Deutsch-Algerische Handelskammer: Firmen reagieren besonnen auf Geiselnahme

Moderation: Nana Brink · 19.01.2013
Nach der Geiselnahme in einer Gasförderanlage würden Firmen in Algerien zwar ihre Sicherheitsvorkehrungen prüfen, sagt der Chef der Deutsch-Algerischen Industrie- und Handelskammer, Christoph Partsch. Man gehe jedoch nicht davon aus, dass es weitere Aktionen geben wird.
Nana Brink: Anscheinend ist das Geiseldrama in einer Erdgasanlage von BP in der südlichen Sahara bei einer algerischen Militäraktion noch nicht befreit worden. Das Drama ist also noch nicht zu Ende, die Nachrichtenagenturen sprechen von mindestens 12 Toten, bis zu 30 könnten es auch sein, die Lage ist weiterhin unklar. Hunderte Leben seien aber gerettet worden, und eine Katastrophe in der Öl- und Gasindustrie verhindert, so behaupten zumindest algerische Sicherheitskreise.

Die Franzosen halten sich bislang zurück, werten den Anschlag der Islamisten nicht als Racheakt auf ihr Eingreifen im Nachbarstaat Mali. Dennoch bleibt die Frage: Wer profitiert eigentlich von den reichen Öl- und Gasvorkommen in Algerien? Und darüber möchte ich jetzt sprechen mit Christoph Partsch, Geschäftsführer der deutsch-algerischen Industrie- und Handelskammer mit Sitz in Algier. Schönen guten Morgen, Herr Partsch!

Christoph Partsch: Schönen guten Morgen!

Brink: Sie sind gerade aus Algier zurückgekehrt nach Deutschland, haben also die letzten Entwicklungen noch verfolgen können. Was ist denn das für eine Gasanlage, wo sich das Geiseldrama abgespielt hat?

Partsch: Ja, in Algerien gibt es verschiedene Öl- und Gasfelder und in In Amenas, das liegt etwa 1.600 Kilometer südlich von Algier, befindet sich diese Anlage, die jetzt angegriffen worden ist. Sie wird betrieben von dem staatlichen Monopolisten SONATRACH zusammen mit der norwegischen Firma Statoil und BP.

Brink: Ist das eine übliche Kooperation? Kann man also sagen, das ist eine typische Gasanlage in Algerien?

Partsch: Ja, das ist eine ganz typische - eine der größten Anlagen, und von der Zusammensetzung ist das auch typisch, weil das algerische Recht vorschreibt, dass der algerische Partner, die SONATRACH, immer 51 Prozent hat.

Brink: Und dann können ausländische Investoren dazukommen. Ich möchte noch mal ein bisschen dort bleiben: Die ersten Meldungen erreichen uns jetzt, dass die Ölfirmen zunehmend ihre Mitarbeiter abziehen. Haben Sie davon auch Kenntnis?

Partsch: Das stimmt für BP, ich habe es nicht von anderen gehört, viele überprüfen natürlich ihre Sicherheitsvorkehrungen oder senden keine weiteren Personen im Moment nach Algerien. Die Firmen, mit denen ich gesprochen habe, haben aber sehr besonnen darauf reagiert und prüfen erst mal die Sicherheitslage. Und zu mehr besteht nach meiner Meinung auch kein Anlass.

Brink: Ist Algerien denn komplett abhängig vom Ölgeschäft? Das ist ja doch eine Nachricht, die uns etwas überrascht hat. Jemand, der sich noch nicht näher mit diesem Land beschäftigt hat, war überrascht zu sehen, dass das eigentlich einer der größten Ölexporteure ist.

Partsch: Ja, das Land ist etwas unbekannt - zu Unrecht - in Deutschland. Es ist völlig abhängig von Erdöl und Erdgas, also um es genau zu sagen, 99,6 Prozent der Exporte dieses Landes bestehen aus Erdöl, Erdgas und anderen Produkten, also Derivaten. Das heißt, man ist völlig abhängig von der Erdgas- und Erdölproduktion.

Brink: Wie ist die organisiert, wie muss ich mir das vorstellen? Sie haben ja schon von der staatlichen Ölgesellschaft SONATRACH gesprochen.

Partsch: Ja, und die SONATRACH ist das große Monopolunternehmen, das bedeutendste Unternehmen ganz Afrikas. Die ist beauftragt damit, die Explorationen zu vergeben, da werden dann Ausschreibungen gemacht, und daran können sich dann auch ausländische Firmen beteiligen, und fast alle Erdöl- und Erdgasförderfirmen haben sich daran beteiligt, denen werden dann irgendwelche Lots im Lande zugeschrieben, die können sie explorieren und dann ...

Brink: Also ausbeuten?

Partsch: ... zusammen mit der SONATRACH ausbeuten.

Brink: Wie muss ich mir das ganz konkret vorstellen? Klopfen die dann bei denen an der Tür in Algier, wie funktioniert so ein Geschäft?

Partsch: Ja, sehr unterschiedlich. Hauptsächlich werden solche Lots eben ganz offiziell ausgeschrieben, das kann man in den Zeitungen ...

Brink: Also Lots sind die Felder?

Partsch: ... die Felder, und es wird in den Zeitungen Algeriens ausgeschrieben. Ich habe noch keine wirkliche Ausschreibung in den ausländischen Zeitungen gesehen. Sämtliche Erdöl- und Erdgasfirmen sind aber in Algier vertreten oder lassen das unter anderem, zum Beispiel durch die AAK regelmäßig screenen. Wir machen also Dienstleistung, indem wir unsere Kunden, aber auch Dritte, über solche Ausschreibungen informieren. Und dann können sich die Interessenten an der Ausschreibung beteiligen.

Brink: Was haben Sie denn für Kunden? Wer ist denn das bei Ihnen?

Partsch: Ja, unter anderem Unternehmen im Erdgasgeschäft, die sich auch für so etwas interessieren, und natürlich auch viele Zulieferer, die sich dann für die entsprechenden Dienstleistungen rechts und links davon bewerben, das ist ja ein sehr, sehr großes Geschäft.

Brink: Sie haben es ja schon erwähnt in Ihren Ausführungen, dass die Ölfirmen sehr besonnen reagieren. Also nimmt man dieses Geiseldrama nicht wirklich zur Kenntnis oder zieht keine Konsequenzen daraus, weil das Geschäft so groß ist?

Partsch: Nein, im Gegenteil. Man nimmt das natürlich sehr wohl zur Kenntnis, aber die Nachrichtenlage ist ja sehr intransparent. Es wird also auch vermutet, dass ein erheblicher krimineller Hintergrund bei diesen Banden, die jetzt In Amenas überfallen haben, dabei ist. Der Chef Mughda bel Mughda ist ja auch eher bekannt geworden in den letzten Jahren durch Zigarettenschmuggel denn durch politische Aktionen. Man hält das ganze für eine sehr isolierte Aktion, die also keinerlei Anfangscharakter oder Vorbildcharakter für andere haben kann. Das sehen Sie auch ein bisschen daraus, wie der algerische Staat das ganze einschätzt. Wenn Sie ...

Brink: Und wie ... ja?

Partsch: Wenn Sie in Algier rumfahren, können Sie die politische Lage immer sehr gut an der Anzahl der Polizisten, die auf der Straße stationiert sind, erkennen. Da hat es also im vergangenen Jahr zwei interne Krisen gegeben, da wurde die Anzahl der Polizisten schlagartig sicher vervierfacht. Das ist in den letzten Tagen völlig unterblieben, das heißt, der algerische Staat schätzt das ebenfalls als eine sehr, sehr begrenzte Aktion ein.

Brink: Wenn man sich anguckt, dass, wie Sie ja schon erwähnt haben, über 99 Prozent eigentlich auch der wirtschaftlichen Leistung des Landes von diesem Öl und diesem Gas irgendwie abhängen, komme ich zu meiner letzten Frage: Wie mächtig ist denn diese staatliche Ölgesellschaft?

Partsch: Die ist natürlich sehr, sehr mächtig. Sie untersteht aber einem Ministerium, und der Minister Yousfi des Ministeriums der Energie und der Minen steht also dieser Gesellschaft vor. Darüber gibt es den Premierminister und den Staatspräsidenten - natürlich ist das eine sehr wirtschaftlich mächtige Gesellschaft, aber wie Sie sehen, auch die muss eben mit einer solchen Situation kämpfen.

Brink: Aber das Geld, was sie verdient, kommt nicht bei den Leuten unten im Land an?

Partsch: Nur zum Teil, zu einem sehr geringen Teil, und das ist natürlich ein Grundproblem dieses Staats wie aller Erdölländer, dass natürlich die Verteilung sehr ungerecht ist.

Brink: Christoph Partsch, Geschäftsführer der deutsch-algerischen Industrie- und Handelskammer mit Sitz in Algier. Schönen Dank, Herr Partsch, für das Gespräch!

Partsch: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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