Deutsches Theater

Loblied auf ein archaisches Agrarsystem

Es ist genug für alle da: Die Inderin Vandana Shiva will eine "Erd-Demokratie".
Es ist genug für alle da: Die Inderin Vandana Shiva will eine "Erd-Demokratie". © picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Von Jochen Stöckmann · 26.04.2014
Es ist ein moralischer Appell und sie spart nicht mit großen Worten: In ihrem Vortrag plädiert die indische Biophysikerin Vandana Shiva für eine "Erd-Demokratie". Ihre Lösung: Weg von der Herrschaft der großen Biokonzerne, hin zu einer Herrschaft der Frauen.
Einen großen Auftritt zum Thema "Nach uns die Sintflut! Demokratie – Klima – Krieg" hatte das Deutsche Theater Vandana Shiva zugedacht. Und große Worte prägten denn auch die Philippika der indischen Biophysikerin gegen "Biokonzerne", die das Erbgut der Pflanzen gentechnisch monopolisieren, die mit industrieller Landwirtschaft Ressourcen wie Wasser, Boden und sogar die Luft zur Ware machen und am Ende vergeuden.
Vom globalen System der "Öko-Apartheid" spricht Shiva – und setzt dagegen eine "Erd-Demokratie" – in der wir alle "citizens of mother earth", Bürger von "Mutter Erde" sein werden. Dass damit etwas grundlegend anderes als der der Kosmopolit, der politisch reflektierte Weltbürger gemeint ist, wird deutlich, wenn die Umweltaktivistin etwa "diversity", die Vielfalt zum ehernen Prinzip, zu einer Art Naturgesetz erhebt.
Es herrscht kapitalistische Warenwirtschaft
Es soll universell gelten, nicht nur für Flora und Fauna, sondern auch für die Kultur, für menschliche Gesellschaften überhaupt. Mit diesem moralischen Appell geht Shivas Loblied auf ein archaisches "food system" einher, eine Agrarwirtschaft, in der Frauen über die Vielfalt des Samenbestandes, des Saatguts wachten. Stattdessen aber herrscht das "commodity producing system", die kapitalistische Warenwirtschaft. Was aber tatsächlich hinter dem von Shiva nur polemisch verwendeten Begriff der "Ware" steht, wie zwiespältig er in der Lebenswirklichkeit wirkt, das erklärt der Soziologe Ingolfur Blühdorn:
Ingolfur Blühdorn: "Marxisten würden nun sagen, der Markt hat uns vereinnahmt, der hat uns kolonisiert. Das ist sicher so. Ich glaube, dass sehr viele Leute in unserer modernen Gesellschaft das nicht so empfinden. Wohl, dass die Arbeit und der Mark zu stressig sind, aber dass am Ende diese Form der konsumbasierten Selbstverwirklichung ganz gut ist."
Auch Stephan Lessenich, ebenfalls Soziologe, verzichtet auf holzschnittartige, monokausale Erklärungen. "Den Kapitalismus" als von Grund auf schlecht, nur von "Gier" getrieben darzustellen, wie Shiva es tut, verkennt seine vertrackte Struktur. Wie der sizilianische "Pate" vereinnahmt er gerade die stärksten Gegner durch Angebote, die niemand ablehnen kann.
Stephan Lessenich: "Es ist eine mafiöse Struktur, die gleichzeitig ein soziales Netz bildet, gewaltförmig ist, aber gleichzeitig auch Wohltaten bringt. Im Prinzip sind wir alle verstrickt in diese Wachstumslogik. Wenn sie nicht wirklich individuell sehr, sehr stark sind, können sie der Konsumentenlogik sich nicht grundsätzlich entziehen."
Lessenichs nüchterne Analyse läuft darauf hinaus, dass der Wachstumskapitalismus spätestens 1989 den Wachstumssozialismus bezwungen, sich damit aber auch zu Tode gesiegt hat. Aber eine Alternative, eine soziale Utopie ist nicht in Sicht. Wenn es ernst wird, wenn die Grundlagen eines Wachstums in Frage gestellt werden, von dem am Ende alle zehren, dann bewegt sich hierzulande nur noch auf der "Diskursebene" etwas. Jene sozialen Kräfte aber, die tatsächlich etwas bewirken könnten, leben in einer anderen Welt, meint Stephan Lessenich:
"Die zentralen Bewegungen dahin, die Ideen dafür, die Praktiken und die Anstöße dafür, die werden nicht aus der Bundesrepublik Deutschland kommen – das ist so eine Selbstüberschätzung – sondern die werden naheliegender Weise aus den ärmsten Regionen dieser Welt kommen."
Theater als Mittler zwischen den Welten
Das ist die Welt von Vandana Shiva – und so wäre es unter anderem am Theater, sich als Vermittler zwischen den Welten einzuschalten. Ansätze gab es, mit Info-Boxen, individuellen Expertengesprächen und dem Katastrophen-Spiel "Master of Desaster". Aber damit kann auch ein Deutsches Theater wenig ausrichten gegen eine Entwicklung, die Blühdorn als Kenner der "sozialen Bewegungen" aus eigener Anschauung beschreibt:
Ingolfur Blühdorn: "Wenn etwa Wutbürger-Bewegungen oder occupy oder solche Bewegungen entstehen, dann sind die Medien wie die Schmeißfliegen und feiern die aufkeimende Alternative, spinnen die Erzählung: Aha, da kommt etwas! Da kommt was neues, das ist die radikalste Bewegung seit 68. Wir haben ganz offensichtlich ein fundamentales Bedürfnis, uns solche Geschichten zu erzählen."
Der Soziologe sieht in dieser Entwicklung eine "Simulative Demokratie", so der Titel seines jüngsten Buches. Und Gert Selle, ein Stadtplaner, spricht sogar von "Particitainment", von Bürgerbeteiligung als Medienspektakel, der kaum noch entsprechende politische Entscheidungen oder Umsetzungen folgen.