Der unsichtbare Beifahrer

Von Thomas Wagner · 10.09.2008
Das Fahren mit dem Auto ist in den vergangenen Jahren deutlich sicherer geworden. Airbags, Antiblockiersysteme oder Stabilisierungssysteme haben dazu beigetragen, dass die Unfallzahlen kontinuierlich zurückgegangen sind. Um die Sicherheit weiter zu verbessern, setzen Wissenschaftler auf Fahrassistenzsysteme.
Auf der Teststrecke Tesersdorf des österreichischen Automobilclubs ÖAMTC steuert Versuchsingenieur Adam Svoboda einen Pkw mit mittlerer Geschwindigkeit über das Gelände. Aus einem kleinen Kästchen in der Mittelkonsole kommen plötzlich unerwartete Geräusche.

"Dann haben wir schon die Warnung im Display. Der Pfeil hier zeigt immer, wo sich der Rettungswagen befindet. Das ist zum Beispiel wichtig in der Stadt: Man hört zwar manchmal etwas. Man weiß aber nicht, wo kommt er her. Wir spielen nochmals dieses Martinshorn hier ein, zusätzlich als Warnung vor dem Rettungswagen."

"Car-to-X" heißt dieses neue Fahrassistenzsystem, das der Automobilzulieferer Continental entwickelt hat. Im Wesentlichen beinhaltet es eine Vernetzung aller Fahrzeuge über Funk in einem Umreis von etwa einem halben Kilometer. Ergebnis: Das Car-to-X-Modul im Pkw erkennt frühzeitig den herannahenden Krankenwagen, der möglicherweise schon ein paar Augenblicke später mit Höchstgeschwindigkeit über die Kreuzung rasen wird. Aber auch dieses Szenario ist möglich: Der Pkw empfängt den Warnhinweis vorausfahrender Fahrzeuge vor tückischen Gefahren.

"Pling – da kommt schon die Warnung: Vorsicht! Gefährliche Stelle voraus! So, wir reduzieren die Geschwindigkeit. Es ist nass, es ist glatt. Der Wagen vor uns ist sehr schnell über die Kuppe gedonnert, kam da so leicht ins Schlingern. Dann hat er eine ABS-Bremsung gehabt. Und dann hat er detektiert, dass die Stelle glatt ist und dann ein Warnsignal an die nachfolgenden Fahrzeuge herausgeschickt. Der Wagen hat Sie sozusagen gewarnt: Vorsicht, da vorne ist es gefährlich! Pass Deine Geschwindigkeit an."

Bei "Car-to-X" sind aber nicht nur die Fahrzeuge per Funk miteinander verbunden, um gegenseitig Warnhinweise auszutauschen. Adam Svoboda steuert mit seinem Wagen auf eine Ampel zu, die in einigen Hundert Metern Entfernung nur als winziger Punkt erkennbar ist.

"So, jetzt sehen Sie hier wieder den Ampelphasenassistenten. Wenn Sie jetzt vom Gas gehen, merken Sie: die Cruise-Control bringt sie wieder runter in diese grüne Zone. So lange wir da drin sind, kommen wir bei Grün vorbei. Okay, wir fahren jetzt wieder den Berg runter und folgen dem Streckenverlauf."

In diesem Verlauf empfängt das "Car-to-x"-Modul die geografischen Daten der Ampel. Aus der eigenen Position, die der eingebaute GPS-Empfänger liefert, berechnet er die optimale Fahrgeschwindigkeit, um bei Grün über die Ampel zu rollen. Die Vernetzung von Autos, Verkehrszeichen und Ampeln bringt nach Expertenmeinung zwar einen deutlichen Zugewinn an Sicherheit. Dennoch hat das System bisher noch ein Problem, weiß Dieter Feltröder, Fachjournalist für Fahrzeugtechnik aus Herrsching am Ammersee:

"Das ist wahrscheinlich noch der große Haken an der Sache, dass noch nicht alle Fahrzeuge momentan entsprechend ausgerüstet sind. Und insofern kann es ja noch nicht funktionieren. Also es ist eine absolute Zukunftsvision."

Fahrzeugwechsel auf der Teststrecke: Entwicklungsingenieur Catalin Bunitianu nimmt in einem weiteren Versuchsfahrzeug Platz.

"In diesem Fahrzeug präsentieren wir Ihnen das System namens Lane Departure Warning. Es ist eine Assistenzfunktion für den Fahrer, der aufgrund der geringeren Aufmerksamkeit aus der Fahrbahn herausdriftet."

Es geht also um die Vermeidung einer häufigen Unfallursache mit oftmals tödlichem Ausgang: Der Fahrer wird nach stundenlanger Fahrt müde. Irgendwann gehen die Augen zu: Sekundenschlaf. Und dann verliert er häufig die Herrschaft über das Auto. Um dies zu vermeiden, wurde eine winzige digitale Kamera im Rückspiegel eingebaut, deren Objektive auf die Mittellinie der Fahrbahn weisen.

"Wir erkennen die Fahrbahnmarkierung und die Position des Fahrzeuges innerhalb des Fahrstreifens. Und sobald es droht, aus diesem Fahrstreifen heraus zu fahren, wird durch einen gezielten Eingriff in die Lenkung das Auto wieder zurück in die Mitte der Fahrbahn gelenkt."

Testingenieur Catalin Bunitianu zeigt die Funktionsfähigkeit des Systems während einer Testfahrt.

"Auf 60 beschleunigen, so zwischen 60 und 70 halten. Jetzt eine kleine Störung vielleicht, nach links oder nach rechts, nicht so heftig …"

In einem spitzen Winkel von vielleicht 15 Prozent lässt Catalin Bunitianu den Wagen auf den Mittelstreifen zufahren. Danach nimmt er die Hände vom Lenkrad – eine Situation genauso, als ob der Fahrer eingenickt wäre. Dann passiert’s: Das Lenkrad vollführt automatisch eine Bewegung nach rechts. Das Auto hält sich wieder rechts vom Mittelstreifen. Die Kamera hat das Abdriften erkannt und über eine Hydraulik gegengesteuert.

"Das System ist aber eingehend getestet worden, über viele Tausende von Kilometern. Es ist zuverlässig, soweit Markierungen existieren und auch gut sichtbar sind. Sogar an Autobahnbaustellen, wo die Markierungen enger und etwas irreführender sind – es funktioniert zuverlässig!"

Teststrecke Papenburg in Norddeutschland: Profi-Rennfahrer Joachim Winkelhock sitzt am Steuer eines Pkw. Mit Vollgas braust er in eine Kurve hinein. Ein Hindernis taucht auf. Doch ohne Probleme gelingt es Winkelhock, auszuweichen.

"Dann hilft einfach so ein elektronisches Fahrwerk unglaublich viel. Einfach, weil so ein Fahrzeug innerhalb von Millisekunden darauf einstellt. Das gibt natürlich dem unerfahrenen Fahrer, aber auch uns Profis sehr viel mehr Sicherheit, auch im öffentlichen Straßenverkehr."

Um das "elektronische Fahrwerk" zu aktivieren, hat Joachim Winkelhock zuvor eine Taste mit der Aufschrift "CDC" gedrückt. Die Abkürzung steht für "Continous Damping Control". Gemeint sind damit elektronisch gesteuerte Stoßdämpfer, die ihre Dämpfungseigenschaften in Abhängigkeit von Fahrgewohnheiten, Straßenbeschaffenheit, Geschwindigkeit und Kurvenneigung variieren. Michael Hankel vom Automobilzulieferer ZF erklärt, wie das System funktioniert:

"Nehmen wir ein Beispiel: Sie müssen einem Fahrradfahrer ausweichen und haben eine sehr holprige Straße. Dann müssen sie sehr hohe fahrdynamische Reaktionen an den Tag legen. Das CDC-System hilft, dass jeder einzelne Dämpfer praktisch messen kann: Wie ist der Fahrbahnzustand und darauf individuell reagieren kann und über eine komplizierte Regelung im Hintergrund sich jeweils optimal auf diesen Fahrbahnzustand einstellt ..."

... was das Autofahren erneut ein Stück weit sicherer macht. Ein ‚Mehr’ an Sicherheit ist schließlich das Ziel aller Fahrassistenzsysteme. Die Frage ist nur: Kann ein Fahrer all die elektronischen Neuerungen auch richtig bedienen? Findet er sich noch in einer Umgebung zurecht, die zunehmend dem Cockpit eines Flugzeuges ähnelt? Jan Rosenow, Kfz-Fachjournalist aus Würzburg über die vielen neuen elektronischen ‚Beifahrer’:

"Ich denke, sie erfordern einiges an Gewöhnung. Wer eine Probefahrt macht und alle Systeme auf einmal probiert, wird sich vielleicht abgelenkt fühlen. Man muss sich daran gewöhnen und zu seinem Vorteil nutzen. Dann bringen sie auch Vorteile."