Der Untergang eines rechtschaffenen Mannes

20.05.2010
Ein Mann auf dem Weg nach unten, scheinbar ruiniert ihn der Alkohol, aber in Wahrheit zerbricht er an einem amerikanischen Familienleben, das er so nie hatte führen wollen.
Die Geschichte - und damit das Unheil, das über die nette zufriedene Familie hereinbricht - beginnt im Spätsommer 1960. Der Mann, Anzeigenvertreter für ein renommiertes naturwissenschaftliches Magazin, weigert sich nach einer Geschäftsreise nach Hause zu kommen. Er will einfach nicht, sagt er seiner Frau am Telefon, und dass er in einer Bar säße. Offenbar hat er einen Nervenzusammenbruch, und der Freund, der ihn schließlich dort abholt, weiß sich nicht anders zu helfen, als ihn in die Psychiatrie zu bringen.

Mit dieser Einweisung, dem Blick in die gewöhnliche Hölle der Verrückten und Verstörten, beginnt der Untergang eines rechtschaffenen Mannes. Er verfällt immer mehr dem Alkohol, verstrickt sich in ein Lügengeflecht und will doch in Wahrheit nur ausbrechen aus dem vermeintlichen Idyll mit seiner langweiligen Frau und dem verstörten Sohn.

Eigentlich wollte er so nie leben, aber beinahe ohne sein Zutun und weil seine Frau besonders schöne Brüste hatte, fand er sich irgendwann als gewöhnlicher Ehemann und erfolgreicher Angestellter wieder. Nach dem Zwangsaufenthalt in der Nervenklinik, der wegen eines Feiertags länger dauert als nötig und vorgesehen, scheint sich sein Leben zu ändern. Der Kinobegeisterte hat plötzlich eine eigene, interessante Geschichte zu erzählen, lernt ein schönes junges Mädchen kennen, verlässt Frau und Kind, bricht mit der Geliebten nach Hollywood auf und glaubt an eine Zukunft als Filmproduzent, von der er stets geträumt hatte.

Präzise und ungemein spannend beschreibt der große amerikanische Autor, der selber dem Alkohol mehr als zugetan war, den rasanten Absturz eines Mannes, der alles ruiniert, was er sich aufgebaut hat, einen Trinker, der dem Alkohol alles opfert, was er liebt.

Yates erzählt von entschiedener Selbstzerstörung, vom unausweichlichen Untergang, davon "wie ein netter Werbemensch aus der Mittelschicht verrückt" wird und davon, dass Hollywood und die Psychiatrie mehr gemein haben als man glaubt.

Zum Autor:
Richard Yates (1926 bis 1992) war zu Lebzeiten ein verkannter, kaum beachteter Autor, hoch geschätzt zwar von einer Handvoll Kollegen, die seine (nicht zuletzt) miserable finanzielle Lage aber auch nicht ändern konnten. Als ein Journalist ihn kurz vor seinem Tod 1992 besuchte, bedankte sich der Autor, der in den 60er-Jahren kurze Zeit als Redenschreiber von Robert Kennedy sein Geld verdiente: "Danke, dass Sie sich an mich erinnern." Erst nach seinem Tod, mit der Wiederveröffentlichung seines - inzwischen berühmten (mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio verfilmten) – Romans "Zeiten des Aufruhrs" änderte sich das. Inzwischen gilt er als einer der wichtigen amerikanischen Schriftsteller des 20.Jahrhunderts.


Besprochen von Manuela Reichart

Richard Yates: Ruhestörung
Roman
Aus dem Amerikanischen von Anette Grube,
DVA, München 2010
316 Seiten, 19,95 Euro