Deutsche Industrie

Vorsprung durch IT-Technik?

Sandro Gaycken, IT-Experte für Cyber Defence der der European School of Management and Technology in Berlin
Sandro Gaycken, IT-Experte für Cyber Defence der der European School of Management and Technology in Berlin © imago stock&people
Sandro Gaycken im Gespräch mit Nana Brink · 08.02.2016
Wenn es um IT geht, rauschen chinesische und US-amerikanische Unternehmen gerade links und rechts an uns vorbei, sagt Sandro Gaycken, Direktor des Digital Society Institute in Berlin. Dort will man Strategien für Industriepolitik und Innovation erarbeiten.
Deutschen Unternehmen fehlt es im IT-Bereich offenbar an gut ausgebildetem Personal auf allen Ebenen: Sowohl mehr Ingenieure als auch Entscheider seien nötig, sagt Sandro Gaycken.
Kritik an praxisfernen Universitäten in Deutschland
Inzwischen hätten deutsche Auto- und Maschinenbauer aber erkannt, dass sie Gefahr liefen, "irgendwann Zulieferer für die amerikanischen Smart Cars zu werden", und bemühten sich, besser zu werden, so der Direktor des neu gegründeten Digital Society Institute (DSI) in Berlin an der privaten Hochschule ESMT. Das Institut wird von Unternehmen wie Allianz oder BASF mitfinanziert.
"Wir sind sehr, sehr anwenderorientiert", sagt Gaycken. "Das ist halt eben auch ein Manko, das wir haben in der deutschen akademischen Landschaft. Die ist sowohl in der Technik als auch in den Geisteswissenschaften immer sehr, sehr verkopft und vergeistigt und elfenbeinturmig und meist viele Jahre von der Praxis entfernt. Und da sehen wir uns halt auch in der Pflicht, sowohl in der Ausbildung als auch in unseren Forschungsansätzen das alles sehr viel näher in die Praxis zu bringen."

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Dass die Digitalisierung unsere Wirtschaft und Industrie verändern wird, das ist ja auch schon eine Binsenweisheit, allerdings fühlen sich viele Unternehmen in Deutschland nicht recht vorbereitet auf diese digitale Zukunft. Wie soll sie aussehen? Dieser Frage will das Digital Society Institute nachgehen. Im Oktober haben sich zwei große Unternehmen zusammengetan – nämlich Allianz, BASF und auch noch ein drittes, Volkswagen – und haben den Start ermöglicht.
Heute wird das Institut in Berlin feierlich eröffnet als eine private Hochschule mit anerkanntem Promotionsrecht, finanziert eben von den genannten Industrieunternehmen, die sich hier ihren Nachwuchs heranziehen wollen. Und für den Posten des Direktors hat sich das Digital Society Institute sozusagen einen Experten ausgesucht, den Ex-Hacker und das ehemalige Mitglied des Chaos Computer Club, Sandro Gaycken. Und ich hab ihn gefragt: Warum eine private Hochschule, haben die staatlichen Unis versagt?
Sandro Gaycken: Ach, das würde ich nicht sagen, das ist mehr aus der Gründungsgeschichte bedingt. Die private Uni hat aber dann tatsächlich auch eine ganze Reihe von Vorteilen. Wir sind dort zum Beispiel nicht an die staatlichen Gehaltsmodelle gebunden, sodass wir also auch internationale Spitzenforscher abwerben können.
Vorbild amerikanische Think-Tanks
Brink: In Ihrer Selbstbeschreibung sagen Sie, Sie forschen zu Europas digitaler Zukunft, und das wollen Sie auch interdisziplinär machen. Welche Disziplinen kommen da infrage, wie muss ich mir das vorstellen?
Gaycken: Tja, die Idee, die wir ein bisschen hatten, war auch, so ein bisschen nach diesen amerikanischen Think-Tank-Modellen zu arbeiten. Sie sollen halt eben jetzt an den wunden Punkten ein bisschen forschen, woran es denn eigentlich krankt und was man denn eigentlich braucht und wissen muss, um da besser zu werden. Und dann soll man von da aus auch direkt Strategien entwickeln, so was wie Industriepolitik oder mal eine Innovationsstrategie für bestimmte industrielle Komponenten oder so was, um das dann halt eben auch direkt rüberzubringen in die Praxis.
Brink: Es ist für Sie denn ein wunder Punkt?
Gaycken: Na ja, ein wunder Punkt zum Beispiel in der Sicherheit ist, dass wir gar nicht genau wissen, wo die Risiken genau sind. Das lässt sich immer nicht so richtig gut quantifizieren und messen und gerade auch für verschiedene Industrien dann nicht so genau feststellen, und da hätten schon viele großen Bedarf. Und dann haben viele das Problem, dass die IT-Sicherheitslösungen, die draußen sind im Markt, gar nicht richtig vorher gemessen werden können, wie effizient die sind. Da hätte man also auch gerne ein bisschen mehr eine Faktenbasis, um dann damit auch diesen Markt besser steuern zu können.
Werden deutsche Unternehmen zu bloßen Zulieferern für die amerikanischen Smart Cars?
Brink: Apropos digitale Zukunft: Die hat doch eigentlich längst begonnen, auch nach dem, was Sie gerade schildern, aber doch wohl eher in den USA, also zum Beispiel im Silicon Valley oder auch in China.
Gaycken: Ja, das ist tatsächlich auch ein Problem, dass die beiden natürlich gerade an uns immer links und rechts vorbeirauschen mit allen möglichen Entwicklungen. Die haben da einfach viel bessere Basiskonditionen, aber auch da wollen halt die deutschen Unternehmen, insbesondere die Maschinen- und Autobauer jetzt gerade sehr viel besser werden. Die haben auch gemerkt, dass wir dann Gefahr laufen, irgendwann Zulieferer für die amerikanischen Smart Cars zu werden oder so was.
Die Unternehmen brauchen viel mehr Personal, gut ausgebildetes Personal auf allen Ebenen, sowohl Ingenieure als auch Entscheider, die diese Probleme verstehen und dann besser damit umgehen können, aber da fehlt es auch einfach an Perspektiven. Ganz viele haben eigentlich Geld, aber wissen gar nicht, wo sie jetzt klug investieren, was ihnen dann nicht irgendwie abgekauft wird oder was nicht irgendwo anders besser herkommt. Und das müssen sie jetzt halt gerade in einem längeren Prozess rausfinden und dann eben kultivieren.
IT-Anwender haben andere Interessen als IT-Hersteller
Brink: Ist das der Druck, den Sie spüren, wo Sie sagen, die Wirtschaft hat das nun selbst in die Hand genommen und eben dieses Institut finanziert?
Gaycken: Ja, ganz klar. Wir sind auch im Fluss sozusagen einer anderen Bewegung, die wir noch haben in der ganzen Landschaft, und zwar haben die IT-Anwender gerade erkannt, dass sie vielleicht andere Interessen haben als die IT-Hersteller, dass viele Unternehmen, die immer IT zugekauft haben von anderen Unternehmen, jetzt gemerkt haben, dass ihnen da alles Mögliche verkauft und versprochen wurde, was dann nachher alles nicht gehalten hat, und dass sie doch für jetzt solche neuen Paradigmen wie jetzt das selbstfahrende Auto oder die Industrie 4.0 sehr viel bessere und ganz anders gebaute IT benötigen, was die IT-Hersteller aber gar nicht liefern könnten. Da gibt es also gerade so eine Selbstbestimmung, so ein Wachwerden, wo die versuchen, sich selbst zu artikulieren und dann eigene Dinge zu erfinden.
"Wir sind anwenderorientiert"
Brink: Und Sie sehen dann keine Konkurrenz zu den staatlichen Hochschulen?
Gaycken: Nein, wir haben eher so eine Nischenfunktion. Wir sind sehr, sehr anwenderorientiert, das ist halt eben auch ein Manko, das wir haben in der deutschen akademischen Landschaft, die ist sowohl in der Technik als auch in den Geisteswissenschaften immer sehr, sehr verkopft und vergeistigt und elfenbeintürmig und meist viele Jahre von der Praxis entfernt. Und da sehen wir uns halt eben auch in der Pflicht, sowohl in der Ausbildung als auch in unseren Forschungsansätzen das alles sehr viel näher in die Praxis zu bringen, das man sozusagen unmittelbar rübernehmen kann in die Industrie oder in eine Politik.
Brink: Sandro Gaycken, der Direktor des Digital Society Institute, das wird heute in Berlin feierlich eröffnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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