Deserteurdenkmal in Hamburg

Ein Denkmal wie ein Kommentar

Besucher stehen am 24.11.2015 in dem neuen Deserteurdenkmal am Stephansplatz in Hamburg. Der Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz wurde am Nachmittag feierlich eingeweiht und soll ein wichtiges politisches Zeichen für Zivilcourage und Gerechtigkeit setzen.
Besucher stehen am 24.11.2015 in dem neuen Deserteurdenkmal am Stephansplatz in Hamburg. © picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Von Philipp Schnee · 24.11.2015
Nach langen und zähen Debatten wurde es nun eingeweiht: das Deserteurdenkmal am Hamburger Stephansplatz. Um das neue Denkmal des Künstlers Volker Lang zu verstehen, muss man den Ort kennen, an dem es entstanden ist.
Ludwig Baumann, 94 Jahre alt, ist an diesem windigen Novembertag aus Bremen angereist, um an diesem Ort, Hamburg Dammtor, das Deserteurdenkmal einzuweihen. Man hört ihm an, dass er in seinem Kampf für Anerkennung seine Geschichte schon häufig erzählen musste:
"Ich wollte kein Soldat werden, also einmal: ich bin hier geboren vor 94 Jahren, Hamburger Jung. Und dann hat die Wehrmacht viele Länder überfallen und ich wollte kein Soldat sein und ich bin dann doch eingezogen worden zur Kriegsmarine, mit meinem Freund Kurt Oldenburg."
Gemeinsam desertierten Sie, wurden in Frankreich aber verhaftet und zum Tode verurteilt. Ludwig Baumann konnte den Krieg überleben, sein Freund nicht. Doch auch nach 1945 blieb es in Deutschland schwierig:
"Und wir hatten überhaupt keine Verbündeten. Erst 2002 sind unsere Urteile aufgehoben worden wegen Desertation. Und erst 2009 wegen Kriegsverrat."
"Eine Provokation - dass dieses Ding unkommentiert da stand"
Um das neue Denkmal von Künstler Volker Lang zu verstehen, muss man den Ort verstehen, an dem es nun steht. Zunächst ist da der "Kriegsklotz", wie ihn die Hamburger nennen. Ein monumentaler Steinquader, auf dem zackig eingemeißelt Soldaten in Reih und Glied marschieren. Errichtet 1936, während der NS-Zeit. Erbaut um zu erbauen, nicht um zu gedenken, wie später festgestellt wurde.
Ein Denkmal, das an die Toten des 76. Infanterieregiment während des Ersten Weltkriegs erinnern, wohl mehr aber der patriotischen Opferbereitschaft und dem Heldentod huldigen sollte. Immer wieder flammte die Debatte in den folgenden Jahrzehnten um dieses Denkmal auf, dass auch ein Sammlungsort für Veteranen, Traditionsvereine aber auch neonazistische Gruppen wurde.
"Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen", prangt noch heute auf dem Kriegsklotz als kriegslüsterne, patriotische Durchhalteparole aus dem Jahre 1936.
"Es ist halt einfach in meinen Augen eine Provokation für z.B. Herrn Baumann, dass dieses Ding unkommentiert da stand", sagt Volker Lang.
"Deutschland muss sterben, damit wir leben können"
Besonders in den friedensbewegten 80er-Jahren, wurde der Kriegsklotz mit Graffiti und Farbattacken kritisiert, bis in die Popkultur: die Hamburger Punkband Slime, drehte die Parole in einem Song antinationalistisch und ebenso parolenhaft um: "Deutschland muss sterben, damit wir leben können".
Der Klotz blieb stehen, bekam aber ein Gegendenkmal, ein "Mahnmal gegen den Krieg" des Wiener Künstlers Alfred Hrdlicka, an die Seite gestellt. Hamburgs Erster Bürgermeister, Olaf Scholz, erinnert in seiner Rede zur Einweihung an diese schwierige Hamburger Denkmalgeschichte.
"Dass 70 Jahre bis zur angemessen Würdigung vergingen, bleibt eine verstörend lange Zeit. Aber nun ist der Gedenkort da, mit seiner Platzierung zwischen dem umstrittenen 76er-Denkmal und dem Fragment gebliebenen Gegendenkmal von Alfred Hrdlicka setzt Hamburg an einer zentralen Stelle der Stadt ein unmissverständliches Zeichen. So unmissverständlich wie die Worte, wie sie im Bundestag, in einer der Debatten zur Rehabilitierung und Entschädigung der Deserteure fielen. Es war ihre Anregung, Herr Baumann, an den historischen Satz zu erinnern: Der Zweite Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen."
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