DGB-Chef fordert Beteiligung an G20-Gipfel

Michael Sommer im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 01.04.2009
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, hat die G20-Staaten aufgefordert, beim Weltfinanzgipfel in London die Gewerkschaften stärker zu beteiligen. "Diese Krise kann man entweder mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern lösen, oder aber es wird sich ausweiten zu einer sozialen Krise." Es gelte, die internationalen Institutionen zu stärken und die Märkte "wirklich" zu regulieren.
Jörg Degenhardt: Wenn es heute Abend und morgen in London nicht vorangeht, dann will er aufstehen und gehen. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy macht Druck. Aber wohl alle, die beim G20-Gipfel zusammenkommen, dürften um den Ernst der Lage wissen. Leere Stühle sind bei den anstehenden Herausforderungen keine Alternative. Mit Blick auf nervöse Aktienmärkte, misstrauische Banken, kriselnde Unternehmen und verunsicherte Bürger brauchen die Staats- und Regierungschefs ein Abschlusspapier, das Einigkeit und Entschlossenheit vermittelt. Noch aber hapert es daran.

Michael Sommer ist jetzt unser Gesprächspartner. Er ist nicht nur Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, sondern auch stellvertretender Präsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Guten Morgen, Herr Sommer.

Michael Sommer: Guten Morgen.

Degenhardt: Sie fordern, auch die Arbeitnehmer beziehungsweise für sie die Gewerkschaften müssen einen Platz am Konferenztisch bekommen. Trauen Sie den Politikern, etwa Gordon Brown, den Sie gestern getroffen haben, keinen Ausweg aus der Krise zu?

Sommer: Das mit dem Vertrauen ist so eine Sache. Wir haben in den letzten Tagen auch bei den Arbeitsministern in Rom sehr oft über Vertrauen geredet und dann wird mir entgegengehalten, erst müssten die Banken untereinander Vertrauen haben. Ich sage den Politikern egal wo: Zuallererst geht es darum, dass die Menschen Vertrauen in die Politik und ihre Handlungsfähigkeit haben und die Politik diese Handlungsfähigkeit wieder zurückgewinnt.

Sie hat ja in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend diese Handlungsfähigkeit an die Wirtschaft abgegeben. Die Folgen kennen wir: Spekulationen, Spielereien, zum Schluss diese furchtbare Krise mit der drohenden Arbeitslosigkeit von Hunderttausenden, ja Millionen auf der Welt. Da glaube ich schon, dass die Politik gut beraten wäre, uns nicht nur mal kurz anzuhören, sondern uns insgesamt an den Verhandlungstisch zu holen.

Das gilt übrigens auch für die internationalen Institutionen wie das Internationale Arbeitsamt und ähnliche mehr, die seit 90, 100 Jahren an solchen Themen arbeiten, die auch draußen gehalten werden. Und wenn man meint, man könne es weiter so mit den Institutionen machen, die man sich selber geschaffen hat, dann wird das nicht gut gehen.

Degenhardt: Aber noch mal die Nachfrage, Herr Sommer. Es geht doch jetzt darum, dass die Industriestaaten sich berappeln und die Finanzbranche sanieren, also sich auf diese Kernaufgabe konzentrieren. Was sollen die Gewerkschaften dabei?

Sommer: Nein, nein, es geht um mehr. Es geht darum: Sie wissen ja, dass diese Finanzkrise schon lange umgeschlagen ist in eine reale Wirtschaftskrise. Das ist ja wie ein Dominoeffekt. Das fing an mit den Spekulationen, dann gab es die Finanzkrise, dann schlug das um auf die Realwirtschaft, wie wir es nennen, dann schlägt es um auf Arbeitsplätze. Sie wissen ja, wenn Sie gestern die Zahlen in Deutschland gesehen haben, dass zwar die Zahl der Arbeitslosen noch einigermaßen im Griff ist, was die Vollzeitarbeitslosen anbetrifft.

Aber wenn Sie sehen, dass nur die Brücke des Kurzarbeitergeldes, die wir gebaut haben, gemeinsam gebaut haben, Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften, wo 1,6 Millionen Menschen mittlerweile den Anspruch erhoben haben in den letzten zwei Monaten, dass das alleine dazu geholfen hat, dass wir nicht in die Massenarbeitslosigkeit abgerutscht sind, dann sehen Sie, dass sie das ohne die Gewerkschaften überhaupt nicht hinkriegen, und das hat schon lange nichts mehr mit einer Finanzkrise zu tun. Man muss die Finanzkrise in Ordnung bringen, man muss die Märkte wirklich regeln und regulieren. Das ist die Aufgabe und wir wissen schon sehr genau, was man da zu tun hat.

Degenhardt: Machen wir es noch mal konkret. Was gehört denn Ihrer Meinung nach dann in das Abschlussdokument, was morgen verabschiedet werden soll? Sollen die Europäer zum Beispiel dem Druck aus Amerika nachgeben und neue milliardenschwere Konjunkturprogramme festschreiben?

Sommer: Was man machen muss ist, dass man nationale angemessene Lösungen findet. Wir haben das in Deutschland gemacht. Wir haben ein zweites Konjunkturprogramm aufgelegt. Ich gehe davon aus, dass wir nach Ostern beginnen zu überprüfen, ob das wirkt, oder ob wir nachbessern müssen. Darüber hinaus muss man sicherlich die internationalen Institutionen stärken und mehr Geld teilweise auch in die Märkte hineingeben, als wichtigstes, dass man neben der ganz strengen Regulierung der Finanzmärkte jetzt die Politiken wirklich miteinander abstimmt und sagt, das wollen wir tun für Jobs, das wollen wir halten.

Die Bundeskanzlerin hat zum Beispiel mit der italienischen Regierung zusammen vorgeschlagen, eine Charta für nachhaltige Entwicklung zu machen, wo man zwei Sachen macht, wo man die Ziele festschreibt, wie man in Zukunft wirtschaften will, also zum Beispiel auch die Förderung von so genannten "green jobs", also Arbeitsplätzen, die insbesondere im Bereich des qualitativen Wachstums der Nachhaltigkeit entstehen und nicht eben nur auf die schnelle Mark zielen, wo es dann um die Stärkung der Realwirtschaft geht, und gleichzeitig die internationalen Institutionen mit einbindet.

Ich bedauere sehr - ich habe das gestern auch Gordon Brown gesagt -, dass dieser Punkt nicht in das Abschlussdokument hier einfließt. Deswegen ist vieles, was hier auch gemacht wird, Schall und Rauch und ich kann Sarkozy verstehen, wenn er sagt, er will, dass es endlich konkret wird. Denn was ich hier bislang an Abschlussdokument und Entwurf kenne, ist noch lange nicht so konkret, dass man wirklich sagen kann, das ist ein Weg aus der Krise.

Degenhardt: Herr Sommer, wie groß ist eigentlich aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass zur aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise vielleicht auch noch eine soziale dazukommt?

Sommer: Die Gefahr ist riesig groß. Sie hängt sehr davon ab, ob es gelingt, das Überspringen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft tatsächlich einzudämmen. Sie wissen, wir haben in Deutschland die Beschäftigungsbrücke gebaut. Ich habe ja eben auf das Kurzarbeitergeld hingewiesen. Wir hoffen alle, dass diese Beschäftigungsbrücke hält. Wenn sie nicht hält, dann wird das zu großen sozialen Verwerfungen kommen, übrigens auch zu großen gesellschaftlichen Verwerfungen.

Das, was diese Spekulanten da angestellt haben, geht weit über das hinaus, was wir an Krisen bislang kannten. Es geht wirklich in soziale und gesellschaftliche Krisen hinein und diese Krise kann man entweder mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern lösen, unter Einbeziehung von ihnen, unter Berücksichtigung ihrer Interessen, oder aber es wird sich ausweiten zu einer sozialen Krise.

Degenhardt: Sind sich die Politiker dieser Risiken, dieser Gefahren bewusst?

Sommer: Ich habe den Eindruck, dass sich die deutschen Politiker dieser Gefahren bewusst sind. Ich hatte sowohl jetzt in den letzten Tagen häufiger Kontakt mit führenden Regierungsmitgliedern, ob das jetzt der Finanzminister war, oder auch die Bundeskanzlerin. Ich glaube schon, dass die sich dieser Gefahren bewusst sind. Ich bin mir nicht sicher, ob das weltweit so gesehen wird. Bei Gordon Brown war vieles gestern Lippenbekenntnis und relativ wenig konkrete Politik. Sehr viele gucken auf Obama und erwarten, was Obama tut, aber der wird auch keine Wunder tun können. Aber wichtig ist das Zeichen, was von Obama ausgeht und auch von der amerikanischen Administration.

Ich hatte jetzt am Sonntag Gelegenheit, in Rom mit der neuen amerikanischen Arbeitsministerin zu reden, und ich muss sagen, a la bonheur, das war eine völlig andere Art und Weise von Politik als das, was ich aus der alten Bush-Administration kenne. Von daher habe ich gewisse Hoffnungen, aber wir müssen sehen, was real rauskommt.