Der unsterbliche Anti-Held

Von Vera Schneider · 22.05.2011
Jaroslav Hašek bezeichnete sich selber scherzhaft "als den größten tschechischen Schriftsteller". Dabei war zu seinen Lebzeiten noch nicht abzusehen, welch ein Erfolg seine Kurzgeschichten über den trotteligen Soldaten Schwejk werden würden.
"Eine große Zeit erfordert große Menschen. Es gibt verkannte, bescheidene Helden, ohne den Ruhm und die Geschichte eines Napoleon. Heute könnt ihr in den Prager Straßen einem schäbigen Mann begegnen, der selbst nicht weiß, was er eigentlich in der Geschichte der neuen großen Zeit bedeutet. Wenn ihr ihn fragen wolltet, wie er heißt, würde er euch schlicht und bescheiden antworten: 'Ich heiße Schwejk ...'"

An einem Morgen im Mai 1911 sucht der Prager Redakteur und Kneipenredner Jaroslav Hašek fieberhaft nach einem Stück Papier. Darauf habe er am Abend zuvor einen "genialen Einfall" notiert, behauptet er. Seine Frau Jarmila zieht aus dem Kehricht einen zerknüllten Zettel mit der Überschrift "Der Tölpel bei der Kompanie". Hašek tauft den Tölpel auf den Namen Josef Schwejk. Am 22. Mai 1911 erscheint die Kurzgeschichte "Schwejk zieht gegen Italien" in der Zeitschrift "Karikatury":

"Schwejk rückte frohen Herzens ein. Er hatte kein anderes Ziel, als sich beim Militär einen Jux zu machen, und es gelang ihm auch, zum Schrecken der ganzen Garnision in Trient zu werden, den Garnisionskommandanten inbegriffen. Schwejk hatte stets ein Lächeln um die Lippen, war liebenswürdig in seinem Benehmen und saß wohl deshalb ständig im Arrest."

Weitere Kurzgeschichten folgen, 1912 kommt der erste Sammelband heraus. Ab 1920 publiziert Hašek "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" als Roman. Auftakt der Handlung ist das Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand. Schwejk kommentiert die Schüsse von Sarajevo fachmännisch:

"Ich möchte mir dann für so was einen Browning kaufen. Der schaut aus wie ein Spielzeug, aber Sie können damit in zwei Minuten zwanzig Erzherzöge niederschießen, magere oder dicke. Obgleich man, unter uns gesagt, Frau Müller, in einen dicken Herrn Erzherzog besser trifft als in einen magern."

Wer ist dieser Schwejk? Ein Anarchist, der höchstens auf Wodkaflaschen schießt. Ein beflissener Befehlsempfänger, dessen Übereifer seine Vorgesetzten zur Weißglut treibt. Ein Patriot mit Rheuma, der sich im Rollstuhl zur Musterung fahren lässt:

"Ich bin bis auf die Füß ein ganz gesundes Kanonenfutter, und in einer Zeit, wo's mit Österreich schief geht, da muss jeder Krüppel auf seinem Platze sein, so."

Trotz seines Opfermuts übersteht Schwejk alle Fronteinsätze unbeschadet – im Arrest, auf der Suche nach seiner Kompanie, gelegentlich auch in der russischen Uniform. Kein Zweifel also, dass er seine zum Bonmot gewordene Verabredung "nach dem Krieg um sechs im Kelch" einhalten wird. Dabei weiß niemand, ob Schwejks Einfalt nicht eine besonders raffinierte Form des passiven Widerstandes ist.

"Schwejk, Jesusmaria, Himmelherrgott, ich erschieße Sie, Sie Vieh, Sie Rind, Sie Ochs, Sie Idiot, Sie. Sagen Sie, sind Sie so blöd?" - Melde gehorsamst, jawoll, ich bin so blöd, Herr Oberlajtnant."

Dank der Vermittlung Max Brods und einer kongenialen Übersetzung von Grete Reiner ist der Schwejk-Roman in Deutschland zunächst erfolgreicher als in seiner Heimat. 1929 bringt Erwin Piscator den Text auf die Bühne, 1943 entsteht Bertolt Brechts "Schweyk im Zweiten Weltkrieg" mit Musik von Hanns Eisler. Hašeks Vorlage beweist immer wieder ihre Aktualität, etwa in der Berliner Inszenierung von 2004 mit Walter Plathe:

"Budweis liegt am Hindukusch
Bagdad bei Prag, kurz vor Gadebusch
Krieg find'st du immer, mal hier, mal da,
besser, man kommt nicht zu früh
und man kommt nicht zu nah.
Und wenn man dir diesen Krieg nimmt,
no, dann nimmst du den nächsten,
der kommt bestimmt."


Der Schwejk-Roman zählt heute zur Weltliteratur – als Panoptikum des Habsburgerreiches und zeitloses Antikriegsbuch. Jaroslav Hašek konnte sein auf sechs Bände ausgelegtes Werk nicht vollenden; 1923 erlag er einer Tuberkulose und den Folgen seines Alkoholkonsums. Obwohl er sich gern scherzhaft als "größten tschechischen Schriftsteller" bezeichnete, hat Hašek die Karriere seiner Figur nicht vorausgesehen.
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