Deutsche Narren geben den Ton an

30.12.2010
In Katherine Anne Porters Gesellschaftsroman macht sich eine multinationale Gesellschaft 1931 auf eine Schiffsreise von Veracruz nach Bremerhaven - gestrandete, unzufriedene Menschen. Man fühlt sich trotzdem erster Klasse.
"Das Narrenschiff" sei das "seltene Beispiel eines großen Gesellschaftsromans, von einer Frau verfasst", schreibt Elke Schmitter im Nachwort der Neuausgabe. Für hiesige Leser ist der Roman besonders interessant. Hat Katherine Anne Porter doch nicht nur das allegorische Motiv des Narrenschiffs von Sebastian Brant übernommen. Sie schildert auch eine Gesellschaft, in der deutsche Narren den Ton angeben – Geschäftsleute und Bildungsträger, die in Mexiko zu tun hatten.

Es geht um eine Schiffsreise von Veracruz nach Bremerhaven im Jahr 1931. Eine multinationale Gesellschaft hat sich auf dem Dampfer "Vera" versammelt: gestrandete, unzufriedene, körperlich und seelisch gezeichnete Menschen. Man fühlt sich trotzdem erster Klasse, verglichen mit den spanischen Zuckerrohrarbeitern, die in Kuba aufs Zwischendeck gepfercht werden – verschifft wie Tiere.

Porter inszeniert eine Komödie der Eitelkeiten, und nicht nur der geschlossene soziale Mikrokosmos auf dem Schiff, auch die sich entwickelnde große Gereiztheit und das walpurgisnachtartige Fest am Ende, befeuert von einer spanischen Tanztruppe, erinnern an Thomas Manns "Zauberberg". Viele Jahre hat die Autorin an dem 1962 erschienenen Roman gearbeitet – erkennbar am sprachlichen Feinschliff, der in der leicht überarbeiteten Übersetzung Susanna Rademachers erhalten bleibt, am adjektivreichen Beschreibungsaufwand und der Sorgfalt, mit der die vielen kleinen Episoden verfugt werden, in denen sich Porter den einzelnen Figuren ihres erbarmungslosen Reigens widmet.

Während gängige "Traumschiff"-Fiktionen von falschem Glamour, exotischen Kulissen und romantischen Extremsituationen leben, ist das Treibmittel dieses Romans die aufgezwungene Intimität mit ihren vielen unerfreulichen Einblicken. An Bord lässt sich nichts verbergen: Der Alkoholismus eines Ehemanns, der bösartige Dauerstreit eines verfehlten Pärchens, die antisemitischen Ressentiments, die dazu führen, dass ein vermeintlicher Jude des Kapitänstisches verwiesen wird.

Gefühle und Gedanken sind wichtiger als Ereignisse. Eine der seltenen dramatischen Aufgipfelungen des 700-Seiten-Romans besteht darin, dass die verwöhnte Bulldogge eines Professorenehepaars von zwei sadistischen Kindern über Bord geworfen wird. Einer der spanischen Underdogs stirbt bei der Rettung; der Hund aber wird dank beherzten Eingreifens des Schiffsarztes erfolgreich reanimiert.

Mit der Technik moderner Introspektion kriecht Porter ihren Figuren unter die Schädeldecke und legt ihre modrigen seelischen Wurzelgeflechte bloß. Größtmögliche Nähe geht dabei einher mit satirischer Distanz gegenüber dem närrischen Treiben. Aus heutiger Sicht ist dieser Abstand noch größer geworden. Die deutsche Gesellschaft um 1930, wie sie hier porträtiert wird, ist schwer erträglich: mit ihrem teutonischen Hochmut, ihrem selbstgerechten Sendungsbewusstsein, mit diesen betulichen Damen, die das Moralisieren wie einen Volkssport betreiben.

Als 1963 die Übersetzung des Romans erschien, war die Rezeption denn auch gespalten. Die einen fühlten sich gekränkt von der karikaturhaften Darstellung der deutschen Figuren; andere fanden es verharmlosend, dass Nazismus und Antisemitismus so einfach unter die reichhaltige Kollektion menschlicher Narrheiten rubriziert werden. Vielleicht ist erst jetzt die Zeit für Porters Satire gekommen.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Katherine Anne Porter: Das Narrenschiff
Aus dem Amerikanischen von Susanna Rademacher
Manesse Verlag, Zürich 2010
703 Seiten, 26,95 Euro