Deutsch-deutsche Geschichte

Das Päckchen nach drüben

Weihnachtsgeschenke
Das Päckchen nach drüben zeugte von den engen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Ost und West. © picture alliance / dpa / Malte Christians
Von Dieter Bub  · 17.12.2014
"Auch Ostkinder warten auf das Christkind", schrieb die "Zeit" 1954. Daher schickten viele Wessis Jahr für Jahr Päckchen zu den Verwandten in der DDR. Kaffee, Orangen, Strumpfhosen, Rasierklingen - Waren für viele hundert D-Mark gingen nach "drüben". Doch nicht alles kam an.
"Es waren drin: Kaffee, Orangen, Margarine, Palmin, Mandeln, Strumpfhosen, Rasierklingen, Puddingpulver, Schokolade, Marzipanbrote, alles Leckereien. Weihnachten hauptsächlich Backzutaten, Rosinen, Zitronat, Orangeade. Dann haben meine Großeltern auch mal Dralondecken und Pullover gekriegt. Das ist das, was wir so rübergeschickt haben."
Die Weihnachtspäckchen nach drüben waren für die Familie von Bärbel Gruber aus Herleshausen selbstverständlich. "Drüben" lebten die Eltern mit acht Geschwistern, alle wurden reichlich beschenkt – von ganzem Herzen. Jedes Paket fünf Kilo schwer. Es ging ins Geld. Der Solidaritätszuschlag als Liebesgabe - lange vor der Einheit.
"Wenn meine Mutter dann losgegangen ist – ein paar hundert D-Mark waren dann in den Paketen. Wir waren drei Geschwister zu Hause, ich habe noch einen größeren und kleineren Bruder, das wäre für eine Familie fast ein Jahresurlaub gewesen, was da in die Pakete gepackt wurde."
Manches Westpaket führte die DDR-Zollbeamten in Versuchung
Nach dem Krieg hatten die Deutschen im Westen als Geste der Versöhnung Care-Pakete aus den USA bekommen. Nun waren sie es, die an die armen Brüder und Schwestern "Päckchen nach drüben" schicken konnten. Die "Zeit" appellierte 1954 an das West-Gewissen unter der Überschrift: "Auch Ostkinder warten auf das Christkind."
Antje Ansorge, die 1956 in die Bundesrepublik geflüchtet war, schickte bereits kurz danach die ersten Pakete nach Halle, an ihren Vater und ihre Freundin. Später gab es noch einen dritten Empfänger. Bei einem Klassentreffen in Halle begegnete sie ihrer Jugendliebe Almer Almers.
"Da haben wir die alte Zuneigung füreinander entdeckt und ich habe ihm dann auch Pakete geschickt. Denn er war ein Mensch mit einem guten und einem großen Appetit und freute sich an guten Esssachen. Ich habe dann eines Tages auch zwei Bücher geschickt, nämlich von Ester Vilar 'Der dressierte Mann' und von Alice Schwarzer 'Der kleine Unterschied'. Und dieses Päckchen kam zurück. Die DDR–Behörden hatten mir da mitgeteilt: Die sind in der DDR nicht erwünscht, diese Bücher. Die vertragen sich nicht mit dem sozialistischen Persönlichkeitsbild."
Die unerwünschten Schriften aus der Frauenbewegung West rührten selbst die Kontrolleure nicht an. Der Besitz von Westdruckerzeugnissen war verboten. Sonst aber führte so manches geöffnete Westpaket die DDR-Zoll-Beamten in Versuchung. So kam es vor, dass Kaffee, Seife oder Schokolade fehlten, wenn das Paket beim Empfänger ankam. Bärbel Gruber, die damals in Herleshausen wohnte:
"Ich kann mich erinnern, als es '74 die Fußball-WM gab, da gab es von der Firma Sprengel Schokolade. Und da drin waren Bilder von den Fußballspielern. Das Paket war auf - und die Bilder waren weg aus den Schokoladentafeln."
Mit einem VW Käfer durch die DDR
Es gab in der DDR Familien, die sich viele Wünsche erfüllen konnten. Sie verfügten, wie die Bergmanns aus Wittenberg, in der Bundesrepublik über ein D-Mark-Konto. Die Großmutter hatte für den Verlust eines Hauses in Böhmen einen Lastenausgleich bekommen, den sie unter ihren Kindern verteilte. Jeder Sohn erhielt 5000 bis 6000 D-Mark.
"Von diesem Geld haben wir ein paar Jahre unsere Wünsche geäußert, ob das nun Stiefel im Winter waren, eine Skihose, ein Pullover und alles Mögliche. Dann hat mein Vater irgendwann die Reißleine gezogen und gesagt, so geht das nicht weiter, dann ist das Geld bald alle, jetzt ist Stopp und Schluss. Er hat es geschafft, was mir heute noch wie ein Wunder vorkommt, 1968 einen VW Käfer für dieses letzte Restgeld zu kaufen. Und das hat dann mein Großonkel mit meinem Cousin auch gebracht."

Und so fuhr die Familie bis 1989 mit einem VW Käfer durch die DDR.
Das Päckchen nach drüben zeugte von den engen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Ost und West. Oft wurden die Geschenke aus der Bundesrepublik mit eigenen Paketen erwidert. Wobei es für DDR-Bürger bei der Mangelwirtschaft weit schwieriger war, das Passende zu finden: Räuchermännchen, Nussknacker und Schwippbögen für Kerzen. Miniaturengel aus Seifen, Weihnachtspyramiden, Kräuterschnaps wie Lutheraner aus Wittenberg, Lebkuchen aus Pulsnitz und original Dresdner Stollen. Thomas Eckhoff aus Berlin:
"Als ich damals '69 als junger Mann nach Berlin kam und bei Siemens angefangen hatte, da war es so, dass Siemens natürlich viele Dinge hatte, die die DDR brauchte, Kommunikation vor allem, aber auch Energietechnik und Installationstechnik und viele Produkte, aber kein Geld hatte. Und dann ging es los, dass Siemens auch Waren aus der DDR importiert hatte, und so kam es, dass zeitweilig Siemens der größte Importeur von Eiern und Marmelade und derartigen Dingen war.
Das war typisch für die damalige Zeit. Als ich dann Jahre später in der Konzernzentrale in München war, da war es noch so, dass Weihnachten Bestelllisten herumgingen, weil man aus der DDR, damals aus Dresden, den guten Christstollen bestellen konnte. Der war fantastisch und wirklich gut und auch sehr preiswert."
Unmittelbar nach der Wende landeten die Westwaren schon im Konsum-Regal
All das ging 1989 zu Ende.
"Für Weihnachten wurden noch Pakete gepackt. Das haben meine Eltern noch gemacht. Das weiß ich noch."
Aber wer in der DDR Westwaren haben wollte, fand die ersten bereits im Konsum-Regal – wie in Milmersdorf in der Uckermark.
Verkäuferin: "Die Westwaren, das ist alles gleich nach der Wende angeliefert worden. Da haben wir alles bekommen."
Aber damals wurde alles noch mit Mark der DDR bezahlt?
"Ja, bis nachher die Währungsunion kam. Die Einwohner hatten ja och genug Geld. Das war ja auch nicht teuer. Die Kunden haben sich das einfach jeleistet. Am Anfang kamen nur bestimmte Waren, bis dann das ganze Sortiment kam."
Dieter Bub war von 1979 bis 1983 Korrespondent des Magazins "Stern" in der DDR - dann sorgte die SED für seine Ausweisung. Heute lebt er in der Uckermark.
Der Publizist und Buchautor Dieter Bub.
Der Publizist und Buchautor Dieter Bub.© Privat
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