Deutsche Pop-Art

Ohne Glamour, aber mit Ironie

A man stands in front a tv showing a video as part of the artworks displayed in a major retrospective exhibition of German artist Sigmar Polke entitled 'Alibis: Sigmar Polke 1963_2010' during a media preview of the show at the Museum of Modern Art (MoMA) in New York, New York, USA, 09 April 2014. The exhibit which runs from 19 April until 03 August, is the first major retrospective of Polke's work, including painting, photography, film, drawing, prints, and sculpture, and is one of the largest exhibitions ever assembled at the museum.
Schimpftuch: Museum of Modern Art in New York feiert den deutschen Künstler Sigmar Polke mit einer großen Retrospektive © picture alliance / dpa / Justin Lane
Von Rudolf Schmitz · 06.11.2014
Deutsche Künstler entwickelten in den 60ern eine ganz eigene Variante des Pop-Arts: Sigmar Polke, Manfred Kuttner, Christa Dichgans oder Peter Roehr ironisierten kleinbürgerliche Geschmacksideale und die typisch deutsche Gemütlichkeit - zu sehen in der Ausstellung "German Pop" in Frankfurt am Main.
Ein weiß gespritzter Zahnarztstuhl, eine Neonwand aus überlagerter Schrift, erfundene Straßenschilder, dreidimensionale Flaggen und Abzeichen – der German Pop kann durchaus auftrumpfen und große Geste sein. Für die Künstler aus Düsseldorf, Berlin, München und Frankfurt kam die neue gegenständliche Kunst aus Amerika und England wie ein Schock, auf den sie augenblicklich antworten wollten. Und ein erster Blick in die Frankfurter Ausstellung zeigt: Diese Antwort war komplex und kompliziert. Der Titel German Pop ist übrigens keine Erfindung der Schirn Kunsthalle.
Martina Weinhart, Kuratorin: "German Pop habe ich mir nicht ausgedacht, das war tatsächlich der Claim, mit dem Gerhard Richter und seine Kollegen vom 'Kapitalistischen Realismus' ihre Kunst bedacht haben und in den 60er-Jahren, ganz am Anfang ihrer Karriere haben sie sich nach Paris aufgemacht, zur berühmten Galeristin Iris Klert und haben sich vorgestellt mit 'We are the German Pop Artists'."
Schon 1963 hatten Gerhard Richter, Konrad Lueg, Sigmar Polke und Manfred Kuttner mit einer Aktion und Ausstellung in einem Möbelhaus die deutsche Pop Art eingeläutet. Die frühen fotorealistischen Bilder von Richter – vier junge Leute in einem Motorboot, eine Frau mit einem faltbaren Wäschetrockner oder das Vierfach-Porträt der Krefelder Ärztin und Sammlerin Dr. Knobloch – zeigen, was das Dilemma des deutschen Pop war: Es gab keinen Glamour in Deutschland, es gab keine wirklich prominenten Konsummarken. Und auch die optimistisch krakeelende Farbigkeit der Amerikaner mussten sich die deutschen Künstler mühsam erarbeiten. Den Anti-Glamour der deutschen Pop Art verkörpert auf exemplarische Weise ein komplett unscharfer, stummer Schwarz-Weiß-Film von Gerhard Richter: Er ist Volker Bradke gewidmet, einem Düsseldorfer Original und Vernissagengänger.
Schlagartig erlischt die Begeisterung für die US-Konsumwelt
Die Ausstellung ist voller Entdeckungen. Eine Film-Ton-Collage von Ferdinand Kriwett zum Beispiel zeigt die Faszination durch amerikanisches Fernsehen und Sprechgeschwindigkeit. In Berlin sind es K.H.Hödicke oder Lambert Maria Wintersberger, die in der Produzentengalerie Großgörschen 35 die neue Gegenständlichkeit der Malerei feiern. Auch ihre Bilder kann man sich heute noch sehr gut anschauen. Der Frankfurter Künstler Peter Roehr widmet sich der amerikanischen Werbung: in seinen geloopten Filmen und seinen seriellen Collagen.
Martina Weinhart: "Peter Roehr ist der amerikanischen Kunst fern und nahe, weil er nur mit amerikanischen Material arbeitet. Sein damaliger Partner Paul Maenz hat ja in der Werbung gearbeitet und er hat diese Materialien sowohl als Film als auch als Werbeprospekt mitgebracht und Peter Roehr hat das direkt in seine unglaublich strengen Collagen verarbeitet, dh es hat einerseits die Leichtigkeit des Ausgangsmaterials und andererseits ist er vielleicht der wegweisendste Künstler von den deutschen Pop Künstlern..."
Zu den Entdeckungen der Ausstellung gehören die wenigen weiblichen Künstler wie die Münchnerin Ludi Armbruster oder die Berlinerin Christa Dichgans. Christa Dichgans Bilder von übereinander geworfenen, aufblasbaren Gummitieren haben eine direkte und fröhliche Farbigkeit und wirken wie vorweg genommener Jeff Koons.
Christa Dichgans: "Ich bin ganz froh, dass das noch mal gezeigt wird und so einen Anklang findet: die sind auch besonders. Würde ich sagen. Und es gibt dafür keine Vorbilder."
Sehnsucht erwächst aus der grauen Nachkriegszeit
Für Christa Dichgans war die Pop Art nur eine kurze Phase ihrer Karriere. Doch eine Zeitlang fühlte sie sich dann tatsächlich auf das Malen von Gummitieren festgelegt.
Christa Dichgans: "Wenn irgendwo gebadet wurde an einem Strand oder in Nizza habe ich geguckt, was gibt's denn da noch? Irgend ein neues Modell, was ich nicht kenne, das habe ich auf die Spitze getrieben."
Von Wolf Vostell gibt es den Siebdruck eines B52-Bombers, der Lippenstifte abwirft: Da werden Politik und Konsum auf kritische Art verkoppelt. Eine Arbeit von 1968. Aus dem selben Jahr: ein Rudi Dutschke mit weit aufgerissenen Augen, vermutlich nach dem Attentat entstanden. Im Zuge der Studentenbewegung und der Anti-Vietnam-Demonstrationen erlischt schlagartig die deutsche Begeisterung für die amerikanische Konsumwelt und Gesellschaft, mit dem German Pop ist es vorbei.
Die Frankfurter Ausstellung ist also auch eine Archäologie der 60er-Jahre und Begegnung mit wenigen prominenten und sehr vielen unbekannten Künstlern. German Pop erzählt von der Sehnsucht, die graue Nachkriegszeit hinter sich zu lassen, von dem Bedürfnis, Humor, Ironie und Leichtigkeit in die Kunst zu bringen, und von einer rasanten Politisierung, die dann nach ganz anderen Bildern verlangte.
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