"Deutscher Buchpreis ist zu einer Marke geworden"

Moderation: Katja Schlesinger · 08.10.2007
Vor der Vergabe des Deutschen Buchpreises hat der Verleger Michael Krüger vom Carl-Hanser-Verlag die Notwendigkeit der Auszeichnung neben den anderen Literaturpreisen hervorgehoben. Der Preis habe ein großes Renommee und sei mittlerweile eine Marke, da der gesamte Buchhandel dahinter stehe und der deutsche Roman des Jahres gekürt werde, sagte Krüger im Deutschlandradio Kultur.
Katja Schlesinger: Julia Franck, Thomas Glavinic, Michael Köhlmeier, Katja Lange-Müller, Martin Mosebach, Thomas von Steinaecker. Einer oder eine von diesen sechs genannten wird heute Abend mit dem Deutschen Buchpreis geehrt.

Der Deutsche Buchpreis wird in diesem Jahr zum dritten Mal vergeben, er zeichnet den besten Roman deutscher Sprache aus und soll helfen, dass Deutschland auch in Sachen Literatur ein Exportland wird. Am Telefon ist jetzt der Verleger Michael Krüger vom Hanser Verlag, gleich drei der für den Buchpreis nominierten Autoren kommen aus seinem Haus. Schönen guten Tag, Herr Krüger.

Michael Krüger: Guten Morgen.

Schlesinger: Der Buchpreis in seinem dritten Jahr - welches Renommee hat der Buchpreis inzwischen?

Krüger: Das Renommee ist enorm, vor allen Dingen hat offensichtlich der Buchhandel darauf gewartet, etwas vorgelesen zu bekommen, was man dann guten Gewissens auch empfehlen kann. Denn beide Bücher, sowohl das von Arno Geiger wie das von Frau Hacker, sind über 100.000 Mal verkauft worden, und sie wären es, hätten diese Zahl mit Sicherheit nicht erreicht ohne den Literaturpreis.

Schlesinger: Und das, obwohl es doch in Deutschland eigentlich schon jede Menge Preise gibt. Also, ich finde das Preissystem ja etwas undurchsichtig. Es gibt den sehr renommierten Büchner-Preis, es gibt den Kleist-Preis, den Josef-Breitbach-Preis, den Preis der Leipziger Buchmesse und viele Preise mehr, und eben seit drei Jahren den Deutschen Buchpreis. Welche Stellung hat er denn innerhalb Deutschlands, dieser Deutsche Buchpreis?

Krüger: Ich glaube, weil er vom Börsenverein des Buchhandels mit vergeben wird, hat er ein ganz besonderes Renommee, sowohl der Leipziger wie der Frankfurter, alle anderen Preise werden von Gesellschaften vergeben oder literarischen Vereinigungen oder - wie der Büchner-Preis - von der Akademie. Da werden Gesamtwerke gelobt, da werden Gedichtbände und so weiter ausgezeichnet.

Aber hier ist doch der Anspruch formuliert worden, wir zeigen euch, welcher der beste Roman des Jahres ist. Und da steht dann der gesamte Buchhandel dahinter, und das zahlt sich für einen Autor natürlich aus. Es gibt vielleicht andere Preise - wie der Büchner-Preis -, die ein anderes Renommee haben, aber da wird eben das Gesamtwerk eines Autors ausgezeichnet, und nicht nur ein Buch.

Schlesinger: Sie hatten Arno Geiger eben schon erwähnt, ein Schriftsteller, der in Ihrem Haus erscheint und der 2005 den Deutschen Buchpreis bekam. Was hat sich - abgesehen davon, dass er sich in Deutschland sehr gut verkauft hat, nachdem er den Buchpreis bekommen hat - für Arno Geiger verändert? Wurde er zum Beispiel auch im Ausland verlegt?

Krüger: Ja, nun, ich meine, was sich verändert hat, ist zum Beispiel, dass jemand, der Romane schreibt - das ist ja ein sehr einsames und sehr langwieriges Gewerbe, und wenn man nebenher ununterbrochen für Zeitungen, Rundfunk arbeiten muss, Lesungen machen muss, dann ist es sehr schwer, sozusagen an einem großen, schwer konstruierten Roman zu sitzen. Und jetzt hat der auf jeden Fall mal so viel Geld verdient, dass er in Ruhe einen neuen Roman schreiben kann, wie es sich für einen Romancier gehört.

Außerdem, Sie fragen nach dem Ausland, natürlich ist das Ausland daran interessiert, den besten deutschen Roman zu übersetzen. Arno Geiger ist jetzt, glaube ich, in 18 Sprachen übersetzt worden, oder wird übersetzt, von Frankreich bis China. Das heißt, dass zum Beispiel in China natürlich alle deutschen Romane angeboten werden von den einzelnen Verlagen. Aber das sind dann immer individuelle Empfehlungen, und man hat nicht so viele Experten, die sich damit beschäftigen können.

Schlesinger: Das heißt, der Buchpreis funktioniert als Marke auch schon im Ausland?

Krüger: Aber es ist eine Marke. Wenn die deutsche Kritik oder ein Teil der deutschen Kritik einen solchen Autor kürt, dann hat das eine übernationale Bedeutung.

Schlesinger: Und Gottfried Honnefelder, der Vorsteher im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, hat ja gesagt, man wolle mit dem Deutschen Buchpreis ändern, dass Deutschland, was die Literatur angeht, ein Importland ist. Kann der Buchpreis das bewirken, über das Buch des Preisträgers hinaus?

Krüger: Na ja, wir sehen ja im Moment, dass die deutsche Literatur zu enormen Höhenflügen angesetzt hat. Es sind ja nicht nur die 20 Bücher, die auf der Longlist des Buchpreises standen, sondern es gibt noch fünf, sechs, sieben, acht Romane, die nicht auf dieser Liste standen und die in den Zeitungen außerordentlich gelobt worden sind.

Das heißt, zum ersten Mal fahren wir alle nach Frankfurt mit einer sehr vollen Tasche, mit sehr vielen interessanten Büchern, während wir im Moment händeringend aus Frankreich, aus Italien, neue Autoren suchen - um die alten Verbindungen nicht absterben zu lassen - und sehr, sehr selten fündig werden. Das heißt, die deutsche Literatur hat im Moment einen - wie man so schön sagt - guten Lauf, und das bedeutet, dass wir sie natürlich leichter im Ausland unterbringen können.

Schlesinger: Werden sie denn auch wirklich verkauft im Ausland? Das Unterbringen ist ja das eine.

Krüger: Wir haben den Pascal Mercier, den "Nachtzug nach Lissabon", der ist zum Beispiel in Holland 100.000 Mal verkauft worden, der steht auf der Bestseller-Liste, er ist in Frankreich sehr gelobt worden, nicht nur wegen des französisch klingenden Namens, er kommt jetzt in England und Amerika.

Das heißt, das Zutrauen zur deutschen Literatur wächst, dass da etwas verhandelt wird, was auch in den nationalen und lokalen Literaturen eine Rolle spielen könnte, wie das mal früher mit Thomas Mann war. Und dann kam Grass und wenige andere, und jetzt plötzlich gibt es deutsche Bücher, die man zwischen Griechenland, Peking und New York ernst nimmt. Und das ist eine Veränderung, die in der Tat außerordentlich wichtig ist für die gesamte deutsche Literatur.

Schlesinger: Aber die hängt nicht zwingend mit dem Buchpreis zusammen.

Krüger: Nein. Nur, verstehen Sie, wenn ein Verlag in London 50 Bücher auf den Tisch kriegt, deutsche Bücher, der kann nicht 50 machen, der wird eins auswählen. Er muss sich also enorm viele Gutachter besorgen, die überhaupt die Dinge lesen, empfehlen, besprechen, was man machen könnte, während wenn die deutsche Literaturkritik sagt, das ist das beste Buch der Saison, dann ist das schon mal eine Empfehlung, die diesen Roman über die anderen hinaushebt.

Schlesinger: Ich hatte die sechs Autoren eingangs genannt, die auf der sogenannten Shortlist stehen, also für den Deutschen Buchpreis nominiert sind. Thomas Glavinic, Michael Köhlmeier und Martin Mosebach sind drei Autoren aus Ihrem Haus.

Krüger: Ja, leider sind es nur drei, wenn es alle sechs aus unserem Haus wären, wäre meine Aufregung geringer.

Schlesinger: Aber es ist ja schon auffallend, dass es drei sind! Wie kommt denn so was zustande?

Krüger: Das weiß ich nicht, aber Sie kennen die Psychodynamik von Jurys, plötzlich passiert das mal. Auf der Longlist waren 20 Titel, aus welchen Gründen dann 15 wieder weggesprungen sind, das kann ich nicht sagen.

Schlesinger: Haben Sie einen Lieblingstitel auf der Shortlist?

Krüger: Ja, also, ich halte das Buch von Köhlmeier, "Abendland", für ein in deutscher Sprache in den letzten 20 Jahren nicht mehr gewagtes Unternehmen. Das ist eine Jahrhundertgeschichte, das ist eine großartige Konstruktion, das ist eine fantastische Sprache.

Da lernt man was, man ist unterhalten, man sieht das ganze 20. Jahrhundert - mit allen Verwerfungen, Brüchen, politischen Katastrophen - vorüberziehen, aber eben auch unser Jahrhundert, das heißt, die zweite Hälfte. Man hat ein Gefühl dafür, wie Leben entsteht, wie Leben reagiert auf politische Ereignisse, auf persönliche Krisen. Das ist schon ein enormes Buch, und das - auch ohne Buchpreis, auch wenn es ein anderer kriegt - bleibt das meines Erachtens eine ganz großartige Leistung.

Schlesinger: Die Kritikerin Sigrid Löffler hat am Freitag hier im Radiofeuilleton mächtig über Martin Mosebach hergezogen - der Büchner-Preisträger, der ja auch für den Buchpreis nominiert ist -, und über seinen Literaturstil sagte sie, er bediene sich mit affektierten Vokabeln und verzopften Phrasen aus der bürgerlichen Mottenkiste des 19. Jahrhunderts. Und auch Iris Radisch von der "Zeit" nennt seinen Stil mariniert verschmockt und spricht von historisierenden Sprachgirlanden. Was sagen Sie zu solchen Kritiken?

Krüger: Na ja, ich habe das alles auch gelesen, offen gesagt mit Stirnrunzeln, denn wenn jemand sich mal bemüht, eine schöne Sprache zu sprechen, dann darf er eigentlich nicht dafür kritisiert werden. Wenn jemand sehr sorgfältig und übersorgfältig schreibt, dann darf das nicht als Schmock bezeichnet werden.

Schlesinger: Frau Löffler nennt es "literarische Hochstapelei".

Krüger: Ja, ich habe irgendwie das Gefühl, da ist bei ihr etwas schiefgelaufen, bei der verehrten Frau Löffler. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Gesamtwerk von Mosebach, das sind zehn Bücher, die sind nie kritisiert worden, weil sie angeblichen Schmock und Hochstapelei produzieren, sondern sie sind deshalb gelobt worden, weil sie auf eine unerhört ausgetüftelte Weise Gegenwart beschreiben, Gegenwart. Und jetzt wird so getan, als sei das alles Vergangenheit und Fontane auf Locken gedreht. Nein, da irren sich beide Damen gewaltig.

Schlesinger: Heute Abend wird zum dritten Mal der Deutsche Buchpreis verliehen, der Verleger Michael Krüger vom Carl Hanser Verlag war das. Herzlichen Dank für das Gespräch.

Krüger: Nichts zu danken, ich hoffe, wir können uns nach dem Buchpreis wieder unterhalten über den, der ihn gewonnen hat.

Schlesinger: Das werden wir vielleicht tun. Danke schön, Herr Krüger.