DGB-Chef hofft auf Einlenken der Union im Streit um Mindestlohn

Moderation: Frank Capellan · 27.03.2007
DGB-Chef Michael Sommer sieht im Streit um den von SPD und Gewerkschaften geforderten gesetzlichen Mindestlohn Bewegung bei CDU und CSU. "Die letzte Messe ist da noch nicht gesungen", sagte er. Er unterstütze das Ziel von Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD), für den Niedriglohnsektor ein Gesamtpaket zu schnüren, in dem dann auch der Mindestlohn verankert wird.
Frank Capellan: Am Telefon begrüße ich den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer. Guten Tag, Herr Sommer!

Michael Sommer: Guten Tag!

Capellan: Herr Sommer, die SPD sammelt Unterschriften für einen gesetzlichen Mindestlohn. Sie gehören zu den ersten Unterzeichnern, das hat nicht überrascht. Da muss man allerdings fragen, was nützt eine solche Unterschriftenaktion, wenn von vorneherein klar ist, dass ein Mindestlohn, zumindest ein flächendeckender, mit der Union nicht machbar ist?

Sommer: Warten wir mal ab. Die letzte Messe ist da noch nicht gesungen. Ich sehe deutliche Bewegung in der Union. Dass das schwierig ist, das Thema für die Union, ist klar. Aber die Haltung des Arbeitsministers zu sagen, er will ein Gesamtpaket knüpfen, in dem er dann auch den Mindestlohn mit verankert, halte ich für einen richtigen Schritt. Und wir wollen mal sehen, wie weit wir kommen.

Sie wissen, was wir fordern. Wir fordern einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 7,50 Euro. Das ist modifiziert worden von uns im Zusammenhang mit einem Gewerkschaftsratsbeschluss der SPD, wo wir gesagt haben, wir bauen praktisch eine Treppe: Wo eine Tarifautonomie funktioniert, brauchen wir keine gesetzlichen Mindestlöhne. Wir wollen das Entsendegesetz auf alle Branchen ausweiten, und dort, wo auch das nicht helfen würde, weil es zum Beispiel keinen repräsentativen Tarifvertrag gibt, brauchen wir den gesetzlichen Mindestlohn. Das ist das, was unser Ziel ist.

Jetzt wollen wir mal sehen, wie wir weiterkommen. Mich nervt ein bisschen momentan, dass sich das zieht wie ein Kaugummi. Wir sind praktisch seit dem Winter dran, immer wird von Monat zu Monat vertagt, und jetzt langsam müssen wir hier mal zu Potte kommen.

Capellan: Herr Sommer, 7,50 Euro, das ist die Marke, die die Gewerkschaften setzen. Das ist natürlich der Union viel zu viel. Besteht nicht die Gefahr, sollte es zu einem solchen Mindestlohn kommen, dass dann verstärkt schwarz gearbeitet wird oder dass sogar Dienstleister ins Ausland gehen? Wir haben immer das viel zitierte Beispiel von Berliner Hotels, die in Polen ihre Wäsche waschen lassen.

Sommer: Ja, das machen die aber heute schon, ob unter den Bedingungen des gesetzlichen Mindestlohns oder nicht, weil: Sie müssen ja am Beispiel dieser Wäsche, die in Polen gewaschen wird, sehen, dass es ein zweischneidiges Schwert ist. Die waschen mit Kannegiesser-Waschmaschinen in Polen, das heißt, die deutsche Exportindustrie lebt davon. Auf der anderen Seite gehen hier Dienstleistungsarbeitsplätze verloren. Aber nun sind wir auch nicht in der Situation, dass wir überall in so grenznahen Räumen leben. Ich glaube, das Argument mit der Schwarzarbeit zieht schon deshalb nicht, weil, wenn Sie die Grenze da runter setzen, zwingen Sie die Leute in die Schwarzarbeit oder in den zweiten Job. Was soll eine Friseuse machen, die in Thüringen 3,50 Euro verdient? Die kann davon nicht leben. Sie wissen, dass in vergleichbaren europäischen Industrieländern die Mindestlöhne wesentlich höher sind, in Frankreich über 8 Euro jetzt.

Capellan: Herr Sommer, der Wirtschaftsökonom Bofinger schlägt vor, bei 4,50 Euro anzufangen. Das ist Ihnen offenbar viel zu wenig, aber er schlägt das vor, um dann einmal auszuloten, wie viel Spielraum man nach oben möglicherweise hat.

Sommer: Ja, das ist zu wenig. Das Bofinger-Modell an sich ist interessant, weil der Bofinger sagt, die Menschen, die in dem Lohnbereich arbeiten, zahlen ja keine Steuern. Die zahlen aber 22 Prozent Sozialabgaben. Und der Bofinger sagt, wollen wir nicht mal gucken, ob wir den Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten, die 22 Prozent Sozialabgaben erstatten können, oder praktisch dass der Staat sie für sie bezahlt? Das ist eine Art von Kombilohnmodell. Nur kann das nicht bei 4,50 Euro ansetzen, davon kann niemand existieren, auch mit einer Subvention der Sozialabgaben. Sie müssen schon die Grenze vernünftig ansetzen, und 7,50 Euro ist wirklich, ich sage mal, untere Grenze. Der berechnet sich nach OECD-Vorstellungen aus der Hälfte des Durchschnittlohns, der in Deutschland erzielt wird, und das ist wirklich moderat.

Capellan: Herr Sommer, warum muss eigentlich eine absolute Lohnuntergrenze festgelegt werden? Warum reicht es nicht, mit der Sittenwidrigkeit zu argumentieren? Die steht nämlich heute schon im Bürgerlichen Gesetzbuch.

Sommer: Ja, und es gibt eine BGH-Rechtssprechung, nur die sagt, sittenwidrig sind Löhne dann, wenn sie 30 Prozent unter dem Tariflohn oder dem ortsüblichen Lohn sind. Nehmen Sie mal wieder meine Friseuse aus Thüringen, die einen Tariflohn kriegt von etwas über 3,50 Euro, so weit ich weiß. Wenn Sie da 30 Prozent abrechnen, sind Sie im Bereich von 2,60 Euro. Das heißt, es geht hinten und vorne nicht. Oder nehmen wir ein einfaches Beispiel: 4,50 Euro, dann wäre ein sittenwidriger Lohn unter 3 Euro, und das kann es ja nicht sein.

Capellan: Aber man könnt doch die Sittenwidrigkeit anders definieren und dann beispielsweise sagen, alles, was unter 5 Euro liegt, ist sittenwidrig.

Sommer: Wenn man sagt, alles, was unter 7,50 Euro liegt, ist sittenwidrig, dann hätten wir den gleichen Effekt, den wir wollen, ja.

Capellan: Sie haben eben das Stichwort Kombilohn genannt. Da hat man sich gestern Abend zumindest drauf verständigt, bei schwer vermittelbaren Arbeitslosen einen solchen Kombilohn zu zahlen, also einen Zuschuss des Staates auch für jugendliche Arbeitslose. Wäre das ausbaufähig, nach dem Motto "Kombilohn statt Mindestlohn", also für Branchen, in denen die Löhne im Keller sind und in denen es keine Tarifvereinbarungen gibt?

Sommer: Nein, das wäre nicht kopierbar, weil: Dann würde letztendlich der Staat die Lohnzahlung für die Arbeitgeber übernehmen, und das geht in einer Marktwirtschaft nicht. Da sind übrigens schon ganz andere Systeme schon darunter kaputt gegangen. Wir haben immer gesagt, wenn wir was für besonders problematische Bereiche des Arbeitsmarktes machen wollen, dann stimmen wir auch Kombilöhnen zu. Deswegen hören Sie von mir da auch nur bedingte Kritik. Aber es ist kein Modell für eine flächendeckende Variante für das Niedrigeinkommen, was der eine oder andere präsentiert. Das geht nicht. Die Lohnzahlung muss immer noch beim Arbeitgeber laufen.