Der Umgang mit dem Schwangerschaftsabbruch

Von Sibylle Hoffmann · 16.03.2009
Eltern, die ein behindertes Kind haben, brauchen eine besondere Zuversicht. In einer Welt, in der Eltern von behinderten Babies noch manchmal zu hören bekommen: "Das musste doch nicht sein, ihr hättet es doch wegmachen lassen können", brauchen die Eltern ein großes Selbstvertrauen und gesellschaftliche Unterstützung: Sie brauchen Rat, Geld, Pflegekräfte, Haushaltshilfen. Daran fehlt es vielfach.
Die vorgeburtliche Diagnostik dagegen entwickelt sich immer weiter, und mit jedem Zuwachs an Wissen um mögliche Defekte beim Ungeborenen wird die Frage: Will ich es wirklich wissen? Und wenn ja, was tun? dringender – Und: Welche Risiken birgt die Diagnostik für Mutter und Kind?

Manche Eltern in spe wollen vorweg alles Erfahrbare über ihr Baby wissen, um sich frei für oder gegen ein Kind mit Behinderung zu entscheiden. Mit diesem Wissenwollen werden sie sich in einem Netz von gesetzlichen Regelungen gefangen sehen. Die medizinischen Untersuchungen brauchen Zeit. Beratungen werden nötig. Laut Paragraph 218 des Strafgesetzbuches sind Beratungen vor einem Schwangerschaftsabbruch Pflicht. Andernfalls ist der Eingriff rechtswidrig.

Beratungen können den Eltern helfen, sich auf ein Leben mit einem behinderten Kind einzustellen. Sie können den Eltern aber auch die Entscheidung für eine Abtreibung erschweren, Zwiespalt und Gewissenskonflikte säen.

2007 gab es 3072 sogenannte "späte" Schwangerschaftsabbrüche. Die meisten, 2458, wurden vorgenommen, weil dem Ungeborenen ein Organ fehlte und es nicht lebensfähig gewesen wäre. Nur 614 Eltern trauten sich nicht zu, ein behindertes Kind groß zu ziehen und ließen die Schwangerschaft noch nach der gesetzlich erlaubten Frist, also nach der 12. Schwangerschaftswoche, abbrechen.

Für Eltern, die vor der Frage einer sogenannten Spätabtreibung stehen, gibt es gegenwärtig keine ausreichende medizinische und psychosoziale Beratung. Kirchen, Behindertenverbände, Pro Familia und die Bundesärztekammer sehen Handlungsbedarf. Aber ist eine Gesetzesänderung dazu der richtige Weg? Und wenn ja, was soll in welches Gesetz geschrieben werden?

Für die CDU/CSU Fraktion intonierte Johannes Singhammer das heikle Thema im Bundestag. Andere Politikerinnen und Politiker stimmten ein. Vor Weihnachten debattierte das Parlament fünf verschiedene Anträge zu einer Änderung des Gesetzes zur Vermeidung von Schwangerschaftskonflikten. Ein recht eigenwilliges Weihnachtskonzert wurde das: In keinem Antrag kam das Wort Vater vor. Dafür war umso mehr von Gewissensfragen, Konfliktsituationen, von der "Würde des Lebens am Anfang wie am Ende", und von "sehr großen Belastungen" und dem Gendiagnostikgesetz die Rede. Heute hört der Familien-Ausschuss des Bundestages Experten zu der Frage an, wie das Schwangerschaftskonfliktgesetz geändert werden soll.

Sollen Arzt oder Ärztin verpflichtet werden, medizinisch und psychosozial zu beraten? Oder sollen sie verpflichtet werden, eine psychosoziale Beratung zu empfehlen. - Sollten die Schwangeren ihrerseits zu weiteren Beratungen verpflichtet werden?

Pflichten verlangen Kontrollen. Da es nun die elektronische Gesundheitskarte geben wird, und die Volksvertreter auch die Online-Überwachung beschlossen haben, wird es leicht fallen, solche Schwangeren-Beratungen kontrollieren, dokumentieren, archivieren und analysieren zu lassen. Alles anonym, versteht sich und zum Wohle der Betroffenen, der Wissenschaft und des Fortschritts. Die Diagnostikindustrie wird dankbar sein, Versicherungen auch. So kriecht dann der Überwachungsstaat auch auf einer Spur namens "Spätabtreibung" voran. Schwangerschaft macht nicht frei.

Dr. Sibylle Hoffmann wurde 1951 in Berlin (West) geboren, studierte Soziologie und Philosophie in Marburg und unterrichtete Sozialpädagogik. In dem Buch "Ich schaff das schon" veröffentlichte sie Protokolle von jugendlichen Müttern. Sie arbeitet als Autorin für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Sibylle Hoffmann
Sibylle Hoffmann© privat