Deutsch-türkisches Stück

Letzte Hoffnung Theater

Roberto Ciulli, Theaterregisseur, Gründer und Künstlerischer Leiter des Theater an der Ruhr in Mülheim an der Ruhr.
Roberto Ciulli, Theaterregisseur, Gründer und Künstlerischer Leiter des Theater an der Ruhr in Mülheim an der Ruhr. © picture-alliance/dpa
Von Stefan Keim · 14.11.2014
Die freie Gruppe "kumbaraci 50" erhält in ihrer türkischen Heimat keine staatliche Unterstützung. Die Schauspieler sind in ihrer Existenz bedroht und thematisieren das in der mit dem Theater an der Ruhr in Mülheim durchgeführten Inszenierung von "Economania".
Die Zusammenarbeit mit internationalen Theatern ist ein Schwerpunkt des Theaters an der Ruhr in Mülheim. Nun hat Intendant Roberto Ciulli zusammen mit der Gruppe kumbaraci 50 aus Istanbul das Stück "Economania" inszeniert, zweisprachig auf Türkisch und Deutsch.
Kritische Intellektuelle gelten der türkischen Regierung als Störenfriede
Die Bühne ist ein Müllhaufen. Menschen liegen darin und stopfen den Abfall in sich hinein. Sie ernähren sich von den Stoff- und Papierresten. Manchmal erstarren sie. Wuchtige Schritte donnern aus den Lautsprechern. Das sind die Riesen, die Mächtigen, Wesen, die noch keiner zu Gesicht bekommen hat. Die Grundidee für sein Stück "Economania" hat der türkische Autor, Regisseur und Schauspieler Yigit Sertdemir von Luigi Pirandello entlehnt. In dessen Theaterstück "Die Riesen vom Berge" versucht eine Schauspieltruppe, die Herzen der Barbaren zu erreichen. Auch aus dem Müllhaufen in Mülheim erheben sich plötzlich Schauspieler. In blendend weißen Kostümen und Puderperücken wie aus dem 18. Jahrhundert. Sie haben lange geschlafen sagen sie.
Die Schauspieler verbünden sich mit den Müllmenschen. Gemeinsam probieren sie die Handwerkerszene aus William Shakespeares "Sommernachtstraum", um sie den Riesen vorzuspielen. Ob sie Erfolg haben, verrät das Stück "Economania" nicht. Immerhin bringen die Theatermacher Leben und Sinnesfreude auf die Halde. In der Türkei wird gerade die Kulturszene von der Regierung Erdogan ausgehungert. Sogar für das Nationaltheater gibt es kaum noch Geld, die freie Gruppe "kumbaraci 50" bekam noch nie Unterstützung. Die Islamisierung der Gesellschaft schreitet voran, kritische Intellektuelle gelten als Störenfriede. Für die türkischen Schauspieler geht es um die Existenz. "Economania" beschreibt das Theaterspiel als letzte Hoffnung einer sterbenden Zivilisation.
Roberto Ciulli schafft starke Stimmungen
Die deutschen und türkischen Schauspieler sind zu einem perfekt aufeinander abgestimmten Ensemble zusammen gewachsen. Der zweisprachige Recai Hallac, der das Stück auch übersetzt hat, bildet als "der Gedächtnissklave" so etwas wie das Scharnier der Aufführung. Nur sein Kopf mit schwarz geschminkten Augen und wild abstehenden Haaren ragt aus dem Müllberg heraus. Regisseur Roberto Ciulli schafft starke Stimmungen, der Musiker Matthias Flake untermalt die Bilder, indem er auf Gegenstände klopft und trommelt. Solange die Sprache Fragment bleibt, ist "Economania" eine faszinierende Aufführung. Doch dann werden die Texte zu dominant, vor allem die langen Shakespeare-Zitate lenken ab. Am Ende, wenn die Schauspieler müde von der Probe auf ihren Auftritt vor den Riesen warten, findet die 75 Minuten kurze Inszenierung zu sich selbst zurück. Eine groteske, berührende Mahnung vor dem Verfall einer Kulturgesellschaft.
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