Deutsche Außenpolitik

Kein politischer Sonnenaufgang im Osten

Russlandfahne
Die russische Fahne in Schönau am Königssee (Bayern). © picture alliance/dpa/Foto: Peter Kneffel
Von Rolf Schneider · 24.03.2017
Vor 60 Jahren wurden die Römischen Verträge unterzeichnet, quasi die Geburtsurkunde der EU. Angesichts des desolaten Zustands der Gemeinschaft macht sich Rolf Schneider Gedanken, ob eine Ostorientierung Deutschlands nicht besser wäre?
Derzeit befindet sich die EU in keiner sonderlich guten Verfassung. 60 Jahre nach Abschluss der Römischen Verträge, ihrem Gründungsakt, wird sie heimgesucht von Auflösungserscheinungen und nationalen Egoismen. Da gibt es den Brexit. Da gibt es die Rechtspopulisten europaweit. Dann noch unternimmt Russland einiges, dies alles zu nutzen und zu verstärken, um die verhängten Sanktionen beenden und den eigenen Anspruch als globale Führungsmacht fördern zu können. Wie verhalten sich hierzu die Deutschen?
Es wird geargwöhnt, sie würden ihre Sympathien von den USA und überhaupt vom Westen abziehen wollen, um sich stattdessen den Russen zuwenden, womit sich eine alte Tradition fortsetze. Nicht bloß kurzatmige Leitartikler behaupten dies. Selbst ein angesehener Wissenschaftler wie der Berliner Historiker Heinrich August Winkler hat sich einschlägig geäußert und seine Besorgnisse mitgeteilt.

Lächerliche Bruderküsse

Dabei ist zumindest die Tradition einer politischen Freundschaft zwischen Deutschen und Russen eher schütter. Effiziente Bündnisse zwischen ihren Ländern gab es in der Vergangenheit gerade zwei: die Allianz im Kampf gegen Napoleon und die von Bismarck geschaffene Bündnispolitik. Man könnte noch den heimlichen Deal zwischen Reichswehr und Roter Armee in der Republik von Weimar dazu zählen und den Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin von 1939, der keine zwei Jahre hielt.
Dagegen stehen die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts mit Millionen von Opfern auf beiden Seiten. Dagegen stehen die Ausschreitungen russischer Soldaten bei ihrer Besetzung des besiegten Deutschland 1945. Dagegen stehen die staatlich verordneten Freundschaftsbekundungen der DDR, die kaum funktionierten, da sie von Misstrauen und leerer Äußerlichkeit bestimmt waren, mit Stalin-Kult, mit den lächerlichen Bruderküssen von Spitzenfunktionären, mit dem ungeliebten Russischunterricht an ostdeutschen Schulen.

Sympathien für autoritäre Strukturen

Bei Leuten der Linkspartei hat sich von daher ein Reflex erhalten. Manche haben in der vormaligen Sowjetunion studiert und dort Prägungen erhalten, wie der Fraktionschef Dietmar Bartsch. Er und seine Mitstreiterin Sahra Wagenknecht, letztere ohne einschlägigen biografischen Hintergrund, plädieren lautstark für eine Änderung der bundesdeutschen Russlandpolitik.
Dies tun gleichermaßen Repräsentanten der AfD. Deren Neigung speist sich aus ihrer Sympathie für autoritäre Strukturen, die sie bei Wladimir Putin vorfinden, sie speist sich aus der Erinnerung an Bismarcks Russlandpolitik, ohne zu bedenken, dass zwischen 1878 und 2017 eine nicht bloß zeitliche Differenz besteht.

Der Annäherungsverdacht ist unbegründet

Kommt noch hinzu, dass sich die russische Szene in Deutschland mit ihrem lautstarken Protest im Fall Lisa gründlich blamiert hat und seither still hält. Die russische Plattform "RT Deutsch" ist in ihrer Propaganda so diffus und zufällig, dass sie kaum Wirkung zeigt. Der Verdacht, die Bundesrepublik Deutschland könne sich politisch an Putins Russland anschließen, ist unbegründet. In anderen EU-Ländern sind entsprechende Tendenzen noch weniger anzutreffen.
Politischer Hauptinhalt der AfD bleibt der Kampf gegen Immigranten und gegen den Islam. Die Partei will die Währung Euro verlassen, aber eher nicht die EU. Für Österreichs FPÖ gilt Vergleichbares. Wenigstens hierin stimmen die beiden mit anderen Rechtspopulisten in Europa nicht überein.
Für die Zukunft der Union bedeutet dies, wie schon der Umgang mit Russland, eine Art Entlastung, freilich bloß eine geringe.

Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte.

Der ostdeutsche Schriftsteller Rolf Schneider (2000)
© picture alliance / dpa / Klaus Franke
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