Deutschland steigt aus der Atomkraft aus

Von Theo Geers, Deutschlandfunk · 04.06.2011
Wer 30 oder sogar 40 Jahre lang auf dem Holzweg unterwegs war, wer zudem auch noch genau so lange glaubte, es wäre gar kein Holzweg, sondern ein Königsweg, dem muss schon Schwerwiegendes über besagten Holzweg laufen, damit er davon - endlich - herunter kommt.
Energiepolitisch passt dieses Bild auf die schwarz-gelbe Bundesregierung. Jahrzehntelang irrlichterten Union und FDP auf dem atomaren Holzweg herum, ignorierten den Mehrheitswillen der Bevölkerung und hörten statt dessen noch im letzten Herbst bei der Laufzeitverlängerung auf die Einflüsterungen der vier großen Stromkonzerne. Erst der GAU von Fukushima führte auf dem atomaren Holzweg zu einer Art Erweckungserlebnis. Doch die seitdem an den Tag gelegte Hektik bei der Energiewende ist auch der Grund, warum es gut ist, dass, wie gestern durch die Bundesländer geschehen, andere politische Kräfte Schwarz-Gelb vor schlimmen Fehlern bewahren.

Kein Zweifel: Die generelle Richtung weg von der Atomkraft und ihren Risiken stimmt. Aber angesichts der Hast und der Eile, mit der die insgesamt acht Gesetze für Atomausstieg und Energiewende verabschiedet werden, konnte einem zwischenzeitlich schon Angst und Bange werden. Dies galt vor allem für die energiepolitische Schnapsidee, die Atommeiler in zwei Schüben vom Netz zu nehmen: Die ersten acht jetzt, dann lange gar keinen und die übrigen neun in einem zweiten Schub zwischen 2020 und 2022. Jetzt geschieht das schrittweise und damit ist zumindest der gröbste anzunehmende Fehler bei diesem Atomausstieg ausgeräumt.

Es ist, anders als unter Rot-Grün vor zehn Jahren, ein historischer Beschluss. Dies einfach deshalb, weil er unumkehrbar sein wird. Von diesem Ausstiegsbeschluss kommt niemand wieder herunter. Deswegen ist es aber auch so wichtig, das Deutschland beim Atomausstieg seine Vorbildfunktion für andere Länder nicht aufs Spiel setzt. Bei uns dürfen die Lichter nicht ausgehen, beim Abschalten der Atommeiler nicht und beim Umstieg auf die erneuerbaren Energien erst recht nicht. Denn Deutschland ist die Vorhut für die Energiewende, mit der sich jedes andere Land dieser Welt auch auseinander setzen muss. Jedes Land, egal ob Industrie-, Schwellen- oder Entwicklungsland, kommt nicht drum herum, seine Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen. Und dies übrigens nicht früher oder später, sondern so schnell wie möglich. Das gebieten der Klimaschutz ebenso wie die bei der Atomkraft von keinem Land der Welt gelöste Endlagerfrage, von der ethischen Frage, in welchem Zustand die Menschheit von heute unseren Planeten den nachfolgenden Generationen überlässt, ganz zu schweigen. Das wissen auch alle aufgeklärten Politiker.

Und deshalb wird im Ausland derzeit kein anderer Politikwechsel so neugierig, aber auch so argwöhnisch beäugt wie Deutschlands Ausstieg aus der Atomenergie. Noch schütteln viele unserer Nachbarn den Kopf darüber, dass ausgerechnet eine Industrienation wie Deutschland so einen Schwenk vollzieht. Sie belächeln uns, aber es ist ein Lächeln, das die dahinter liegende Unsicherheit übertünchen soll. Immer schwingt bei diesem Lächeln der anderen der Zweifel mit, ob das energiepolitische "Weiter so", als habe es Fukushima nicht gegeben, wirklich noch ein Königsweg ist oder ob das nicht doch der Holzweg ist. Und immer öfter fragen sich unsere Nachbarn und unsere Konkurrenten auf den Weltmärkten auch, ob die Deutschen hier, bei der Energiewende weg vom Atom und hin zu den Erneuerbaren, nicht doch den richtigen Riecher dafür haben, wo die Produkte, wo die Märkte und wo die Arbeitsplätze der Zukunft liegen. Sie können sicher sein: Die Deutschen haben ihn, eben weil sie diesmal - bewusst - vom Weg abweichen; von einem Weg, der ein Holzweg war.
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