Deutscher Ethikrat fordert klare Regelung zu Embryonenschutz

Moderation: Jan-Christoph Kitzler · 19.10.2010
Das gesamte Feld der sogenannten Reproduktionsmedizin sei in Deutschland nahezu ungeregelt, mahnt der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Edzard Schmidt-Jortzig. Jetzt gehe es vor allem um eine klare gesetzliche Regelung zur Präimplantationsdiagnostik (PID).
Jan-Christoph Kitzler: Präimplantationsdiagnostik ist mehr als nur ein schwieriges Wort, es ist auch ein Thema für handfesten Streit in der Regierungskoalition, ja sogar innerhalb der CDU. Kurz gesagt geht es um die Frage, ob Embryonen, die zur künstlichen Befruchtung außerhalb des Mutterleibes erzeugt werden, vor der Verpflanzung in den Mutterleib auf bestimmte Gendefekte untersucht werden dürfen. Das ist zumindest nicht strafbar, hat der Bundesgerichtshof entschieden, doch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich anders festgelegt: Sie will die Präimplantationsdiagnostik nicht, und das bringt nun die Kritiker auf den Plan, quer durch alle Reihen.

Das Thema beschäftigt auch natürlich den Deutschen Ethikrat, und ich bin jetzt verbunden mit dessen Vorsitzenden, dem Juraprofessor, FDP-Politiker und früheren Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig. Einen schönen guten Morgen!

Edzard Schmidt-Jortzig: Schönen guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Der Deutsche Ethikrat mit Ihnen als Vorsitzenden will eine Stellungnahme erarbeiten, ich habe gelesen, bis zum Sommer 2011 soll das dauern. Warum dauert das so lange?

Schmidt-Jortzig: Das Ganze ist ein hochkomplexes Thema, das gesamte Feld der sogenannten Reproduktionsmedizin ist ja in Deutschland nahezu ungeregelt. Wir haben zwar ein Gesetz, das Embryonenschutzgesetz, das ist aber 20 Jahre alt, und in dieser Zeit hat sich die medizinische Wissenschaft ja rapide fortentwickelt, sodass dieses Gesetz an allen Ecken und Enden mindestens lückenhaft ist, wenn nicht im Allgemeinen sich der Regelung enthaltend oder unklar, weshalb ja eben auch der Spruch des Bundesgerichtshofs von vor ... drei Monate ist das ja jetzt schon her, der dann allenthalben große Überraschung ausgelöst hat.

Also das Gebiet ist weiträumig und sehr kompliziert, und der Deutsche Ethikrat hat sich ohnehin schon von seiner Idee, das ganze Feld der Reproduktionsmedizin zu bearbeiten, erst einmal verabschiedet, um jetzt dem akuten Druck, für die Präimplantationsdiagnostik eine Äußerung abzugeben, nachzukommen. Wir haben da eine Arbeitsgruppe jetzt eingesetzt, das heißt, die arbeitet schon, und da ist bei den vielen Dingen, die da bedacht werden müssen, das Vorhaben, bis zum Sommer nächsten Jahres eine Stellungnahme abzugeben, engagiert, aber ich glaube wirklich, auch erreichbar.

Kitzler: In der Politik gärt das Thema jetzt gewaltig, möglicherweise will die Bundesregierung das schon früher regeln. Wird der Ethikrat da von der Tagespolitik überrollt?

Schmidt-Jortzig: Nein, das glaube ich nicht, und im Übrigen sind wir im Deutschen Ethikrat ja auch nicht diejenigen, die etwas verbindlich entscheiden, das tut im Übrigen ja auch nicht die Bundesregierung, sondern das muss das Parlament tun. Und ob die Bundesregierung dem Parlament dazu irgendeine Vorlage in Gestalt eines Gesetzentwurfes präsentiert, halte ich noch für sehr fraglich. Ich finde also, dass sich der Deutsche Ethikrat reichlich unabhängig von der Aufgeregtheit auf politischer Seite dazu verhalten soll, und dem Entscheidungsgremium, dem Gesetzgeber, dem Deutschen Bundestag also, seinen Rat geben soll und seine Diskussionen vorführen soll.

Kitzler: Ist das möglicherweise auch ein Thema, was gar nicht geeignet ist für den tagesaktuellen Parteienzank?

Schmidt-Jortzig: Das ganz bestimmt. Es wird dazu ja sicherlich auch keinerlei Fraktionsdisziplin geben. Die Fraktionsdisziplin wird in der Öffentlichkeit ja ohnehin immer einigermaßen überschätzt, aber hier wird es erklärtermaßen gar nicht zu irgendwelchen Einbindungen kommen können, denn es geht bei der Präimplantationsdiagnostik wie überhaupt bei den allermeisten Fragen der sogenannten Lebenswissenschaften ja um wirklich existenzielle Fragen, die jeden einzelnen Menschen unmittelbar berühren, ganz grundsätzliche Einstellungen zu Werten, zum menschlichen Leben überhaupt berühren, und da wird dann im Deutschen Bundestag – und hinterher wird das dann immer als Sternstunde des Parlaments bezeichnet – natürlich ein jeder an seinem Gewissensportepee gefasst werden, und deswegen wird das eine Diskussion werden, die über das tägliche Politikgeschäft weit hinausgeht.

Kitzler: Der Bundesgerichtshof, das haben Sie ja schon angesprochen, hält die Präimplantationsdiagnostik für nicht strafbar. Dabei könnte man es ja eigentlich belassen. Warum gibt es jetzt überhaupt den Handlungsbedarf? Vielleicht, ich sage es mal ein bisschen ketzerisch, nur, weil die Bundeskanzlerin ihrer Partei wieder ein konservatives Profil verschaffen will?

Schmidt-Jortzig: In der Tat ist es so, dass der Bundesgerichtshof jetzt definitiv bestätigt hat: Im geltenden Recht ist die Sache nicht strafbar, das war ja nun lange Jahre auch umstritten, und die überwiegende Meinung hielt genau das Gegenteil für angebracht und richtig. Jetzt die Sache auf sich beruhen zu lassen, hätte jedenfalls die große Gefahr, dass man nun ungehemmt in die PID einsteigen würde.

Der Bundesgerichtshof hat sich ja einigermaßen sibyllinisch dazu geäußert, ob es da dann jedenfalls Grenzen gibt. Er hat so die Parallele zu einer Vorschrift, die eigentlich was ganz anderes im Embryonenschutzgesetz regelt, gezogen, und mal so angedeutet: Bei schwerwiegenden genetischen Erkrankungen könne man ... die Straffreiheit akzeptieren. Aber was denn da eine solche schwerwiegende Krankheit ist und ob das überhaupt auch verbindlich ist, das ist eben völlig offen.

Und da ist es die vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers, in so einer schwierigen und empfindlichen Stelle wirklich eine klare Regelung zu treffen, an die sich dann alle halten müssen.

Kitzler: Das heißt, Sie als profilierter Jurist sind am Ende vielleicht auch ganz froh, dass die Politik nicht wie bei so vielen anderen Fragen das letzte Wort den Gerichten überlässt, sondern das Heft selbst in die Hand nehmen will?

Schmidt-Jortzig: Ja, ganz genau, das ist natürlich auch eine Forderung unserer Demokratie und des Rechtsstaats, denn dass Gerichte dann unterschiedlich entscheiden können, bis es dann in der letzten Instanz und schließlich möglicherweise beim Bundesverfassungsgericht landet, das kennen wir ja aus vielen Fällen, und die Unsicherheit und die Frage nach der Legitimation solcher allgemein verbindlichen Entscheidungen bewegt uns dann immer, bewegen uns dann immer. Also das ist genuine Aufgabe des Gesetzgebers, und wenn man es nicht völlig frei stehen lassen will, was da in der PID geschieht, dann muss der Gesetzgeber tätig werden.

Kitzler: Die schwierige Debatte um die Präimplantationsdiagnostik, das war Edzart Schmidt-Jortzig, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und früherer Bundesjustizminister. Vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag!

Schmidt-Jortzig: Danke sehr!
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