Deutsch 3.0

Keine Angst vor neuen Wörtern!

Heinrich Detering im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 29.01.2014
Menschen, die zusammen eine Sprache sprechen, tun das fantasievoll und schöpferisch. Wenn manche Philologen glauben, sie könnten mit Vorschriften den Einzug von Anglizismen oder Neologismen in die deutsche Sprache verhindern – dann irren sie sich, meint Heinrich Detering. Er ist der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Matthias Hanselmann: Weit über zwei Drittel der Deutschen meine, es müsse mehr für die deutsche Sprache getan werden. In Wirtschaft und Wissenschaft wird ohnehin fast nur noch Englisch gesprochen, und die Globalisierung führt nicht nur Menschen, sondern auch Sprachen ins Land. Und im Internet, da entwickelt sich dazu ein ganz eigner Sprachgebrauch. Wie also sieht das Deutsch der Zukunft aus, und wie soll es aussehen? Verstehen wir uns eigentlich noch richtig? Eine illustre Runde hat sich zusammengetan, die das ganze Jahr 2014 hindurch zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über solche Fragen anregen will. Da ist das Goethe-Institut, der Duden, das Institut für Deutsche Sprache und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. "Deutsch 3.0" heißt diese Aktion, und die startet heute unter anderem mit einem Impulsvortrag des Philologen Heinrich Detering. Mit ihm spreche ich jetzt. Willkommen im Radiofeuilleton, Herr Detering!
Heinrich Detering: Dankeschön!
Hanselmann: Gestern ist gerade der Anglizismus des Jahres gewählt worden. Es handelt sich um das Wörtchen "gate", das als Nachsilbe Anfang der Siebziger durch den Watergate-Skandal bekannt wurde. Heute gibt es das "gate" in unglaublichen Kombinationen, wie zum Beispiel das "Brüderlegate", "Handygate" oder "Krippengate". Also eigentlich für fast alles, was öffentlich und manchmal auch noch skandalträchtig diskutiert wird.
Herr Detering, haben Sprachwissenschaftler im Jahr 2014 halbwegs einen Überblick, wie viele Anglizismen es im Deutschen gerade gibt?
"Anglizismen, die sich nicht durchsetzen, verschwinden"
Detering: Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, deren Präsident ich ja auch bin, hat vor wenigen Wochen zusammen mit der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften einen Bericht zur Lage der deutschen Sprache vorgelegt. Und darin spielen die Anglizismen eine wesentliche Rolle. Es zeigt sich darin eine sehr interessante Entwicklung: Einerseits werden Anglizismen, die den Sprechern aufgezwungen werden sollen, durch Werbetreibende, durch Institutionen wie die Deutsche Bahn oder die Telekom - die werden einfach wieder ausgeschieden, wenn sie sich nicht durchsetzen. Die Sprachgemeinschaft akzeptiert sie nicht und wenn sie ihr noch so sehr eingebläut werden sollen.
Andererseits gibt es Anglizismen, wie die zum Beispiel die von Ihnen genannten, die sich durchsetzen, obwohl man eigentlich niemanden benennen könnte, der sie initiiert hat. Es ist einfach so gekommen, es ist eine fantasievolle, schöpferische Leistung der Sprachgemeinschaft. Man kann so etwas erst mit Abstand von einigen Jahren nachzählen und messen. Im Bericht zur Lage der deutschen Sprache haben wir das immerhin für die letzten 100 Jahre getan und zwar insgesamt eine gewisse Zunahme von Anglizismen beobachtet, aber auch eine Wellenbewegung von neuen und wieder ausgeschiedenen und wiederkehrenden Ausdrücken.
Hanselmann: Sind Sie auf Kriterien gestoßen, nach denen unsere Sprachgemeinschaft diese Wörter entweder annimmt oder ablehnt?
Detering: Ja, auf eine ganze Reihe, und zwei davon scheinen mir besonders wichtig zu sein: Das eine sind natürlich, wie immer, wenn neue Wörter in eine Sprache aufgenommen werden, Bezeichnungen für neue Gegenstände. So ähnlich ist dies ja auch mit dem Eskimo-Wort Anorak oder dem arabischen Wort Joghurt oder dem japanischen Wort Sudoku geschehen. Da gibt es in der Welt der Wirtschaft, der Finanzmärkte, der Medien, der Computer, der Wissenschaften eine Fülle von Neubildungen für aus dem amerikanischen Bereich stammende Errungenschaften.
Das andere aber, was ich noch interessanter finde, sind die ökonomischen Ausdrücke des Englischen, das ja sehr viel silbenärmer ist als das Deutsche. Man kann im Englischen statt "Beruf", was zweisilbig ist, "Job" sagen, was einsilbig ist und außerdem noch eine ein klein wenig andere Bedeutung hat. Häufig empfehlen sich die englischen Ausdrücke durch ihre Knappheit. Denken Sie an T-Shirt. Ein "Unterhemd mit kurzen Ärmeln" oder "kurzärmliges Unterhemd" ist unter allen Umständen länger und langwieriger als das knappe und elegante T-Shirt.
Hanselmann: Also nehmen wir Wörter aus Faulheit auf?
Detering: Aus Sprachökonomie würde ich sagen, denn diese Faulheit hat uns eigentlich immer bestimmt. Sie hat zur Entstehung der deutschen Phonetik beigetragen, sie hat dazu beigetragen, dass wir zwei Lautverschiebungen erlebt haben und nicht mehr so sprechen wie unsere althochdeutschen Vorfahren.
Hanselmann: Was würden Sie allgemein sagen, wenn sich Mehrsprachigkeit in der deutschen Sprache breitmacht, wenn sie in dieselbe diffundiert? Ist das eine Chance für unsere so genannte Muttersprache?
"Nicht bei jedem neuen Wort Alarm schreien"
Detering: Ich würde sagen, das ist es in jedem Fall. Und mein hauptsächlicher Appell im so genannten Impulsvortrag geht ja auch dahin, größeres Zutrauen zu haben in die Lebenskraft dessen, was die Linguisten eine Sprachgemeinschaft nennen, und nicht immer bei jedem neuen Wort oder jeder grammatischen Wandlung gleich 'Alarm' oder 'Weltuntergang' zu schreien.
Ich würde allerdings sagen, dass das Wort Mehrsprachigkeit unterschieden werden muss. Wenn wir neue Wörter aufnehmen im Deutschen, sei es als Fremdwörter, sei es als Lehnwörter oder sei es als Lehnübersetzungen wie "herunterladen" für "download", dann ist das ein Vorgang, der sich im Ergebnis nur in einer Sprache niederschlägt: Das Deutsche reichert sich an oder verändert sich.
Etwas anderes ist Mehrsprachigkeit im strikten Sinne, wenn tatsächlich die Sprecher einer Sprachgemeinschaft in der Lage sind, eine andere Sprache einigermaßen gut im Hören und im Sprechen zu beherrschen. Da gibt es bei uns sicher noch Nachholbedarf etwa im Umgang mit dem Englischen, das unsere kleineren Nachbarländer etwa durch die Untertitelung von Fernsehsendungen oder Kinofilmen viel besser im Ohr und auf der Zunge haben als wir. Ähnliches würde sich auch für andere Sprachen sagen lassen, etwa für das Französische oder das Türkische – Sprachen, mit denen wir immer stärker in kulturelle, politische und ökonomische Beziehungen kommen.
Hanselmann: Wenn Sie das Französische gerade ansprechen - halten Sie denn überhaupt etwas von, sagen wir mal Schutzmaßnahmen für eine Sprache, so wie sie sie die Franzosen ja zum Beispiel betreiben?
Detering: Da zeigen schon die Erfahrungen aus Frankreich, dass die Durchsetzungsfähigkeit solcher vermeintlicher Schutzmaßnahmen viel geringer ist, als ihre Urheber oft glauben. Uns in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung wird ja gelegentlich vorgeschlagen, wir sollten doch auch solche Wörterlisten erstellen wie es die Académie Française tut. Und es zeigt sich durch empirische Forschung im französischen Sprachraum, dass sich im tatsächlich gesprochenen Französisch sehr viel weniger von dem durchsetzt, was sich einige Akademiker noch so wohlmeinend ausgedacht haben, als die sich wünschen.
Andererseits muss man sagen, dass sich manches von dem, was in Frankreich etwa von der Académie vorgeschlagen, ja vorgeschrieben wurde, sich in der deutschen Sprache ganz von selbst etabliert hat. Früher hieß es "einen Download machen", dann hieß es "downloaden", lso schon in deutscher grammatischer Flexion, nur mit einer englischen Wurzel. Und heute sagt man "herunterladen" – das hat sich ganz von selbst ergeben, ohne dass jemand eine Vorschriftenliste gemacht hätte.
Hanselmann: Also, da ist ein ganz kreativer Prozess im Gange innerhalb einer Sprache, wie die verschiedenen ausländische Vokabeln aufgenommen werden und sich dann letztlich darstellen in der Sprache.
"Kein Mensch würde heute mehr 'Windauge' sagen"
Detering: So ist es. Und das ist immer schon so geschehen. Kein Mensch würde heute mehr "Windauge” sagen, selbst der Konservativste nicht, sondern wir haben uns an das lateinische "finestra”, aus dem zu deutsch "Fenster” wurde, schon ganz gut gewöhnt. Niemand würde mehr eine Überfremdung des Deutschen durch Latinismen befürchten durch solche Lehnwörter. Und das gilt, glaube ich, matatis mutandis für all solche Übernahmen dieser Art. Die Sprache hat sich immer verwandelt, und bei jeder neuen Verwandlung gab es eine Menge von Leuten, die von Verfall und Untergang geredet haben. Ich glaube nicht, dass es das gegeben hat, und schon gar nicht, dass es das heute gibt.
Hanselmann: Wir alle kennen zumindest aus Parodien, oft aber auch aus der direkten Nachbarschaft das Deutsch, das in Communities mit vielen Migranten gesprochen wird, also dieses Kiezdeutsch – "Isch gehe Schwimmbad" oder "Hast du Handy bei?" und so weiter, wenn also Deutsch gesprochen wird mit der Grammatik des Türkischen oder Arabischen. Wie wird das in unserer Sprache aufgenommen – oder ist das eine Parallelwelt, die sich da bildet?
Detering: Nein, gerade solche Phänomene, wie Sie sie ansprechen, sind ein wunderbares Beispiel dafür, dass Parallelgesellschaften sich nicht entwickeln müssen, es gibt sie natürlich - es gibt sie in beunruhigender Weise in den Metropolen – aber sie sind ja gerade Ausdruck für das Nebeneinander von Sprachgemeinschaften, die sich nicht gegenseitig beeinflussen. Da gibt es dann türkische Stadtviertel und deutschsprachige Stadtviertel oder anderssprachige, und die haben miteinander nichts zu schaffen. Solche jugendsprachlichen, kiezsprachlichen, dialektalen oder soziolektalen Vermischungsphänomene zeigen ja gerade, wie die Sprachen sich gegenseitig beeinflussen und auch beleben.
Hanselmann: Herr Detering, Sie halten heute zum Auftakt der Aktion "Deutsch 3.0" einen Impulsvortrag. Was sind denn die wichtigsten Impulse, die Sie den Zuhörern mitgeben?
Detering: Das erste, was ich den Zuhörern sagen möchte: Wir sollten alle, die wir uns für die deutsche Sprache interessieren, die wir sie lieben, die wir uns in ihr ausdrücken, wir sollten größeres Zutrauen in die Lebenskraft der Sprachgemeinschaft haben als das manchmal zu beobachten ist. Ein zweiter Gedanke wird sein, dass ich die Angst vor Überfremdung der Sprache als ein beunruhigendes Symbol für Angst vor Überfremdung allgemein sehe, was in der Politikersprache leichtfertig als Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme bezeichnet wird. Das äußert sich häufig eher indirekt als eine Angst vor einer Übernahme, sagen wir türkischer Redensarten oder von Anglizismen oder anderen fremdsprachlichen Elementen.
Hanselmann: Denjenigen, die Angst vor zu großer Veränderung oder Unterwanderung des Deutschen haben, sagen Sie "Bleibt cool und relaxed" – oder sagen Sie "Bleibt locker und ruhig"?
"Es gibt Ausdrücke, die ich ästhetisch ganz unglücklich finde"
Detering: Das kommt darauf an, in welcher Situation und mit wem ich rede. "Bleib cool" ist ein Ausdruck, den ich zum Beispiel meinem 19-jährigen Sohn sagen würde. Je nachdem, wie die Situation beschaffen ist. Ich würde dasselbe in einem Podium beim Goethe-Institut oder beim Institut für Deutsche Sprache oder in einer Vorlesung anders sagen.
Ich will ja andererseits nicht verhehlen, dass es auch Ausdrücke gibt, die ich ästhetisch ganz unglücklich finde, die ich selber nicht gebrauchen würde und von denen ich wünschte, es gäbe sie nicht. "Relaxed" ist so ein Ausdruck, ich halte ihn, soweit ich sehe, für entbehrlich. Er fügt nichts hinzu, was die deutsche Sprache nicht auch von sich auch sagen könnte. Nur: Solche Ausdrücke verschwinden nicht dadurch, dass eine Akademie oder ein Goethe-Institut beschließt, sie zum Verschwinden zu bringen. Darüber entscheidet, ob wir das wollen oder nicht, allein die Gemeinschaft der Sprechenden.