Der weiße Riese

Berlinale-Kolumne von Jürgen Stratmann · 12.02.2009
Und auch das ist die Berlinale: nicht bloß ein cineastisches Fenster zur Welt, nein, hier schaut man auch, was vor der eigenen Haustür geschieht, nennt Missstände beim Namen und deckt brutalstmöglich auf, wo's nötig ist - wie in folgendem Fall.
Genau im pulsierenden Zentrum des Festival-Treibens, vis-à-vis des Berlinale-Palastes, dort, wo täglich x-Tausend flanieren, da steht es: Das Grand-Hyatt-Hotel - ein rötlich-schlichter Bau mit geschwungener Front und Baldachin-überwölbtem Portal, ein renommiertes Domizil, ein gastlicher Ort, so scheint's - doch die stummen Mauern, massig und kalt in grauen Himmel ragend, verbergen ein dunkles Geheimnis - was ist hier los?

"Das weiß ich jetzt nicht, äääh."

... stellt sich die Hotel-Sprecherin ahnungslos, aber dann ...

"... ich kann mir nicht vorstellen, dass, wenn es etwas Seltsames ist, es ein Geheimnis ist ..."

... sie weiß etwas, da bin ich sicher, ich bohre weiter, frag den Portier, aber auch der: Fehlanzeige!

"Wenn ich es nicht weiß, dann wissen es die andern auch nicht, weil ich weiß das Meiste eigentlich!"

... eine Mauer aus Schweigen, die halten dicht - ich frage ´nen Wachmann - er flieht ...

"Keine Aussage, keine Aussage, tun Sie mir bitte den Gefallen ..."

... und ich beginne zu ahnen: - DIE HABEN ANGST!

Doch seit heute Nachmittag wissen wir, was vorgeht in den Kellern von Hyatt-House: Jede Nacht wird die komplette Hotelwäsche, jeder Bettbezug, jedes Handtuch, jeder Morgenmantel in Lkw verladen, und über die Grenze nach Polen transportiert - was für ein Irrsinn.

"Ja, das ist ein Skandal, weil es viel Energie kostet, die Wäsche dorthin zu bringen, dann die Frauen dort schlecht zu bezahlen und die Wäsche dann wieder zurückzubringen ..."

... und darum geht es in dem Dokumentarfilm "Die wundersame Welt der Waschkraft", der heute Nachmittag auf der Berlinale Premiere hatte - er zeigt, was mit Menschen passiert, die von schmutziger Wäsche anderer abhängig sind - und den Zynismus der Täter, die ihr ausbeuterisches Treiben etwa so rechtfertigen:

"'Es gibt immer noch keine Maschinen, die Kopfkissen vom Bettlaken unterscheidet!""

... ganze Landstriche hängen mittlerweile an deutschen Laken, durch Schichtarbeit und finanzielle Abhängigkeit zerwalkt, verblichen, weichgespült:

"... eigentlich will ich gar nichts"

... sagt eine Frau, die erst angab, lieber Ärztin geworden zu sein ...

" … ich freue mich über das, was ich habe und es geht mir gut!"

Und wer jetzt denkt: krasse Nummer, will ich nichts mit zu tun haben, dem sei hier gesagt: man kann ihnen nicht entkommen, zumindest während der Berlinale:

"Wir sindmit Abstand Marktführer, und wir waschen in Berlin bestimmt auch die meiste Wäsche ...."

...und das Syndikat expandiert, in Leipzig gibt's auch schon eine Filiale, die Löhne sind ähnlich, eher niedriger noch als in Polen - und man kommt aus dem Film und hat das Gefühl: ein Phantom geht um im Osten Europas - es ist:

"Der weiße Riese - seine Waschkraft macht ihn so ergiebig!"