"Der Vater meiner Kinder"

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack · 19.05.2010
Grégoire Canvel hat scheinbar alles: eine schöne Ehefrau, drei zauberhafte Töchter und einen Beruf, der ihn erfüllt. Er produziert mit viel Herzblut Filme, doch der finanzielle Erfolg bleibt aus und die Schulden wachsen ihm über den Kopf. Bald weiß er nur noch einen Ausweg.
Der nach "All Is Forgiven" (2006) zweite Spielfilm der 1981 geborenen französischen Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Mia Hansen-Love lief im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen von Cannes innerhalb der Sektion "Un Certain Regard" (dem Berlinale-Forum vergleichbar) und gewann dort den "Spezialpreis der Jury".

Mit "La pére des mes enfants" setzte sie dem französischen Filmproduzenten Humbert Balsan (21.8.1954 - 10.2.2005) posthum ein filmisches Denkmal. Balsan, Filmproduzent, Vizepräsident der französischen Cinemathek und Vorsitzender der "European Film Academy", war ein leidenschaftlicher Verfechter des "anderen Films", des "Arthouse Films", produzierte mehr als 60 Filme, engagierte sich für Filmemacher aus dem arabischen Raum, trat zuletzt als Co-Produzent für den Lars von Trier-Film "Manderlay" (2006) auf, genoß als passionierter, wagemutiger Produzent hohes Ansehen in der Branche.

Im Laufe seiner Karriere wurde der finanzielle Druck immer umfangreicher, im Februar 2005 nahm er sich in seinem Büro in Paris das Leben.

"Und was wird geschehen, wenn die Bank sie im Stich läßt?"
"Ich weiß nicht, vielleicht stürze ich mich aus dem Fenster".


Grégoire Canvel führt ein gutbürgerliches Leben. In dem er bemüht ist, alles unter einen Hut zu bekommen. Arbeit, Familie, Zeit, das ganze schöne "Programm" Leben. Grégoire ist kein Spinner, kein außergewöhnlicher Held, kein Sonderling, sondern einfach nur ein guter Jemand und engagierter Filmproduzent, der das unabhängige Kino unbändig liebt und fördert - das spezielle, das neugierige, das cineastische, das suchende, fragende, fortschrittliche. Und das macht ihn anfällig für finanzielle Risiken, für mehr Einsatz als gestattet ist. Die unbezahlten Rechnungen in seiner Produktionsfirma stapeln sich.

Dennoch ist er bemüht, Beruf und Privates vernünftig zu regeln. Mit seiner italienischen Ehefrau Sylvia und seinen drei Töchtern lebt er abwechselnd in der Großstadt und auf dem Land. Man achtet sich, man liebt sich, man respektiert sich. Grégoire Canvel ist ein spannender "Rundum"-Typ. Der mit dem Dauerstress lebt, aber auch erstaunlich besonnen und uneitel mit ihm umzugehen weiß.

Die zunehmenden Depressionen sind ihm nicht anzumerken, im Gegenteil: Zuhause ist er ein fürsorglicher, liebevoller, zärtlicher Ehemann und Vater. Ein zumeist gutes, angenehmes, vereintes Dasein. Wobei die zunehmende "Handy-Rundum-Nötigung" allerdings nun auch die Ehefrau nervt. Aber die Zeiten, da die Risiken in der Branche "überschaubar" waren, sind offensichtlich vorbei. Kreativität und Engagement sind nun mehr und mehr profit-abhängig. Experimente zahlen sich nicht mehr aus.

"Der Vater meiner Kinder" erzählt von der Psychologie des Lebens. Ein Mann ist bemüht, seine beruflichen Ambitionen mit dem privaten Glück zu verbinden und erlebt dabei unaufhaltsam Schiffbruch, wird das Opfer seiner Ansprüche.

Der zweite Filmteil obliegt der Trauer, dem "Danach", dem Weitermachen. Er handelt von den Bemühungen der Ehefrau, die Produktionsfirma, sein Erbe, "seine Filme", zu erhalten und zugleich die seelischen Wunden mit dem familiären Weiterleben vernünftig, harmonisch, "glücklich" zu vereinen. Das Abschiednehmen und das Wie-Weitermachen - "ganz normal". Schließlich geht das Leben für Sylvia und ihren Nachwuchs nach dem Verlust und Schmerz weiter. Natürlich: ein trotzdem "glückliches Leben" wieder führen zu können, ist das Bestreben.

Mia Hansen-Love wandelt auf den Spuren von Claude Sutet (1924-2000). Der war mit Filmen wie "Die Dinge des Lebens" (1970) und "Eine einfache Geschichte" (1978) ein bedeutender Chronist der französischen Bourgeoisie. Als kritischer, eleganter Beobachter und Sympathisant. Ihr Film ist ein Resümee, sozusagen eine Bilanz zum ewigen beruflichen, privaten, gesellschaftlichen Spagat zwischen Kunst und Kommerz. Eine Bestandsaufnahme der ökonomischen Bedingungen heute, wenn es darum geht, "gutes Kino" herstellen zu wollen, auch "im Privaten"; ist aber auch ein imponierendes Porträt einer interessanten Familie.

Der Film ist bisweilen zu detailfreudig, bleibt stehen, wo er bereits klar und deutlich ist; und am Ende verhaspelt er sich, hört viel zu spät und mehrmals auf. Dennoch mag ich ihn, tauche gerne in ihn ein. Motto: Viele (eigene) Gefühle und Gedanken finden reizvoll zueinander. Mit Louis-Do de Lencquesaing (Caché" von Michael Haneke) als charismatischer, "eleganter" Grégoire; mit Chiara Caselli ("Ripleys Game" von Liliana Cavani) als besonnene Ehefrau und Mutter Sylvia sowie hervorragenden, überzeugenden Jung-Akteuren wie Alice de Lenquesaing, der Tochter von Louis-Do de Lencquesaing, als Filmtochter Clémence. Ein feiner, intensiver, behutsamer "Menschenfilm": "What will be, will be", singt Doris Day beim Abspann melancholisch-laut.

Frankreich / Deutschland 2009. Regie: Mia Hansen-Løve. Darsteller: Louis-Do de Lencquesaing, Chiara Casselli, Alice de Lencquesaing, Alice Gautier, Manelle Driss, Eric Elmosnino. Länge: 110 Minuten

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