ja verschiedene Modelle diskutiert. Die Union setzt sich für einen Kombilohn ein, die SPD denkt über eine negative Einkommenssteuer nach, also über Steuergutschriften für Geringverdiener. Zeichnet sich für Sie schon ab, in welche Richtung die Reform laufen könnte?

Sommer: Nein, das ist innerhalb der Koalition wahrscheinlich noch sehr umstritten. Ich kann Ihnen nur sagen, was wir für richtig und was wir für falsch halten. Die Union-Vorstellung, einen Kombilohn zu machen, ist nichts anderes als letztendlich der Versuch, Arbeitgeber zu subventionieren. Das haben wir heute schon. Wir haben die Hartz-IV-Empfänger, denen zusätzliche 100-Euro-Jobs angeboten werden, wo praktisch der Staat die Lohnzahlung übernimmt. Und den Rest bezahlt der Arbeitgeber mit 100 Euro oder 160 Euro, bis die Freibetragsgrenze bei den Langzeitarbeitslosen erreicht ist. Was wir wollen, ist, dass es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, auf dem man dann sicherlich Lohnkosten, Subventionen aufbauen kann.

Ostermann: Wir kommen gleich nochmal auf den Mindestlohn zu sprechen, Herr Sommer. Aber beim Kombilohn, habe ich Sie da richtig verstanden, da befürchten Sie so etwas wie einen Drehtüreffekt. Die Arbeitgeber ersetzen ihre bisherigen Beschäftigten durch billigere Arbeitskräfte, anstatt neue Stellen zu schaffen?

Sommer: Ja klar, weil die sagen, alles, was du nicht von mir kriegst, kannst du dir bei Hartz IV holen, also spricht beim Arbeitsamt - und das passiert heute massenhaft. Wir haben im Bereich der so genannten Scheinselbständigkeit, also zum Beispiel bei Taxifahrern, diese Situation, dass die sich Hartz IV holen und anschließend den Rest beim Arbeitsamt abholen in wirklich großer Zahl. Wir haben heute schon Stellenausschreibungen in Zeitungen, wo so etwas angepriesen wird. Das geht nicht. Was ginge, wäre das Modell, was die SPD momentan diskutiert, dieses Modell von Herrn Bofinger: Dass man sagt, ok, wir erstatten die Einkommenssteuer für Niedrigverdiener. Was am Bofinger-Modell nicht geht, sind die Einkommensgrenzen. Er setzt an bei einem Mindestlohn von 4,50 Euro, der reicht hinten und vorne nicht. Ohne 7,50 Euro Mindestlohn passiert gar nichts.

Ostermann: Damit sind wir wieder beim Thema Mindestlohn, und da gehen Sie von 7,50 Euro aus. Aber, um beim Wirtschaftsweisen Peter Bofinger und seinen Vorschlägen zu bleiben, die ja ganz offensichtlich auch von der SPD verfolgt werden: Es gibt ja zurzeit ein ziemliches Durcheinander, verschiedene Hinzuverdienstmöglichkeiten bei Arbeitslosengeld-II-Empfängern, Sondervorschriften für Mini- und Midijobs. Blicken Sie da eigentlich noch durch?

Sommer: Ja, ich versuche es zumindest. Das ist für einen normalen Menschen relativ schwierig. Nun ist es mein Beruf, da durchzublicken. Wo Bofinger Recht hat, ist, dass er radikal sagt, es gibt keinerlei Sondertatbestände mehr, es gibt keine Privilegierung der Minijobs mehr, sie müssen abgeschafft werden, es gibt ein System des staatlichen Zuschusses, und das ist bei ihm die so genannte negative Einkommenssteuer. Man kann auch sagen, das ist die Gutschrift von Sozialversicherungsbeiträgen später mal über die Lohnsteuer. Das ist vernünftig, wenn man bei den richtigen Einkommensgrenzen ansetzt, und die können eben nicht bei 4,50 Euro liegen, wie er das will, die müssen mindestens bei 7,50 Euro liegen.

Ostermann: Aber diese 7,50 Euro, diese Mindestlöhne stoßen auf völliges Unverständnis bei vielen Ökonomen. Wie groß ist das Risiko, dass flächendeckende Mindestlöhne vieles wieder kaputt machen?

Sommer: Nach meiner Einschätzung überhaupt nicht groß, weil das, was die Ökonomen wollen oder diese so genannten Ökonomen, das sind ja meistens Ideologen, die da dran gehen, ist schlicht und ergreifend, dass sie sagen, die Löhne in Deutschland sind zu hoch. Sie sind es nicht. Wenn Deutschland wirklich zu hohe Löhne hätte, dann hätten wir wirklich das Problem. Wir haben momentan zweieinhalb Millionen Menschen, die unterhalb der Armutsschwelle leben, obwohl die Vollzeit arbeiten. - Das ist wirklich nicht der Fall, und wir haben die europäischen Beispiele, in Frankreich liegt der Mindestlohn bei 8,15 Euro, in Großbritannien liegt er nahezu an 8,00 Euro dran. Und wir haben da Aufbau von Beschäftigung und nicht Abbau. Da ist übrigens der heutige "Spiegel" ganz interessant, der mal die Zahlen darstellt. Also von daher: 7,50 Euro ist ein Lohn, von dem man gerade noch leben kann, und er ist einer, der auch im europäischen Vergleich durchaus hält.

Ostermann: Den Vorwurf, sehr stark, einseitig Partei zu nehmen, den macht mancher Ökonom natürlich auch dem Deutschen Gewerkschaftsbund, völlig klar. Sie haben Frankreich angeführt, dort bedeutet der Mindestlohn, dass Jugendliche 80 bis 90 Prozent ihres normalen Lohnes bekommen, aber dort ist die Jugendarbeitslosigkeit erschreckend hoch.

Sommer: In Deutschland doch auch. Es ist doch nicht auch, als ob in Deutschland die Jugendarbeitslosigkeit nicht auch erschreckend wäre.

Ostermann: Sicher nicht, aber der Mindestlohn ist doch kein Allheilmittel.

Sommer: Nein, er ist kein Allheilmittel, aber er würde die soziale Lage der Betroffenen verbessern. Also ich denke an allein erziehende Frauen zum Beispiel, ich denke an Leute, die einer anständigen Arbeit nachgehen und dafür nichts kriegen, ob sie jetzt im Friseurhandwerk rangehen, beim Gartenbau, im Hotel- und Gaststättengewerbe, Landwirtschaft, Bewachungsgewerbe: Sie können durchgehen, Fleischerhandwerk, dort arbeiten die Menschen ganz ehrlich und ganz hart, und kriegen Löhne von 5 Euro oder noch geringer.

Ostermann: Wir sollten mindestens noch ganz kurz sprechen über den Investivlohn. Sind Beteiligungen der Arbeitnehmer aus Ihrer Sicht sinnvoll oder ist das Risiko zu groß?

Sommer: Sie sind dann sinnvoll, wenn es zusätzlich erfolgt. Was momentan einige Leute diskutieren, ist ja an Stelle von Lohnerhöhungen, also von ganz normalen Löhnen. Da geht es nicht. Investivlöhne machen dann Sinn, wenn sie zusätzlich als Leistungsanreiz bezahlt werden neben den normalen Lohnerhöhungen, und wenn sie abgesichert sind, also wenn sie zum Beispiel vor Insolvenzen oder vor Arbeitslosigkeit oder vor Verkauf der Fabrik geschützt werden, dann macht es Sinn. Wollen wir mal sehen, was die Koalitionsarbeitsgruppe dazu vorschlägt. Es war mal sehr viel heiße Luft im Dezember da drin, und mittlerweile ist es sehr stark abgekühlt. Ich glaube, das ist auch gut so.

Ostermann: Aber rechnen Sie bei der Reform des Niedriglohnsektors in Deutschland mit ähnlichen Problemen wie bei der Gesundheitsreform?

Sommer: Man muss bei dieser Koalition mit allem rechnen, sage ich Ihnen. Ich hoffe, dass sich da von vorneherein die Vernunft durchsetzt und wir wirklich zu gesetzlichen Mindestlöhnen kommen, auch zur Ausweitung des Entsendegesetzes auf alle Branchen, das würde sehr helfen, übrigens auch den Tarifvertrag zu Mindestlöhnen bei der Leiharbeit allgemeinverbindlich zu erklären, das würde wirklich helfen. Nun schauen wir mal. Ich hoffe sehr, dass bei der Koalition in der Frage Vernunft einsetzt, anders als bei der Gesundheitsreform.

Ostermann: DGB-Chef Michael Sommer im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Vielen Dank!