Deutsche Rufe (1/8)

''Wir sind das Volk!''

Montagsdemonstration im Leipzig, 17.10.1989
Etwa 300.000 Menschen demonstrieren am Montag den 23.10.1989 in Leipzig für Reformen und demokratische Erneuerung in der DDR. © picture alliance / Kimmo Mantyla
Von Vanessa Fischer · 07.07.2014
20 Jahre deutsche Einheit. Es begann 1989 in der DDR. Der Ruf "Wir sind das Volk!" wird Geschichte schreiben. Wann entstand er? Die meisten Quellen datieren ihn auf den 9. Oktober 1989. Doch das ist falsch.
Prolog
"Wir sind das Volk"
Die meisten Veröffentlichungen zum Herbst 89 sind sich einig über die Geburtsstunde des Rufes.
"9. Oktober 1989. Zum ersten Mal kann man den Slogan 'Wir sind das Volk' hören." (1)
Spiegel Verlag
"9. Oktober: Mit Parolen wie 'Wir sind das Volk', 'Keine Gewalt', 'Neues Forum zulassen' fordern die Demonstranten Meinungsfreiheit und politische Reformen." (3)
Deutsches Historisches Museum
"Wir sind das Volk!" – Leipzig, der 9. Oktober also? Doch die Geschichte beginnt schon früher.

Kapitel 1: Leipzig, 2. Oktober 1989
Das Friedensgebet in der Nikolaikirche ist zu Ende. Die Menge setzt sich in Bewegung. Es werden immer mehr. 15.000 ziehen über den Leipziger Ring, zunächst an den Sicherheitskräften vorbei. Ihre Aufforderung: "Zieht euch um! Schließt euch an!" Dann ... Bernd Lindner:
"Das war jetzt noch nicht dieses befreiende Fanal, wie es dann später gerufen wurde, sondern das war auch so ein Stück: Wir sind doch das Volk, also ihr könnt uns doch gar nichts tun - also auch so ein bisschen ein Schutz."
Vor dem Kaufhaus geht es nicht mehr weiter. Mann an Mann steht die Kette der Einsatzpolizei, dem Demonstrationszug gegenüber. Martin Jankowski beschreibt den Moment literarisch.
"'Deutsche Volkspolizei! Räumen sie die Straße!' quäkte der Lautsprecher. 'Volkspolizei?' fragte Tilmann laut. 'Wir sind doch das Volk! Warum beschützen sie uns dann nicht?' Er blickte einem nervösen jungen Genossen vor sich spöttisch in die Augen und wartete mit erhobenem Kinn auf eine Antwort. 'Genau!' schrie jemand, der es mitgehört hatte. 'Wir sind doch das Volk! Liebe Genossen Volkspolizisten – erkennt ihr uns nicht? Wir sind's euer Volk! Lasst uns durch wir möchten nach Hause.' Die neue Parole war ausgegeben: Wir sind das Volk!"
"Wir sind das Volk!" Auch nach intensiver Recherche - in den Unterlagen der Birthler Behörde, des Ministeriums des Innern, des Politbüros - findet sich kein Hinweis. Also doch nicht der 2. Oktober? Bernd Lindner vom Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig ist sich sicher.
"Also ein Einzelner war uns dann schon unsicher. Das mussten schon mehrere sein, die das belegten. Und von daher kann ich es auch mit relativer Sicherheit sagen, das war dieser Tag und diese Zeit, an dem dieser Ruf aufkam." (5)
Der Leipziger Pfarrer Rolf Michael Turek blättert in seinem alten Kalender. Vom Telefon der Markusgemeinde gab er die Losungen der frühen Demonstrationen an ausländische Journalisten durch.
"Aus meinen Notizen ergibt sich, dass der Ruf 'Wir sind das Volk!' zum ersten Mal am 2. zu hören gewesen ist."
Kapitel 2: Berlin, 7. Oktober 1989
40. Jahrestag der DDR. Viele Gäste aus dem Ausland sind gekommen. Unter ihnen Michael Gorbatschow. Während der Parade hört er sie, die vereinzelten "Gorbi hilf!"-Rufe. Seinen Reformkurs hält er seit vier Jahren. "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" teilt er Honecker mit. Im Palast der Republik feierliche Reden auf die Errungenschaften der DDR, draußen - hinter der breiten Absperrung - immer mehr Menschen. Anne Katrin Pauk:
"Am 7. Oktober, da war ja ein großer Empfang im Palast der Republik und das war unser Ziel, zum Palast der Republik zu laufen, einfach Präsenz zu zeigen, wo das Volk eigentlich ist. Und dort wurde auch dieser Ruf gerufen: Wir sind das Volk! Wir stehen hier draußen, wir standen auf der anderen Spreeseite mit Blick auf die östliche Seite des Palastes der Republik, und diese kupferfarbenen Glasscheiben ... Der Ruf 'Hier, hier steht das Volk nicht ihr da drinnen!' Am 7. definitiv."
Amtliche Quellen bestätigen ihre Aussage. In einem Bericht, der am folgenden Tag, am 8. Oktober, bei der Staatssicherheit eingeht, heißt es:
"Am 7. Oktober 1989 wurden wir Zeugen einer friedlichen Demonstration in Berlin, die am Nachmittag auf dem Alexanderplatz ihren Anfang nahm. (...) Der Zug kam am Spreeufer zum stehen, da die Brücken durch Polizeiketten und Lkw blockiert wurden. Es ertönten Sprechchöre: 'Gorbi, hilf uns!', 'Wir sind das Volk!', 'Demokratie jetzt!'. Gemeinsam wurde die Internationale gesungen." (6)
Später zieht der Zug Richtung Karl-Liebknecht-Straße weiter. Eingeschleuste Spezialeinheiten in Zivil führen die Menge geschickt in unterschiedliche Richtungen, zerstören den Zug. Ein Teil geht Richtung Prenzlauer Allee. Lastkraftwagen mit eingezäunten Ladeflächen hinterher. Vereinzelt ist der Ruf noch zu hören. Doch dann wird die Gruppe von Sicherheitskräften eingekesselt, mit Schlagstöcken geprügelt, auf die Wagen verladen. Zugeführt.
Kapitel 3: Leipzig, 9. Oktober 1989
Die Leipziger Volkszeitung berichtet in ihrer Tagesausgabe:
"Rowdys beeinträchtigten ein normales Leben - Während des Sonnabends (am 7.10.89 – Anmerkung des Verfassers)) störten Gruppen von zumeist jugendlichen Rowdys, organisiert aufgetreten und beeinflusst von westlichen Massenmedien, im Leipziger Zentrum die Markttage, beeinträchtigten zeitweise das normale Leben und den innerstädtischen Verkehr. Die Deutsche Volkspolizei verhinderte durch besonnene Handlungen größere Ausschreitungen." (7)
Rowdytum. Nicht zum ersten Mal werden die Demonstranten mit diesem Ruf aus der Justiz kriminalisiert. Abschreckungstaktik. Möglichst viele sollen der Montagsdemonstration fernbleiben. Aber an diesem 9. Oktober gehen um die 70.000 auf die Straße. Rolf-Michael Turek:
"Also ich erinnere mich noch an diesen einen Artikel in der Volkszeitung 'Rowdys in der Innenstadt' und dann die Auseinandersetzung mit diesem Artikel in der Demonstration. Also eine Gruppe von jungen Leuten skandierte 'Wir sind keine Rowdys', 'Wir sind keine Rowdys' ..."
"Wir sind keine Rowdys" (8)
"Auch so´n Stückchen ein lautes Überlegen, also wir sind keine Rowdys, was sind wir eigentlich? Na wir sind das Volk! Also dieses Aha! Also dieser Umschlag, der ganz zaghaft begann. Das trat ins Bewusstsein. Und das wurde dann mit jedem Schritt noch mal bewusster: Ja, wir sind das Volk, wir sind das Volk ..."
"Wir sind das Volk" " (8)
Die erste belegte Aufnahme des Rufes, der Geschichte schreiben wird.
""Und dahinter dann auch zu erleben, durch dieses Skandieren, das ist eine Kraft. Als hätte sich dieser Gedanke jetzt erst so entwickelt und auch verfestigt, sozusagen: Ja, so is' es!"
Denken sich Tausende an diesem 9. Oktober. Aber noch ist der Zug nicht rum um den Leipziger Ring. Man weiß, sie können noch zum Einsatz kommen - die Kampfgruppen und Panzer, die in Bereitschaft stehen. Man weiß, zusätzliche Blutkonserven lagern in den Krankenhäusern, Betten und Personal sind aufgestockt. Der Kampfgruppen-Kommandant hatte einige Tage zuvor klargestellt, die konterrevolutionären Aktionen endgültig und wirksam zu beenden, notfalls mit der Waffe in der Hand. Die "chinesische Lösung" hängt an diesem Abend über der Stadt. Günter Schabowski, Mitglied des Politbüros der SED:
"Die schien sich ja anzubahnen als die Montagsdemonstrationen in Leipzig also zu einer regelmäßigen Erscheinung wurden und Honecker sich mit dem Gedanken trug also Militär auffahren zu lassen, weil er ... er begriff ja diese Situation gar nicht mehr. Wir begriffen sie auch nicht richtig, aber er noch weniger, er überhaupt nicht. Und er hat dann verlangt, dass ein entsprechender Befehl vorbereitet wird. Er war ja Oberbefehlshaber. Und dieser Befehl, solche Truppen aufmarschieren zu lassen, ist dann von Krenz ausgearbeitet worden. Und da ist ausdrücklich vermerkt worden, dass zwar die Truppen aufmarschieren sollten in Leipzig, aber dass sie nicht mit geladener Waffe dort aufmarschieren sollten, um eine blutige Eskalation auszuschließen."
Alles nur Drohkulisse? Bernd Lindner:
"Das ist nun einfach geschichtlich schon mehrfach gesagt und belegt worden, dass wenn es weniger als 30.000 gewesen wären, die an dem Tag den Mut gehabt hätten, dieses 'Wir sind das Volk!' zu praktizieren, also nicht nur zu rufen, sondern zu praktizieren durch ihre Anwesenheit, dass ja dann mit Sicherheit der Staat anders mit den Leuten umgesprungen wäre.""
Einmal rum um den Ring. Keine Zusammenstöße, Stattdessen "Keine Gewalt!" Und immer wieder "Wir sind das Volk!" Jetzt ein Massenruf und Programm. Martin Jankowski:
""Damit wurde also sozusagen dokumentiert: So, also es geht jetzt nicht mehr nur um die Begriffsklärung, sondern es geht darum: Hallo! Wir sind der Partner, mit dem geredet werden muss. Sozusagen der Aufruf dazu, dass die Politiker, die bis dahin abgezirkelt irgendwo ihr eigenes Spiel gemacht haben, sich wirklich dem Gespräch und der Auseinandersetzung mit dem Volk endlich stellten. Also diese Dimension, diese Bedeutung, denk ich, kam am 9. Oktober definitiv in diesen Slogan mit hinein. Das war am 2. Oktober noch nicht der Fall. Also da gab's schon einen Qualitätssprung."
Am 9. Oktober ist klar: Die beschworene Einheit zwischen Volk und Partei ist beendet. Und damit die Legitimation für die Vorherrschaft der SED. Das Volk hat sich ein öffentliches, sein Parlament geschaffen. Bernd Lindner:
"Das war die erste wahrscheinlich programmatische Wortmeldung in diesem Parlament."
Kapitel 4: "Wir sind das Volk!" im Politbüro
Die Berliner Machtzentrale wird überflutet mit Lageberichten der Staatssicherheit. Die antisozialistischen Vorkommnisse nehmen rasant zu. 416 in drei Tagen allein im Bezirk Erfurt. Auch in der Provinz ist die Sprachlosigkeit überwunden. "Wir sind das Volk!" ist in aller Munde.
"Wir sind das Volk"
Im Politbüro wird der sich ausbreitende Ruf nicht diskutiert. Günter Schabowski:
"Ich muss sagen, also damals hatte mich diese Losung nicht besonders beunruhigt, sage ich mal als jemand, der noch in der Macht war. Erst durch die Macht würde man das Volk dazu bringen, seine eigene Situation und die notwendige Führungsrolle dieser Partei zu begreifen."
Daran wird auch nach Honeckers Absetzung am 18. Oktober weiter gearbeitet. Sein Nachfolger Egon Krenz hält Reden wie die am 28. Oktober vor der Militärakademie. Zitat:
"Mitten aus dem Volk, auch aus den Grundorganisationen unserer Partei, ist eine große Volksbewegung für einen erneuerten Sozialismus in der DDR entstanden." (9)
Günter Schabowski dazu:
"Letztlich ist das natürlich ein Ausdruck auch, sich einzuverleiben eine solche Bewegung und sich ihr einzuverleiben, um die Führung, um die Macht im Grunde zu behalten. Also das steht hinter solchen Formulierungen. Die Partei war natürlich hilflos."
Die Lage ist brisant. Aus Magdeburg fragt die Bezirksleitung der SED an:
"Mit dem Glückwunsch zu deiner Wahl als Staatsratsvorsitzender falle ich gleich mit der Tür ins Haus und konfrontiere dich mit einer für uns sehr akuten Frage: Was soll mit der traditionellen Hasenjagd für Diplomaten geschehen?" (10)
Die Hasenjagd wird abgeblasen.
Kapitel 5: "Wir sind das Volk!" – ein kurzer Sturm
Berlin, 4. November. Großdemonstration in der Hauptstadt. 500.000 sind auf der Straße, von ganz oben genehmigt. Es sprechen Bürgerrechtler, Politbüromitglieder, Künstler. Die Schriftstellerin Christa Wolf:
"Was bisher so schwer auszusprechen war, geht uns auf einmal frei von den Lippen. Wir staunen, was wir offenbar schon lange gedacht haben und was wir uns jetzt laut zurufen: 'Demokratie jetzt oder nie!' ( ... ) Und dies ist für mich der wichtigste Satz dieser letzten Wochen, der tausendfache Ruf 'Wir sind das Volk!' (Beifall) Eine schlichte Feststellung und die wollen wir nicht vergessen!"
Doch der Souverän, das Volk, ist schon dabei, sich zu verabschieden. Anne Katrin Pauk, Sprecherin der Berliner SDP, der ostdeutschen SPD:
"Darum geht's nicht mehr. Die DDR-Regierung, warum sollte man sich mit der noch auseinandersetzen. Also ich persönlich habe das Interesse an diesem Satz komplett verloren spätestens nach dem Fall der Mauer."
In Leipzig ist er schon am 23. Oktober nur noch vereinzelt zu hören. "Wir sind das Volk!" wird zum Ruf von gestern. Die Regierung der DDR ist am Ende. Und damit auch der Gegenspieler. Bernd Lindner:
"Da war das Volk sich dann plötzlich wieder uneins und da hätte dieser Spruch 'Wir sind das Volk!' ja gar nicht mehr gepasst. Die Zeit für diesen Spruch war vorbei. Dann gab's andere Sprüche und dafür hat man dann Transparente gemacht. Und dann stand man ja auch mit dem Transparent für sich, während 'Wir sind das Volk!' ist ja a priori abgehoben von der eigenen Person, sondern meint ja die Masse, die da steht."
"Wir sind das Volk". Als der Ruf auf die Transparente kommt, ist er schon Geschichte. Uwe Schwabe, Bürgerarchiv Leipzig:
"Dieser Satz 'Wir sind das Volk!' hat 1990 eine ganz neue Bedeutung bekommen, weil ihn dann auch verstärkt Parteien benutzt haben in ihren Wahlprogrammen und gesagt haben, wir sind jetzt die neuen Parteien, wir sind jetzt die neuen Vertreter des Volkes, wir werden sozusagen uns zur Wahl stellen. Und da findet man diesen Satz immer wieder und vermehrt in den Flugblättern, in den Wahlprogrammen oder in den Werbezetteln, die die Parteien verteilt haben."
Vor allem in denen der Bürgerrechtler, die gegen eine schnelle Wiedervereinigung sind. Am 18. März haben sie so gut wie keinen Einfluss auf den Ausgang der Volkskammerwahlen in der DDR. Die "Allianz für Deutschland", das Bündnis mit der westdeutschen CDU, wird mit dem Slogan "Wir sind EIN Volk" Wahlsieger.
"Die Leute waren ja schon längst, spätesten mit dem Mauerfall, auf neue Ziele programmiert, mussten sich auf neue Ziele orientieren. Das Volk, das sie ansprechen wollten, war ja schon längst, wie es Stefan Heym etwas spöttisch und bitter gesagt hat, auf dem Ku-Damm und kloppte sich um Bananen."
"Wir sind das Volk!" nur der Leitruf des kurzen stürmischen Aufbruchs? Martin Jankowski:
"Das ist eigentlich ja auch ein schöner Gedanke, dass also in diesem Moment aus diesem Slogan heraus so eine Art Nachdenken und Proklamation von und über Demokratie gewissermaßen entstanden ist. Und zwar ohne das irgendjemand das propagandamäßig inszeniert hätte, so wie es mit dem abgeleiteten Slogan 'Wir sind ein Volk' dann später definitiv geschehen ist."
Zehn Jahre nach dem Mauerfall prangt am Haus des Lehrers auf dem Berliner Alexanderplatz ein großes Transparent: "Wir waren das Volk".
Epilog. Oder: Es begann schon vor dem 2. Oktober
Seit 1987 geht der Leipziger Albrecht Reißmann jeden Montag zum Friedensgebet in die Nikolakirche. Ein Forum für die Ausreisewilligen. Auf dem Kirchhof zeigt die Polizei immer mal wieder Präsenz. Leipzig, 1989.
"Der 30.06. war ja unser letzter Tag in Leipzig, also muss dieser Ruf, der mir im Ohr noch klingt, 'Wir sind das Volk' vor dem 30.06 gerufen worden sein. (...) Ich meine, so der Höhepunkt war auf jeden Fall zu dem Zeitpunkt der Frühjahrsmesse und etwas später, weil ja dann auch die politische Lage und die Staatsorgane da ja auch immer mehr Präsenz zeigten."
Christian Führer, Pfarrer der Nikolaikirche und Initiator der Friedensgebete:
"Ich würde vermuten, dass er auch schon vor den großen Demos im Herbst im Frühjahr zum Beispiel auftauchte bei kleineren Zusammenkünften. Und dass dieser Ruf dann, weil alle gemerkt haben: das ist es, dass dieser Ruf dann zehntausendfach aufgenommen wurde. Das ist dann allerdings erst eindeutig im Herbst passiert.""
Schriftliche Belege liegen hierfür nicht vor. Dafür aber ein anderer. Schon 1984 schreibt die Erfurter Punkband "Schleimkeim" einen Song mit dem Titel "Prügelknaben". Gespielt haben sie ihn nur im Untergrund. Darin heißt es:
""(...) Gedanken werden sterilisiert
Worte durch Zensur kastriert
Wir wollen nicht mehr, wie ihr wollt
Wir wollen unsere Freiheit
Wir sind das Volk, wir sind die Macht
Wir fordern Gerechtigkeit
Wir sind das Volk, wir sind die Macht
Es ist zu spät, wenn es erst mal kracht." (13)
Quellenverzeichnis:
(1) Die Geschichte der Deutschen von 1871 bis heute, Spiegel-Verlag digital.
(2) Fischer Chronik: Deutschland 1949 – 1999
(3) Deutsches Historisches Museum
(4) Jankowski, Martin: "Rabet oder das Verschwinden einer Himmelsrichtung."
Via Verbis Verlag, Scheidegg, 1999
(5) Bezug: Augenzeugenbericht zum 2. Oktober: Schneider, Wolfgang (Hrsg.): Leipziger
Demontage Buch, Gustav Kiepenheuer Verlag, 1990
(6) BStU Archiv Archiv der Außenstelle Rostock – MfS BV Rostock Nr.111
(7) Leipziger Volkszeitung, 9.Oktober 1989
(8) Tonaufnahme der DDR-Staatskameras vom 9.10.1989 Leipzig
(9) Egon Krenz: Rede vor der Militärakademie. 3.11.1989. Aus: Bundesarchiv,
Bestandsignatur DY 30 SED, Akten: Büro Krenz.
(10) Brief der SED Bezirksleitung Magdeburg an Egon Krenz vom 24.10.1989.
Aus: Bundesarchiv, Bestandsignatur DY 30 SED, Akten: Büro Krenz
(11) Rede von Bundeskanzler a.D. Dr.Helmut Kohl auf dem 15. Parteitag der CDU
Deutschlands, 17. Juni 2002
(12) Rede des letzten Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière, zum zehnten
Jahrestag der Deutschen Einheit, 3.10.1989 Dresden Semperoper.
(13) "Prügelknaben" – Schleim-Keim. Text: Diester "Otze" Ehrlich ,1884. In: Galenza, Ronal
und Havemeister, Heins (Hrsg.): "Wir wollen immer artig sein" – Punk, New Wave,
Hip Hop, Independent- Szene in der DDR 1980 – 1990, Schwarzkopf und Schwarzkopf
Verlag
Weitere Quellen:
- Alltag in der DDR. Fotos von Mahmoud Dabaloub, Passage Verlag, Leipzig 2003
- Bahrmann, Hannes und Links, Christoph: Wir sind das Volk. Die DDR zwischen 7. Oktober
und 17. Dezember 1989. Eine Chronik, Aufbau Verlag Berlin und Weimar, 1990
- Dietrich, Christian und Schwabe, Uwe (Hrsg.): Freunde und Feinde. Friedensgebete in
Leipzig zwischen 1981 und dem 9. Oktober 1989. Dokumentation im Auftrag des "Archiv
Bürgerbewegung e. V. " Leipzig, Evangelische Verlagsanstalt, 1994
- Hartewig, Karin/Lüdtke, Alf: Die DDR im Bild, Wallstein Verlag, Göttingen 2004
- Hoffmann, Lutz: Das "deutsche Volk" als Integrationsideologie und seine historische
Entwicklung. FES – Digitale Bibliothek
- Lageberichte des Ministeriums für Staatssicherheit, September – Dezember 1989 - BStU
- Leipziger Volkszeitung Ausgaben September/Oktober
- Lindner, Bernd: Keine Gewalt. Leipzig – Eine deutsche Revolution. Bilder leipziger
Fotografen. Duisburg/Rheinhausen 1990
- Neues Forum Leipzig: Jetzt oder nie – Demokratie, Forum Verlag, 2000
- Reclams Zitatenlexikon
- "Wir sind das Volk" Aufbruch 89', mdv-transparent, Hefte, Mitteldeutscher Verlag Halle-
Leipzig, 1990
- Zwahr, Hartmut: Die demokratische Revolution in Sachsen. "Wir sind das Volk". In:
Menschel, Sigrid/Richter, Michael, Zwahr, Hartmut: Die friedliche Revolution in Sachsen,
Dresden 1999
- Zwahr, Hartmut: Die 89er Revolution in der DDR. In: Wende, Peter (Hrsg.): Große
Revolutionen der Geschichte, Beck, München 2000
- Francois, Etienne/Schulze, Hagen: Deutsche Erinnerungsorte II., Beck München 2003
Einheitsdenkmal adé?
Von Nadine Lindner
Gemächlich zuckelt die Linie 11 aus der Karl-Liebknechtstraße um die Ecke. Nächste Haltestelle Wilhelm-Leuschnerplatz. Wer hier aus dem Fenster über den Platz schaut, sieht eine Brache: Der Wilhelm-Leuschner-Platz ist eine windige Einöde mitten in der Stadt. Eigentlich sollte hier ab dem Herbst alles anders werden: Mit dem neuen Freiheits- und Einheitsdenkmal sollte der Platz zum 25. Jahrestag des Mauerfalls vollkommen umgestaltet werden.
Doch jetzt, wenige Monate vor dem Jahrestag ist noch nichts passiert. Noch gar nichts. Und es wird auch so schnell nichts passieren, denn das Vergabeverfahren wurde angehalten. Manche drücke es drastischer aus:
"Ich halte das Verfahren für gescheitert. Das Verfahren wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu Ende geführt."
Sagt Axel Dyck, Fraktionsvorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion.
Die letzten Schlagzeilen produzierte das ungebaute Denkmal Mitte Mai. Da gab es ein Krisentreffen von Bund, Land und Stadt.
"Parallel gibt es dazu Gespräch mit Bund und Land über das Geld. Ob die Gelder auch für ein zweites, vollkommen neues Verfahren zur Verfügung stehen würden."
Die Vorgeschichte: 2007 hatte die Bundesregierung beschlossen, zwei Denkmäler zu bauen, eins in Berlin und eins in Leipzig. Sogar ein Einweihungsdatum gab es schon: den 9. Oktober 2014. Doch der Siegerentwurf eines künstlerischen Wettbewerbs, ein geometrisches Farbenfeld blieb in der Öffentlichkeit ungeliebt, es wurde später durch den Entwurf "Herbstgarten" ersetzt, der aber auch durchfiel.
So beschreibt Ansbert Maciejewski von der CDU-Fraktion im Stadtrat das Unbehagen vieler Leipziger mit den Entwürfen:
"Ich bin ja ein Freund von Denkmälern, die man fotografieren kann. Und nicht Flächengestaltung. Das halte ich für schwierig. Und da haben auch die Leute gesagt, das gefällt uns nicht."
Nachdem die Zurückstufung des eigentlichen Siegerentwurfes auch einer juristischen Prüfung nicht standhielt, forderten SPD, CDU und Grüne den Ausstieg aus dem Wettbewerbsverfahren. Die Linken standen dem Denkmal von vornherein kritisch gegenüber.
Sagt Skadi Jennicke von der Linksfraktion im Stadtrat, sie fordert einen Bürgerentscheid, weil :
"Die Linke ist der Auffassung, dass es genügend authentische Orte gibt, um an den Herbst 89 zu erinnern, wie den Nikolaikirchhof. Da ist es nicht notwendig. Viele haben Angst, dass ihr subjektives Empfinden in diesem Denkmal nicht abgebildet wird. Diese Erfahrung haben viele Leipziger in den vergangenen 25 Jahren gemacht."
Am 16. Juli muss sich der Leipziger Stadtrat noch einmal mit dem Thema Freiheitsdenkmal - und Einheitsdenkmal auseinandersetzen. Dann steht auch ein Antrag der Grünen auf dem Programm: Sie wollen das Projekt erst mal auf Eis legen. Zur Wiedervorlage zum 50. Jahrestag im Jahr 2039.
Programmtipp: Teil 2 am Montag, den 14.7.14