Deutsch-ukrainische Städtepartnerschaften

Bochum sammelt für Donezk

Auf einem Paket mit Spenden klebt am 20.08.2014 in Bochum (Nordrhein-Westfalen) im Lager der Gesellschaft Bochum - Donezk ein Aufkleber mit der Aufschrift "für Waisenkinder".
Bochum sammelt für Bedürftige in Donezk © picture alliance / dpa / Caroline Seidel
Von Michael Frantzen · 23.04.2015
Sie verbindet einiges: die Ruhrgebietsstadt Bochum und das ukrainische Donezk. Beide sind geprägt durch Bergbau und Stahl. Doch nun herrscht in Donezk Krieg. Das bedeutet für die "Gesellschaft Bochum - Donezk" eine Menge Arbeit.
Wer suchet, der findet. Marlies Wintermeier lächelt erleichtert. Um ein Haar wäre sie jetzt an der Einfahrt zur Sammelstelle der "Gesellschaft Bochum - Donezk" vorbeigefahren. Es ist Donnerstagmorgen, kurz nach zehn. Draußen quält sich der Berufsverkehr im Schneckentempo über die Dauerbaustelle Herner Straße; drinnen, im Hof, geht die Rentnerin ans Werk. Einmal richtig ausgemistet habe sie, meint die Frau, der man ihre Mitte 70 nicht ansieht, ehe sie den Kofferraum öffnet. Sie drückt Alfred, ihrem Mann, zwei Tüten in die Hand: Kleidung, das ist nicht so schwer.
"Die Sachen sind alle erstklassig." - "Und auch sauber."
Marlies Wintermeier beugt sich über den Kofferraum. Irgendwo müssen noch die Kartons mit den "dicken Brocken" sein, den Haushaltswaren. Die ausrangierte Kaffeemaschine und der Toaster sind Spenden für die Leute in Bochums ukrainischer Partnerstadt Donezk.
"Is uns auch nen Bedürfnis. Da is so viel Armut. Ich mein, hier in Deutschland die Flüchtlinge, die sind auch arm. Aber die kriegen schon nen bisschen mehr."
Zwischen zehn und zwölf Uhr ist an der Sammelstelle im Bochumer Stadtteil Riemke immer am meisten los. Barbara Heckel, eine der Freiwilligen hier, kennt das schon. Ihr soll es nur recht sein. Däumchen drehen – das ist nichts für die pensionierte Grundschullehrerin.
"Das ist jetzt keine Zwangsmaßnahme."
Auf die Leute im Ruhrgebiet ist Verlass
Das mit ihrem ehrenamtlichen Engagement. Die Frau mit dem pechschwarzen Haar geht die Rampe hoch, Richtung Lagerhalle, wo sich die Tüten und Kartons nur so stapeln. Vorsichtig holt Barbara Heckel aus einer Plastiktüte diverse Pullover und Blusen heraus. Die Wintermeiers haben nicht übertrieben: Die Sachen sind tatsächlich Eins-A in Schuss. Heckel lacht: "Auf die Leute im Ruhrgebiet ist halt Verlass." Besonders jetzt, wo kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein Hilferuf aus Donezk eintrifft. Mögen die Waffen in der eine Million Einwohner zählenden Bergarbeiterstadt auch wieder schweigen: Die Bevölkerung leidet weiter. Überall herrscht Mangel. Die Krankenhäuser etwa: Sind zwar noch geöffnet, aber nur noch bedingt funktionsfähig. Deshalb haben die Bochumer jetzt auch medizinische Geräte auf die 3000 Kilometer lange Reise gen Osten geschickt.
"Zum Beispiel Rollstühle. Rollatoren. Gehstützen. Auch medizinische Hilfsmittel wie Verbände. Manchmal haben wa auch Windeln und Einlagen. Was man halt auch so im Krankenhaus gebrauchen kann."
"Die neue Forderung is jetzt Elektroplatten oder Herdplatten."
Ergänzt Walter Spiller, einer der Gründungsmitglieder der "Gesellschaft Bochum - Donezk".
"Jetzt haben die Bedarf, weil: Die Leute wohnen irgendwo im Keller und haben keinen Ofen mehr. Der is eventuell oben zerschossen worden. Und da schicken wir eben was möglich is runter."
Ende März ist der letzte LKW nach Donezk gefahren. Es wurde auch Zeit: Das Lager war voll – so voll, dass potentielle Spender nach Hause geschickt werden mussten: keine Kapazität mehr. Wochenlang ging das so. Weil es zu gefährlich war, einen Brummi in das Bürgerkriegsgebiet zu schicken. Vor gut anderthalb Wochen dann Entwarnung: Die Lage hat sich halbwegs entspannt, die Spenden können kommen – wenn auch auf Umwegen.
"Das geht nicht direkt nach Donezk. Wir haben da unten ja auch eine Organisation, mit denen wir seit zwanzig Jahren zusammen arbeiten. Solidarfond schimpft der sich. Die sind ausgewichen nach Mariupol. Das ist etwas südlich von Donezk. Und haben von da aus auch erst mal versucht, die Ware nach Donezk zu kriegen; sind mit Privat-PKW da runtergefahren und haben für Krankenhäuser, Waisenhäuser was mitgenommen."

Waltraud Jachnow, Ehrenvorsitzende der Gesellschaft Bochum-Donezk stapelt am 20.08.2014 in Bochum (Nordrhein-Westfalen) im Lager Kisten mit Spenden.
Waltraud Jachnow, Ehrenvorsitzende der Gesellschaft Bochum-Donezk, stapelt Kisten.© picture alliance / dpa / Caroline Seidel
Lange Tradition der Freundschaft zwischen Bochum und Donezk
Das hätten sich die Gründer der "Gesellschaft Bochum - Donezk" auch nicht träumen lassen, bei der Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages zwischen beiden Städten – im März 1987, noch zu Zeiten des Kalten Krieges: Dass es einmal so weit kommen würde. Waltraud Jachnow schüttelt im Büro der Sammelstelle den Kopf. Die studierte Slawistin ist von Anfang an dabei. Um Austausch und Versöhnung ging es ihnen damals. Dazu muss man wissen, dass während des Zweiten Weltkriegs Tausende ukrainische Zwangsarbeiter in Bochumer Schächten und Stahlwerken schuften mussten. Und jetzt das. Krieg. Mehr als 6000 Tote. Donezk in der Hand pro-russischer Rebellen. So ganz kann es die Ehrenvorsitzende immer noch nicht fassen. Viele ihrer ukrainischen Freunde sind geflüchtet, andere in der Stadt geblieben – zwangsweise.
"Es sind sehr viele alte Leute. Es sind sehr viele Familien, auch mit Kindern, die nicht wussten wohin. Es ist ja nicht so gewesen, dass die ukrainische Regierung jetzt die Evakuierung der Flüchtlinge organisiert hätte. Wer irgendwie ne Möglichkeit hatte außerhalb zu wohnen, der ist dann eben gegangen; wer Verwandte hatte. Viele sind auch nach Russland gegangen. Weil da natürlich auch Verwandtschaft ist. Man darf sich das nicht so vorstellen, dass das nen total abgeschlossenes Gebiet is. Natürlich haben die auch Verwandte in Russland."
Fast täglich erhält Waltraud Jachnow Emails aus der Ost-Ukraine – entweder auf Deutsch, von ukrainischen Freunden, die mit der Zeit Deutsch gelernt haben. Oder auf Russisch, hauptsächlich von ethnischen Russen, die in Donezk immer schon in der Mehrheit waren.
"Das Internet funktioniert bis jetzt noch. Man kann also auch skypen. Und man kann auch normal telefonieren."
Mit den Freunden aus dem Donbass telefoniert hat auch Walter Spiller, aber das ist schon länger her. E-Mail schreiben ist einfacher.
"Bei den Freunden is es natürlich: Die sind mehr auf die russische Seite. Die schimpfen über die ukrainische Regierung. Das is natürlich das Problem, dass man denen auch mal klar machen muss: Die Russen sind diejenigen, die da was angefangen haben."
Auch nicht immer einfach: Da den richtigen Ton zu finden. Waltraud Jachnow kennt das Dilemma. Eines aber will die resolute Bochumerin auf keinen Fall: Sich vereinnahmen lassen – weder von der russischen noch von der ukrainischen Seite.
"Die Propaganda ist auf beiden Seiten. Ich würde auch sagen, dass nicht nur die russisch-Stämmigen in Donezk häufig auf russischer Seite sind, sondern durchaus Ukrainer auch. Sie fühlen sich auch verlassen und verraten von dieser ukrainischen Regierung. Plötzlich werden keine Zahlungen mehr gemacht, werden alle Institutionen abgezogen. Man droht sogar, von ukrainischer Seite, dass sie in die Ukraine gehen sollen."
Vor allem Rentnern geht es schlecht
Der Alltag in Donezk: Er ist schwierig geworden, sehr schwierig. Am schlimmsten hat es die Rentner getroffen. Seit November überweist die ukrainische Regierung keine Renten mehr nach Donezk. Ihr Geld können die Betroffenen nur außerhalb des Rebellengebiets abholen – was angesichts der Blockade durch die ukrainischen Truppen so gut wie unmöglich ist. Immerhin gibt es jetzt einen Hoffnungsschimmer: Seit Anfang April zahlen die Rebellen die Renten aus – in russischen Rubeln. Zumindest etwas, meint Walter Spiller. In Zeiten wie diesen.
"Wir sind sieben Mal – meine Frau und ich – da unten gewesen. Und haben herrliche Kontakte da gehabt. Wir haben mit den Leuten zusammen gefeiert. Haben gesungen. Wir haben nie gehört: Da: Das sind die Russen. Das sind die Ukrainer. Die lebten einfach zusammen."
"Ich würde sogar so weit gehen: Vor gut einem Jahr war es noch nicht mal richtig vorstellbar, dass sich das so entwickelt. Dass es zu DIESEN Auseinandersetzungen, zu DIESEN Konflikten kommt, das hat keiner gedacht, auch von unseren Freunden, die sie jetzt fragen. Nein, das ist über uns gekommen wie ein böser Traum."
Die Solidarität im Ruhrgebiet – sie nimmt kein Ende. Bücher, Schultafeln, Spielzeug-Puppen: Im Zehn-Minuten-Takt trudeln die Spenden ein. Walter Spiller schaut nach hinten, in die Lagerhalle. Eigentlich wollte der Rentner gerade eine Verschnaufpause einlegen, doch daraus wird nichts: Die fünf anderen Freiwilligen haben auch schon alle Hände voll zu tun.
"Unser Altersdurchschnitt ist jetzt im Moment so 74 aufwärts. Wir freuen uns natürlich über jede jungen Leute, die uns da mithelfen. Das ist das Altersproblem, was dann auf uns zukommt."
Es ist nicht das einzige Problem, dass den Verein in letzter Zeit plagt. Geldspenden nach Donezk zu überweisen – das geht schon lange nicht mehr. Ab und zu geben sie den LKW-Fahrern, die in ihrem Auftrag in die Ost-Ukraine fahren, Bargeld mit, für die Kranken- und Waisenhäuser. Aber das ist auf Dauer auch keine Lösung. Und dann ist da noch die Ungewissheit, die an allen nagt. Natürlich wissen auch Spiller und Co, dass der Waffenstillstand in der Ost-Ukraine ein brüchiger ist; dass Kritiker sagen, das Minsker Abkommen zwischen Russland und der Ukraine sei das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt sei. Doch den Kopf hängen lassen will keiner der Bochumer, schon gar nicht Waltraud Jachnow. Die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes nickt energisch. Ihre ukrainischen Freunde im Stich lassen: Das geht gar nicht. Irgendwie wird es schon weiter gehen. Es muss.
"Der letzte Brief jetzt Leiter des Sozialfonds, der jetzt aber bei Kiew lebt,...der schrieb eben: Sie wissen noch gar nicht, ob sie das in Donezk selbst weiterführen und ob er auch Lebensmittel an Flüchtlinge ausgeben darf – woanders. Da müssen ganz neue Überlegungen von uns kommen."
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