"Der Umgang im Netz ist notleidend"

Brigitte Zypries rät zu mehr Gelassenheit im Umgang mit "Drecksmails". Die Etikette im Netz sei anders als im persönlichen Umgang.
Brigitte Zypries rät zu mehr Gelassenheit im Umgang mit "Drecksmails". Die Etikette im Netz sei anders als im persönlichen Umgang. © Deutschlandradio - Bettina Straub
Brigitte Zypries im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 24.04.2012
"Erstmal fünfmal Luft holen" rät die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries beim Erhalt von unflätigen Mails. Die Reaktion der Hochspringerin Ariane Friedrich, die obszöne Nachricht eines Mannes mit seinem Namen und Wohnort zu veröffentlichen, hält sie für unbedacht.
Stephan Karkowsky: Heute war der Beitrag nicht mehr öffentlich einsehbar auf der Facebook-Seite der Hochspringerin Ariane Friedrich. Aber ein paar Tage war das für alle lesbar, was sie geschrieben hatte, nämlich: "Liebe Followers, eben erreichte mich folgende Facebook-Mail: Torsten D., wohnhaft in A., schrieb: Willst du mal einen schönen Schw. sehen? Gerade geduscht und frisch rasiert. Zusätzlich hat er noch eine Datei mitgeschickt, die ich nicht öffnen werde. Nein, Herr D., ich möchte weder Ihr Geschlechtsteil noch die Geschlechtsteile anderer Fans sehen. Anzeige folgt." Zitat Ende. Seitdem wird diskutiert - nicht über rüde Umgangsformen, obszöne Mails und anonyme Beleidigungen im Internet, sondern ob die Hochspringerin Name und Wohnort des Absenders Ihres Belästigers veröffentlichen durfte. Wir sprechen darüber mit der ehemaligen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries von der SPD. Guten Tag, Frau Zypries!

Brigitte Zypries: Guten Tag, Herr Karkowsky!

Karkowsky: Sie haben vor fünf Jahren erst den Nachstellungsparagrafen durchgesetzt, eine härtere Strafverfolgung von Menschen, die anderen gegen deren Willen auflauern oder anderweitig belästigen, zum Beispiel durch E-Mails oder Telefonanrufe. Hat das eigentlich die gewünschte abschreckende Wirkung gehabt, also ist die Zahl der Stalkingfälle zurückgegangen?

Zypries: Nein, das würde ich jetzt nicht sagen, ich würde eher sagen, die Zahl der Stalkingfälle ist öffentlich geworden. Denn dadurch, dass wir einen Straftatbestand geschaffen haben, der Deutsche Bundestag, konnte ja überhaupt erst mal eine Anzeige richtig erstattet werden und dieses Thema Gegenstand der öffentlichen Diskussion. Und das ist auch geschehen, das Gesetz ist im März 2007 in Kraft getreten, und wir hatten über 11.000 Anzeigen im Jahr 2007. Das heißt also, da war damals ein echtes Bedürfnis - wie die Zahlen jetzt aktuell sind, habe ich leider nicht präsent.

Karkowsky: Nun kommt Ariane Friedrich aus Ihrem Wahlkreis, aus Darmstadt. Wenn die Sie um Rat gefragt hätte - ich krieg da immer diese obszönen Mails, Frau Zypries, was soll ich tun -, was hätten Sie ihr denn gesagt?

Zypries: Herr Karkowsky, das Problem ist, sie hat sie nicht immer gekriegt, sondern es war dieser eine. Also wenn sie immer diese obszönen Mails von einer Person gekriegt hätte, dann hätte ich gesagt, zeig den an, ganz klar, das ist Stalking. Aber wenn eine so eine Mail kommt, dann hätte ich gesagt, ich würde sie löschen.

Karkowsky: Einfach löschen, nicht drauf reagieren. Wenn sie nun von verschiedenen Personen immer wieder solche Mails bekommt, hat sie dann im Grunde genommen gar keine Möglichkeit, darauf zu reagieren?

Zypries: Nein, sie hat natürlich Möglichkeiten zu reagieren, aber man muss da natürlich gerade auch als prominente Person sich schon ... also versuchen, das so ein bisschen auszutarieren. Und das gehört ... Es ist eben auch bei Facebook ein anderer Umgang mit Mails, als wenn ich das an meinen privaten E-Mail-Account geschickt kriege. Also diese Facebook-Seiten sind alle öffentlich, und da geht man natürlich auch anders damit um, und da muss man auch selber als Prominente ... ich meine, ich habe auch eine Facebook-Seite - muss man dann natürlich auch manchmal sagen, okay, komm, forget it, da rege ich mich jetzt besser nicht drüber auf. So, also das mal vorausgeschickt, heißt es natürlich nicht, dass man sich nicht wehren kann, sondern selbstverständlich kann man Anzeigen stellen. Und wenn dieser Mensch dann auch noch mit vollem Namen und Wohnort sich da im Internet betätigt, dann ist es natürlich auch für die Polizei umso einfacher, da hinterher zugehen.

Karkowsky: Nun hat Ariane Friedrich, wie sie sagt, auch Anzeige gestellt oder ist dabei, es zu tun. Was passiert dann eigentlich, ist der Erfolg solcher Anzeigen nicht relativ gering, zumal die Belästigten in der Beweispflicht sind?

Zypries: Na ja, in dem Fall ist es ja relativ einfach. Man hat den Namen und man hat den Text, um den es geht, da kann man sich ja dann nicht lange drumrum streiten. Da ist die Beweislage ja sehr viel einfacher, als wenn es um Telefonanrufe beispielsweise geht, die nicht aufgezeichnet wurden oder so, wenn es dann um Aussage gegen Aussage geht. Also da ist sie schon in einer guten Situation. Nun muss man fairerweise sagen, wenn jemand das erste Mal so was macht und wird dann angezeigt, da wird nicht so sonderlich viel bei rauskommen, das ist so, ja, weil es ja auch kein schwerstes Vergehen ist, muss man ja nun auch sagen.

Karkowsky: Nun wird auch auf der Facebook vom Deutschlandradio Kultur derzeit schon kontrovers diskutiert über die Frage, darf sie das eigentlich oder darf sie das nicht. Immerhin hat ja dieses drastische Outen ihres Belästigers mit Name und Wohnort ein Ziel erreicht: Es wird drüber gesprochen. Aber wie sehen Sie das: Darf ich mich so wehren, wie Frau Friedrich das getan hat, oder mache ich mich womöglich selbst strafbar damit?

Zypries: Na ja, man muss das unterscheiden. Wenn es tatsächlich diese Person war, dann ist das strafrechtlich kein Straftatbestand, wenn sie das outet. Denn jemand, der solche obszönen E-Mails ungefragt schickt, darf natürlich nicht auf die Vertraulichkeit des Wortes vertrauen oder die Vertraulichkeit der Mail, das geht nicht. Also strafrechtlich ist das dann kein Problem, zivilrechtlich mag man darüber streiten. Ein bedeutender Professor hat sich ja schon dazu geäußert und hat gesagt, das sei eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts dieses Herrn.

Das würde ich, ehrlich gesagt, als Richterin nicht so entscheiden, denn der hat natürlich eine eigene Ursache gesetzt dafür, dass sie das überhaupt dann veröffentlich hat. Also das wäre dann eine Abwägungsfrage, aber ist auf alle Fälle nur Zivilrecht, ist kein Strafrecht. Das Problem taucht dann auf, wenn der das gar nicht war, also wenn dessen Seite, wie er ja jetzt sagt, schon zweimal gehackt wurde und man weiß mit anderen Worten nicht, war er tatsächlich der Absender.

Oder es ist im Internet ja auch relativ leicht, dass man unter dem Namen eines anderen Mails veröffentlicht oder Texte veröffentlicht. Dann wird es ein bisschen problematisch. Also da trägt sie dann in der Tat die Verantwortung dafür, wenn sie jemanden ihrerseits an den Pranger stellt im Netz, der das gar nicht war. Dann hat sie in der Tat oder hat derjenige, der das tut - es ist jetzt nicht nur Frau Friedrich, sondern überhaupt jemand, der das tut -, der hat dann ein Problem. Und das ist im Internet eben wirklich nicht ganz einfach. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass der Name tatsächlich der Name ist. Sie erinnern sich an diese ganzen E-Mails, die geschickt wurden mit diesem I-love-you-Virus und solchen Sachen, da haben die Leute ja auch erst gedacht, es sei tatsächlich eine Botschaft für sie.

Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" Brigitte Zypries. Als Bundesjustizministerin hatte sie 2007 einen Nachstellungsparagrafen gegen Stalker eingeführt. Frau Zypries, dieses einmalige Belästigen ist Ihrer Ansicht nach noch kein Stalking - wo fängt das eigentlich an, ab wann fällt so etwas unter den Nachstellungsparagrafen?

Zypries: Wir haben schon gesagt, Stalking ist das beharrliche Verfolgen oder Belästigen einer Person, und es muss dadurch eine psychische oder physische Unversehrtheit beeinträchtigt werden, also man muss sich dadurch auch körperlich angegriffen fühlen. Man hat Angst, morgens aus dem Haus zu gehen beispielsweise, weil man weiß, da steht immer einer auf der gegenüberliegenden Straßenseite, der einem dann auch bis zur Straßenbahn folgt. Also das muss schon eine gewisse Kontinuität haben, und da muss eben mehr als eine E-Mail geschickt worden sein, sondern das müssen dann schon mehrere gewesen sein.

Karkowsky: Namen und Wohnort zu veröffentlichen, da sagt hier zum Beispiel Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, ich mach das genauso, wenn ich mal wieder eine Morddrohung bekomme, und sagt, Frau Friedrich könne sich da auf Notwehr berufen. Finden Sie das richtig?

Zypries: Nein, Notwehr ist das natürlich überhaupt nicht, aber nichtsdestotrotz, ich hab das ja eben schon mal gesagt: Wenn die Menschen das tatsächlich waren, dann ist das alles kein Problem, denn dann ist es weder üble Nachrede, noch hat derjenige einen Anspruch darauf, dass man ihn schützt, wenn er solche Drecksmails verschickt noch sonst irgendwas. Das Problem entsteht da, wo ich mir nicht sicher sein kann, dass die Person tatsächlich die Person ist, unter der sie firmiert.

Karkowsky: Aber auch wenn er das war - jetzt wird ja drüber diskutiert, das könnte ja sehr problematisch sein, zumal beim Kindermord in Emden bestimmte Details eine Internethetze ausgelöst haben, bis zur Lynchjustiz aufrufen.

Zypries: Na ja, ich meine ja eben auch, dass man im Internet einfach immer vorsichtiger sein muss und deshalb auch eine andere Form von Toleranzschwelle haben muss. Deswegen habe ich ja eingangs bei unserem Gespräch auch gesagt, ich meine, wenn einmal so eine Drecksmail kommt, ich würde sie einfach löschen, ich würde einfach sagen, gut, okay, so ist das Netz. Leider fehlt uns die Nettikette so ein bisschen, also der Umgang im Netz ist notleidend.

Karkowsky: Dass Ariane Friedrich selbst Polizeikommissarin ist, macht das die Sache eigentlich noch schlimmer, weil es zeigt, selbst die Strafverfolger trauen der Justiz nicht zu, das Problem in den Griff zu kriegen, muss also der Nachstellungsparagraf womöglich verschärft werden?

Zypries: Nein, wie gesagt, darüber fällt diese einmalige E-Mail gar nicht, und Frau Friedrich traut der Justiz ja auch, sonst hätte sie ja keine Anzeige erstattet. Ich glaube, sie war einfach wirklich richtig verärgert und hat deshalb in so einer Impulsivität so reagiert, da gilt eigentlich immer, erst mal fünfmal Luft holen.

Karkowsky: Dieses Thema wird uns auch in der Debatte beschäftigen, heute um kurz vor vier, Sie können dann kostenlos anrufen unter 0080022542254, und jetzt bereits auch auf der Facebook-Seite vom Deutschlandradio Kultur mitdiskutieren. Zur Debatte über Ariane Friedrich und ihre Gegenwehr gegen einen Belästiger die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Ihnen danke für das Gespräch!

Zypries: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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