Deutsche Juden in Israel

Ringen mit der deutschen Kultur

Ein Chanukka-Leuchter auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor in Berlin, Dezember 2014
Aber was konnten, was durften deutsche Juden mit der Kultur ihrer Herkunft in Palästina und später in Israel anfangen? Nach allem, was gewesen war? © picture alliance / dpa
Von Ruth Kinet · 12.05.2015
Wie viel Deutsch darf sein? Jüdische Flüchtlinge aus Deutschland mussten sich diese Frage nach die Kultur ihrer Herkunft immer wieder stellen. An der Hebräischen Universität in Jerusalem ging man ihr besonders intensiv nach.
Jerusalem, Ende Juni 1965, anderthalb Monate nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Deutschland. Mehr als 1000 Studenten sind zum Gedenken an die Opfer der Shoah auf dem Campus der Hebräischen Universität zusammengekommen. Mehrere Reden werden gehalten. Eine allerdings, sorgt für Furore: Nathan Rothenstreich, Professor für Philosophie und Träger des Israel-Preises, tritt auf und sagt:
"Die Tatsache, dass Deutschland Israel nur politisch und nicht moralisch anerkannt hat, deutet darauf hin, dass die moralische Erneuerung des deutschen Volkes noch fraglich ist".
Die Wirkung dieses Satzes war beträchtlich. Yonathan Shiloh-Dayan ist Doktorand am Franz-Rosenzweig-Minerva-Zentrum der Hebräischen Universität und erforscht unter anderem, was nach der Rede geschah. Shiloh-Dayan spricht von der "Affäre Rothenstreich":
"Rothenstreich äußerte damals Zweifel an der moralischen Erneuerung des deutschen Volkes. Er tat das zu einer Zeit als die Universität sich schon sehr ernsthaft auf Kooperationen mit deutschen Institutionen eingelassen hatte. Diese Institutionen reagierten sehr verstimmt auf Rothenstreichs Äußerungen . Die deutsche Presse interpretierte die Rede Rothenstreichs, der zu diesem Zeitpunkt schon als Rektor der Universität nominiert war, sein Amt aber noch nicht angetreten hatte, als Plädoyer gegen die diplomatischen Beziehungen Israels zu Deutschland und gegen eine "Normalisierung"."
Ringen um das Verhältnis mit Deutschland
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und nach der Gründung des Staates Israel rangen Professoren und Vertreter der Universitätsverwaltung immer wieder um ihr Verhältnis zu Deutschland. Unter anderem ging es um die Frage, ob an der Hebräischen Universität Deutsch gelehrt werden und Lehrstühle für deutsche Literaturwissenschaft und deutsche Geschichte eingeführt werden sollten.
Irene Aue-Ben David, promovierte Historikerin und Lehrbeauftragte am Franz-Rosenzweig-Zentrum der Hebräischen Universität, erforscht den Verlauf dieser Debatten:
"Ein Grund dagegen war, dass man besorgt war, dass das ein falsches Signal an Deutschland gibt, dass das eine Normalisierung vorgeben würde, die nicht da ist. Es war auch die Sorge, dass man deutsche Geistesgeschichte, die auch als Teil der NS-Geschichte angesehen wurde, hierher holt. Es wurde auch empfunden als falsches Signal. Wo sich die Hebräische Universität schon als der wissenschaftliche und kulturelle Ort des weltweiten Judentums sah, als falsches Signal in die Diaspora."
Yfaat Weiss leitet das Franz-Rosenzweig-Minerva-Zentrum an der Hebräischen Universität Jerusalem, an dem seit 1990 das kulturelle Erbe des deutschen Judentums vom Mittelalter über die Shoah bis heute erforscht wird. Professor Weiss versteht ihre Universität als Ort der Gleichzeitigkeit und Verschränkung von Kontinuität und Bruch, wie sie sagt:
Schon früh Zionisten
"...es war ganz klar, dass die Beziehungen zu Deutschland gebrochen sind. Und zwar gebrochen auf eine sehr brutale Weise. Es waren viele Leute, die einfach in Deutschland entlassen wurden. Es waren hier auch andere Leute, die schon in den 20ern gekommen sind, weil sie Zionisten waren, dazu gehörte zum Beispiel Gershom Sholem oder Hugo Bergmann, der Prager Jude, der auch sehr früh nach Palästina gekommen ist. Das heißt die Leute, die hier waren, waren eine Mischung aus Leuten, die schon früh Zionisten waren und aus Überzeugung hierher gekommen sind und Leuten, die eventuell mit dem Zionismus sympathisierten oder auch nicht, aber unter anderen Umständen nie emigrieren würden. Und die trafen sich alle hier in der Universität. Ich denke, dass sie etwas Gemeinsames hatten, ob sie Zionisten oder Nicht-Zionisten waren, war die Tatsache, dass sie natürlich durch und durch geprägt waren durch deutsche Wissenschaft und Kultur."
Zum Beispiel Gotthold Weil. Er war ein Berliner Arabist, Turkologe und Bibliothekswissenschaftler. 1934 wird der jüdische Professor in den so genannten Zwangsruhestand versetzt. Ein Jahr später beschließt Weil, nach Palästina auszuwandern. Die habilitierte Historikerin Sabine Mangold-Will, die an der Universität Wuppertal Neuere und Neueste Geschichte lehrt, arbeitet zurzeit an einer Biographie über den Orientalisten und erforscht seinen Nachlass, der im Archiv der Israelischen Nationalbibliothek aufbewahrt wird:
"Bei ihm ist es sehr stark spürbar, wie diese Spannung permanent bleibt, immer jüdisch und zionistisch sein wollen, aber auch immer deutsch sein wollen. Und jemand, der im Ersten Weltkrieg sich letztlich für das Kaiserreich eingesetzt hat und gleichzeitig kommt er hier ja an und all dieses Deutsche wird ihm auch infrage gestellt. (...) Und trotzdem gibt es dieses "aber ich kann das nicht ganz aufgeben", weil das bedeuten würde, die eigene Existenz, die eigene Identität komplett aufzugeben und das würde den Ruin bedeuten."

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